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BRONSON (Großbritannien 2009)

von Björn Lahrmann

Original Titel. BRONSON
Laufzeit in Minuten. 92

Regie. NICOLAS WINDING REFN
Drehbuch. BROCK NORMAN BROCK . NICOLAS WINDING REFN
Musik. diverse
Kamera. LARRY SMITH
Schnitt. MATTHEW NEWMAN
Darsteller. TOM HARDY . MATT KING . AMANDA BURTON . JULIET OLDFIELD u.a.

Review Datum. 2009-09-06
Kinostart Deutschland. nicht bekannt

Ein Mann (Tom Hardy) steht auf einer Bühne und erzählt sein Leben. Feixend, flüsternd, Popsongs schmetternd, in Harlekin-Makeup und Arbeiterhemd. Sein Publikum: eine graue, reglose Masse im Schatten, die gelegentlich in isolierte Schübe von Gelächter und Applaus ausbricht, die meiste Zeit aber totenstill ist. Der Mann – ein drahtiges Muskelpaket mit Glatze und Schnauzbart, wie ein Gewichtheber im Stummfilm – stellt sich in sanft-walisischem Nuschelton als Charlie Bronson vor, um sich kurz darauf zu korrigieren: in die Welt gekommen sei er eigentlich als Michael Peterson. Die Welt meint in diesem Fall: die reale, denn Michael Peterson / Charles Bronson gibt es wirklich. Er war kurzzeitig Bare-knuckle-Boxer (daher auch der Kampfname), beging mit 19 einen bewaffneten Raubüberfall, bekam 26 Pfund 18 Cents dafür und sieben Jahre Knast. Einmal drinnen, provozierte er durch unzählige Fälle von Körperverletzung, Geiselnahmen und Dachprotesten eine beispiellose Reihe von Urteilsverlängerungen, die bis heute andauert. Er hat über 120 mal das Gefängnis gewechselt, sein letztes Berufungsverfahren ist 2008 über die Bühne gegangen, erfolglos natürlich, wegen ungebrochener Renitenz gegen das System. In England ist der heute 57jährige ein Symbol für alles, was stinkt am königlichen Strafvollzug und irgendwie wohl auch das, was John Lennon einen Working Class Hero nannte.

Dies aber nur als Fußnote. Die Filmwelt in BRONSON ist alles, nur nicht die Realität. Ein Videoclip, eine Varietévorstellung, ein Besuch in der Großhirnrinde: das kommt schon eher hin. Der für die PUSHER-Serie bekannte Däne Nicolas Winding Refn greift mit seinem zweiten englischsprachigen Film unübersehbar nach dem Staffelstab all jener Regisseure, die in der Mainstream-Presse gern als "herrlich verrückt" apostrophiert werden, von Richard Lester bis Michel Gondry. Das Ergebnis ist eine zwie- bis dreispältige Formalflasherei, die von der Breitenwirkung her mit einem Ken-Russell-Film oder der Karriere von Guy Ritchie verglichen werden kann: Zu Anfang ist man ultimativ geblendet und eingenommen von der knalligen Melange aus Clownerie, Gewalt und Stilfibel-Eklektizismus, irgendwann beginnt man sich zu fragen, cui eigentlich bono, und am Ende guckt man genervt auf die Uhr.
Dabei fängt alles, wie gesagt, recht vielversprechend an. Eingehüllt von scharlachroten Schatten, macht Bronson splitternackt in einem engen Käfig Trockenboxübungen, kongenial unterlegt vom unheimlichsten Nicht-mehr-Popsong der späten Walker Brothers, The Electrician: "When the lights go low, there's no help, no." Dann geht eine Tür auf, durch die gepanzerte Wärter tropfenweise in den Käfig dringen. Die ersten bekommen noch mit Schmackes die Fresse poliert, bis endlich zwei Mann den wehrhaften Bronson in die Zange nehmen und ein dritter seinen Solarplexus bearbeiten kann. Als das Licht angeht, übernimmt das Blut die Farbe der Schatten. Die Szene ist eine Art Matrize, die sich im Film endlos variantenreich wiederholen wird: Bronson, nackt, Einzelhaft, Wärter, Prügel, Blut. "You kill me and kill me and kill me." Die Strafanstalt als Perpetuum Mobile, das die Gewalt, die es eindämmen soll, im Innern stets aufs Neue hervorbringt.

Doch BRONSON ist keine Prangerschrift gegen soziale Missstände, sondern eine zum Live Action Comic überspitzte Anarcho-Burleske. Im Zentrum steht Tom Hardys beeindruckende Dampfkesselperformance, die in einer denkwürdig grotesken Dialogsequenz mit sich selbst ihren Höhepunkt erreicht: das Gesicht zur Hälfte wie eine Figur aus YELLOW SUBMARINE bemalt, macht er alle paar Sekunden auf dem Absatz kehrt und hüpft nahtlos von Rolle zu Rolle. Für vollendete Nebenfiguren bleibt da kaum Platz, der Zuschauer ist praktisch die gesamte Laufzeit über Bronsons Mitgefangener in der Einzelzelle, in der er realiter 30 Jahre seiner Haft verbracht hat. Ansonsten: Typentheater, zugleich überkandidelt und dringend um Coolness bemüht: hochnäsige Gouverneure, teetrinkende Heiti-Teiti-Schwuchteln und, während eines historisch nicht verbürgten Bewährungstrips, vakuöse Nutten. Als Erzählung dient eine Kette naheliegender Bizarrerien: In der Irrenanstalt, die Charlie auch mal ausprobieren darf, scheißt sich einer in die Hände und reibt es sich anschließend ins Gesicht; der Aufenthaltsraum entpuppt sich als barocker Ballsaal, in dem die Bekloppten zu It's a Sin das Tanzbein schwingen. In den Drecklöchern der Gefängnisse dagegen: zuckersüße Verdi-Arien. Unangemessenheit als einfachstes aller satirischen Prinzipien kommt hier noch und nöcher zum Einsatz, in Bild und Ton, Wort und Tat, und markiert so den arg begrenzten Rahmen, in dem Refns herrliche Verrücktheit letztlich verbleibt. Wie der soziopathische Charmeur Bronson selbst, kann auch der Film kein Ende finden und bricht nach 90 Minuten Dauerfeuer fast willkürlich ab. Reglos verharrt das Publikum und macht keinen Mucks.











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