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CHE - REVOLUCION (Spanien/Frankreich/USA 2008)

von Björn Lahrmann

Original Titel. CHE: PART ONE
Laufzeit in Minuten. 126

Regie. STEVEN SODERBERGH
Drehbuch. PETER BUCHMAN
Musik. ALBERTO IGLESIAS
Kamera. PETER ANDREWS
Schnitt. PABLO ZUMÁRRAGA
Darsteller. BENICIO DEL TORO . JULIA ORMOND . DEMIÁN BECHIR . CATALINA SANDINO MORENO u.a.

Review Datum. 2009-05-09
Kinostart Deutschland. 2009-06-11

Steven Soderberghs zweiteiliges Revoluzzerporträt CHE hat gute Chancen, in die Kinogeschichte einzugehen als erster Film, über den gesagt werden kann: Das T-Shirt war aber anders. Vom gewaltigen ikonografischen Ballast, der sich seit Alberto Kordas legendärem Schnappschuss von 1960 um seine Titelfigur angehäuft hat, befreit er sich bereits in der ersten Einstellung: Aufblende auf Zigarre, Mütze, Bart – schon ist das Thema gegessen. Dergestalt dem popkulturellen Mythenzwang entronnen, kann der Film also zeigen, was er eigentlich zeigen möchte. Was genau das allerdings ist, wird auch nach summa summarum vier Stunden nicht ganz klar. An der Oberfläche streng chronologisch vollzieht der erste, REVOLUCION untertitelte Teil den zweijährigen Guerillakampf nach, der Anfang 1959 zur kubanischen Revolution führte, und ist dabei doch denkbar weit weg von den gängigen Erzählkonventionen des Hollywoodkinos.

Salopp und verkürzt gesagt, wird hier zwei Stunden ohne größere dramaturgische Kohärenz, dafür in gestochen scharfen und zutiefst farbgesättigten Digitalbildern durch den Urwald gelatscht. Kurze, halbfertig scheinende Szenenskizzen dokumentieren kleinere Reibereien im Guerillacamp, wo's beizeiten zugeht wie im Ferienlager: Einer beschwert sich, dass ein anderer ihn immerzu beleidigt, Betreuer Che (Benicio Del Toro) muss schlichten, und am Ende sind sich alle wieder gut. Fidel Castro (Demián Bichir), der leider ein bißchen so aussieht wie Woody Allen in BANANAS, erteilt taktische Befehle, die im Gestrüpp kaum mehr nachvollziehbar sind, und wedelt dandyhaft mit der Pfeife. Auf dem Weg werden jugendliche Rekruten neu angeworben und Deserteure ohne Pardon abgeknallt. Mangelernährung und Wetterkapriolen zehren an Leib, Seele und Geduld der Kombattanten. Die Zeit, die zwischen zwei Szenen vergeht, wird von der ewigen Gleichheit des Dschungels geschluckt, es kann sich um Stunden genausogut wie um Monate handeln. Hier und da tauchen versprengte Batista-Truppen auf, dann wird kurz um sich geschossen, bis der nächste rigorose Schnitt das Kampfgeschehen wieder in den ermüdenden Pfadfinderalltag der Rebellen überführt. Das Presseheft versucht REVOLUCION wegen solcher Scharmützel als Actionfilm zu verkaufen, aber genausogut könnte man behaupten, es handle sich um ein Aufklärungsvideo über Asthma, weil Che gelegentlich husten muss.

In unregelmäßigen Abständen dazwischengeschnitten sind Szenen von einer UN-Konferenz in New York, an der Guevara im Jahr 1964 – da dann schon als kubanischer Industrieminister – teilnahm. Dem hektisch-körnigen Schwarzweiß-Look des Direct Cinema nachempfunden, schießt die Kamera aus dem fahrenden Auto heraus an gleißenden Wolkenkratzerfronten hinauf. Nebenher gibt Che einer amerikanischen Reporterin (Julia Ormond) ein Interview; knochentrocken und konsumungeschönt fliegen einem die marxistischen Parolen entgegen und sind doch weniger ideologischer Unterbau als eitel Hintergrundrauschen, genau, wie sich die Aufnahmen im Urwald viel stärker für die Formen der Blätterbaldachine und das tiefe Blau des Nachthimmels zu interessieren scheinen als für die Sorgen der Guerilleros.

Der Film weiß, mit anderen Worten, sehr genau, was er alles nicht sein will: Eine kompakte Geschichtslektion, mit der faule Oberstufenlehrer ihre Stunden füllen können, will er – bei aller im Detail sicher hundspeniblen historischen Akkuratesse – zum Beispiel nicht sein, ein rau-sentimentaler Kameraderieschinken à la Hemingway ebensowenig, und ein normgerechtes Biopic mit vielsagenden Kindheitsanekdoten und dem obligaten Herzschmerz schon überhaupt nicht. Einmal bekommt Che von seiner künftigen Ehefrau Aleida Feuerschutz, das ist dann aber auch der Gipfel der Romantik. Die permanente Ausweichbewegung des Films vor allen nur erdenklichen Klischees und Genrevorgaben, sein hochkonzentriertes Nicht-Tun, dem ein Tun nicht entgegengesetzt wird, trifft nun vor allem eine Figur: Che selbst. Obwohl er im Mittelpunkt nahezu jeder einzelnen Szene steht, ist er doch auf paradoxe Weise allzeit abwesend. Das Motiv seiner doppelte Fremdheit, das immer mal wieder durchscheint – als Argentinier unter Kubanern, als Arzt unter Kriegern –, bekommt hier gewissermaßen eine dritte, nämlich die Darstellungsebene selbst hinzu. Del Toros zementenes Spiel verleiht der Figur eine monolithische, zweidimensionale Strenge, die beinah willkürlich als Charisma oder Apathie gelesen werden kann. Die Kamera, die Soderbergh unter Pseudonym mit geradezu autistischem Gleichmut führt, fängt Che am liebsten hinterrücks ein oder mit dem Kopf außerhalb des Bildrahmens. Als Zuschauer mag man da noch so sehr den Hals recken: Von diesem Guerillero Heroico wird man konsequent auf Abstand gehalten.

Während der revolutionsentscheidenden Schlacht von Santa Clara – einer atemberaubenden, mit großer Ruhe und Präzision choreographierten Straßenkampf-Sequenz, die den Film überraschend klimaktisch beschließt – gibt es eine Szene, in der sich einer der Rebellen mit einem Vorschlaghammer durch mehrere hintereinander liegende Häuserwände schlagen muss. Wie durch ein umgedrehtes Teleskop starrt die Kamera in die immer tiefer werdende Löcherflucht hinein, an deren Ende der Mann in unwirklich scheinender Ferne seinen Dienst verrichtet. Engste Fokussierung bei größtmöglicher Distanz: Besser ließe sich das Prinzip, dem CHE seine betäubende Unnahbarkeit zu verdanken hat, nicht beschreiben.

Weiter mit Teil 2: GUERILLA.











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