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BLAUBART (Frankreich 2009)

von Björn Lahrmann

Original Titel. LA BARBE BLEUE
Laufzeit in Minuten. 80

Regie. CATHERINE BREILLAT
Drehbuch. CATHERINE BREILLAT
Musik. GROUPE SKINIS
Kamera. VILKO FILAC
Schnitt. PASCALE CHAVANCE . CLÉMENTINE MARCH . SOPHIE DURAND
Darsteller. LOLA CRETON . DOMINIQUE THOMAS . DAPHNÉ BAIWIR . MARILOU LOPES-BENITES u.a.

Review Datum. 2009-03-05
Kinostart Deutschland. nicht bekannt

"Die Kättrin Breillat", schwärmte die ältere Dame im benachbarten Kinosessel, "die dreht Filme über weibliche Sexualität, das ist sehr mutig!" Abgesehen davon, dass der erste Teil dieser Aussage arg eingleisig gedacht und der zweite mindestens diskutabel ist, muss ich gestehen: Mir persönlich sind die Filmtraktate der grande dame des feministischen Kinos lange Zeit nicht auf den Keks oder die Nerven, sondern ganz dezidiert auf die Eier gegangen. Das änderte sich erst (und zwar schlagartig) mit DIE LETZTE MÄTRESSE, jenem theaterhaft eleganten und doch saftigen Kostümdrama von 2007, in dem Asia Argento wie ein brennender Vulkan durch Paris wüten durfte. Mit der nicht mehr ganz so aufregenden, dafür aber leichtfüßigen Verfilmung des BLAUBART-Märchens von Charles Perrault – einem Stoff, der immerhin schon Méliès, Lubitsch und BUFFY als Vorlage diente – setzt Breillat die stilistische Linie des vorigen Films fort: In lakonischer Fernsehästhetik und gemäldehaft kadrierten, üppig bis krude ausgestatteten Tableaux Vivants erzählt sie die bekannte Geschichte des frauenmeuchelnden Widerlings Blaubart (Dominique Thomas), dessen jüngste Gattin Marie-Christine (Lola Creton) die Leichen ihrer Vorgängerinnen entdeckt – allerdings mit ein paar nicht unbeträchtlichen Modifikationen.

Zunächst einmal hat Marie-Christine mit der ängstlichen, widerwillig zur Ehe gezwungenen Kindfrau der Vorlage wenig zu tun. Zusammen mit ihrer Schwester Anne (Daphné Baiwir) besucht sie eine Nonnenschule, aus der die beiden Mädchen unverhofft abberufen werden, als der Vater stirbt. Dergestalt zur sexuellen Mündigkeit gekommen, sehen sie sich allerdings zugleich einer plötzlichen Mittellosigkeit gegenüber, die das Vorbringen einer Mitgift (insbesondere für die ältere, reifere Anne) unmöglich macht. Während sich Mutter und Schwester tatenlos in ihr Schicksal ergeben, ist Marie-Christine die Vorstellung eines solchen Lebens unerträglich; sie entwickelt eine hemmungslose Faszination für die Dekadenz des im Volke als Mörder und Ekelpaket verschrienen Blaubart, der zu just dieser Zeit eine Art Heirats-Casting veranstaltet. Die bald folgende Hochzeit entsteht in Breillats Version also gerade nicht aus externem Zwang, sondern aus einem Akt der Rebellion Marie-Christines gegen die bedrückenden Mangelverhältnisse (denen Blaubart sogleich durch verschwenderische Mengen von Wachteleiern und Schweinskeulen Abhilfe zu schaffen weiß), sowie aus einer latenten sexuellen Rivalität mit ihrer älteren Schwester (die sich zum Zeichen ihrer Niederlage auch prompt das wallend rote Haar zu winzigen Schnecken eindreht und aus dem Spiel ist).

Dieses Rivalitätsverhältnis parallelisiert und ergänzt Breillat nun durch eine Rahmenerzählung, in der zwei noch einmal deutlich jüngere Mädchen auf einem Dachboden sitzen und sich die Perrault-Geschichte im Original vorlesen. Die große Schwester hat Angst vor der brutalen Schauermär, während die etwa fünfjährige Kleine mit immer größerer Begeisterung dem blutrünstigen Finale entgegen fiebert – auch und vor allem, weil sie sich an der Angst der Älteren bzw. ihrer erzählerischen Macht darüber zu weiden beginnt. Marie-Christines ungehemmter Wille zur Lust, der sie in ein vollkommen selbstbestimmtes Verhältnis zu Blaubart treten lässt – köstlich in diesem Zusammenhang etwa die Szene, wo ein traniger zwölfjähriger Hänfling sie aus Schloss und Schoß ihres Mannes "retten" will, wozu sie bloß süffisant die Stirne runzelt –, wird auf dieser zweiten Ebene enggeführt mit dem Genuß am maßlosen Ausschweifen kindlicher Phantasie, die freilich um ein vielfaches makaberer ist, als die stubenreinen Verdrängungskünstler vom Jugendschutz das gern hätten.

Auch die Varianten des Märchens selbst – die Perrault-Lektüre einerseits, ihre filmische Inszenierung andererseits – scheinen sich im Widerstreit miteinander zu befinden, klaffen anfangs sowohl in Erzähltempo als auch inhaltlichem Detail auseinander, um dann am Scheitelpunkt – dem Auffinden der ermordeten Frauen – in einer denkwürdigen Szene zu konvergieren: Nicht Marie-Christine, sondern die kleine Vorleserin vom Dachboden (deren absolut hinreißendes Spiel übrigens allein einen Kinobesuch lohnt) befindet sich plötzlich in jenem geheimen Kellerverließ, wo sie mit nackten Füßen durch die Blutpfütze unter den am Dachbalken festgenagelten Leichen trippelt und dazu ein beschwingtes Liedchen summt. So vereinen sich Lust und Phantasie unter einem gemeinsamen Nenner: der Neugier. Blaubart fungiert bei Breillat denn auch nicht mehr bloß als ogerhaftes Monstrum, sondern vielmehr als düsterer, verführerischer Katalysator eben jener drei unbändigen Triebkräfte. Dass selbige auch hier noch – und zwar in beiden Fällen – tödlich sind, hat konsequenterweise nichts mehr mit poetischer Gerechtigkeit oder Moralität zu tun, sondern nur noch mit der reinen, ursprünglichen, kindlichen Freude am Exzess.











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