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Eigentlich geht das bei asiatischen Filmfestivals so: Die Jungs gehen in ONG-BAK, die Mädchen gucken sich solange DAS HAUS AM MEER an. Die Geschlechtertrennung könnte mit CHOCOLATE, dem neuen Werk des einsichtigen ONG-BAK-Regisseurs Prachya Pinkaew, aufgehoben werden: Endlich ein Date-Film, in dem es ordentlich auf die Fresse gibt.
Die junge Thailänderin Zen (JeeJa Yanin) hat es nicht leicht. Sie ist autistisch, ihre Mutter ist arm und krebskrank, ihr japanischer Vater hat sich in sein Heimatland abgesetzt. Ihre einzigen Freunde sind ein dicker Junge und der Fernseher. Der dicke Junge entdeckt Zens außerordentliche Reflexe, die die beiden nutzen, um sich mit Straßenkunststücken ein paar Baht zu verdienen. Im Fernsehen sieht Zen am liebsten Filme mit Bruce Lee und Tony Jaa, die sie bald stimmlich und sportlich perfekt nachzuahmen weiß.
Leider reicht das Geld der Schaulustigen nicht, um die teure Chemotherapie der Mutter zu finanzieren. Da erfährt Zen, dass viele Menschen ihrer Mutter viel Geld schulden. Sie geht los, und fragt artig nach. Zu dumm: Es handelt sich um finstere Typen aus Mamas Mafia-Vergangenheit, und die wollen dem Mädchen das Geld gar nicht geben. Da stellt sich Zen die Frage, die sich jeder Mensch in Problemsituationen stellen sollte: Was würde Bruce Lee tun? Der Rest ist kreischendes, knochenkrachendes Schuldeneintreiben mitsamt hochdramatischer Familienzusammenführung.
Kind autistisch! Mutter Krebs! Vater weg! Nie brauchte man so viele Taschentücher für einen Klopperei-Film. Erst heult man, weil alles so traurig aber dieses kleine Mädchen so tapfer ist, dann heult man darüber, dass man so leicht manipulierbar ist. Aber macht nichts, im Kino sieht dich niemand weinen. Dass CHOCOLATE sich viel Zeit nimmt seine Heldin zu entwickeln (ohne Trainingsmontage und Fanfare!), bevor er sie mit Gebrüll auf den Abschaum der Bangkoker Unterwelt loslässt, macht ihn zu etwas Besonderen im Martial-Arts-Einerlei. Etwas Besonderes ist auch die unverbrauchte Hauptdarstellerin. Ein kleiner Wirbelwind, dem man nicht im Dunkeln begegnen möchte. Ihre Kampfszenen sind allesamt vom Erlesensten. Mal zitieren sie gewitzt Klassiker des Genres, mal finden sie tatsächlich noch Szenarien und Konstellationen, die man so noch nicht gesehen hat.
Das einzige Manko: Wenn der Film schon so gut ist – hätte er dann nicht noch besser sein können? Es hätte doch nur einen Tick mehr Mühe gekostet, aus CHOCOLATE einen wahren Monolithen zu machen. Vieles Künstlerisches und Inhaltliches ist gut angesetzt, aber nicht zu Ende gedacht. Eine sehr knappe Zeichentricktraumsequenz ist hübsch, wirkt aber als einzige ihrer Art seltsam isoliert. Hätte ein schönes wiederkehrendes Element werden können. Ebenso hätte Zens Verschmelzungen mit ihren TV-Vorbildern filmisch ruhig einen Tick origineller realisiert werden dürfen. Zens Angst vor Fliegen ist ebenso ein Rätsel wie der Titel des Films. Zwar sieht man die Heldin ab und an Schokolade essen, Schlüsselszenen jedoch sind das nicht gerade.
Aber das Ausgegorene wiegt das Unausgegorene mehr als auf. Und mit der Zeit wird man sich erfolgreich einreden können, dass gerade seine kleinen Ungereimtheiten CHOCOLATE so charmant machen. Ich spüre schon, wie es wirkt.
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