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BLADE RUNNER: THE FINAL CUT (USA 1982/2007)

von Matthias Mahr

Original Titel. BLADE RUNNER: THE FINAL CUT
Laufzeit in Minuten. 118

Regie. RIDLEY SCOTT
Drehbuch. HAMPTON FANCHER . DAVID PEOPLES
Musik. VANGELIS
Kamera. JORDAN CRONENWETH
Schnitt. MARSHA NAKASHIMA
Darsteller. HARRISON FORD . RUTGER HAUER . DARYL HANNAH . SEAN YOUNG u.a.

Review Datum. 2007-11-05
Kinostart Deutschland. nicht bekannt

Als im Frühjahr 1993 eine Neufassung des 11 Jahre alten Films über den durchgedrehten Replikanten (das sind künstliche Menschen) jagenden "Blade Runner" Deckard (Harrison Ford) auch in die Kinos des deutschsprachigen Raumes kam, brach der Begriff Director's Cut unvermittelt in das "neudeutsche" Vokabular ein. Einige Laserdisc-Aficionados mögen bereits durch ALIENS etwas mit dem Begriff angefangen haben und eine, ob der extremen Überlänge und der recht knappen Veröffentlichung nach dem Theatrical Cut weniger eingeschlagene, Costner-Fassung von DANCES WITH THE WOLVES gab es auch bereits. Der Film, der als Initialzündung der zahlreichen folgenden, oft höchst dubiosen Marketingstrategien folgenden, Wiederveröffentlichungen in neuen Versionen zu gelten hat, ist aber zweifellos BLADE RUNNER DIRECTOR'S CUT.
Dabei hatte dieser DC seine volle Berechtigung und das, obwohl rein vom Schnitt her die Änderungen marginal waren. Ridley Scott ließ vielmehr vor allem die Off-Komentare entfernen und hiermit natürlich auch das ihm aufgedrückte, halbherzige Happy End. Im ursprünglichen US-Release vermeldete Deckard zuletzt, dass die Lebensspanne von Replikantin Rachel (Sean Young) doch nicht limitiert sei, international setzte er dem noch eine sarkastisch-kitschige Fahrt in den Sonnenuntergang drauf. Auch dieses wurde entfernt, wie auch manche brutalere Einstellungen aus der internationalen Schnittfassung.

Im nun erschienenen FINAL CUT sind jetzt diese in der US- und DC-Fassung fehlenden Einstellungen wieder da, nicht der Sonnenuntergang freilich, aber etwa die graphischere Gestaltung der Szene in der der Boss-Replikant Batty (Rutger Hauer) die Augen seines Schöpfers Tyrell (Joe Turkel) zerdrückt. Darüber hinaus sind aber die Unterschiede im Schnitt wiederum marginal. Das Verhör des Replikanten Leon (Brion James) wirkt etwas langsamer im Aufbau, ohne dass sich bei nur einmaliger Ansicht echte Abweichungen im Dialog festmachen liesen. (Auf der Viennale gab es nur eine, zudem digitale, Projektion, aus rechtlichen Gründen und zwecks Promotion von Sony war nicht mehr möglich; das Gartenbaukino, in dem der Film gezeigt wurde, ist hierfür allerdings auch bestmöglich ausgestattet.) Es scheint, dass hier wirklich nur Tempo rausgenommen wurde, was dem Aufbau der Atmosphäre aber wirklich gut tut. Auch der Flug von Deckard und Gaff (Edward James Olmos) könnte etwas länger sein, in jedem Fall springen einem vor dem Club, in dem Replikantin Zhora (Joanna Cassidy) ihre Schlangennummer abzieht, zwei auffällig gekleidete Gogo-Girls ins Auge. Das dürfte die wichtigsten Punkte, was den Schnitt betrifft, abdecken. Wie gesagt mit Vorbehalt, alles kann man wohl nicht mit einem Screening entdecken.

Die wirklich tiefgreifenden Änderungen sind aber anderer Natur. Gleich zu Beginn fallen einem die wesentlich plastischeren Flammen auf, die aus den Schloten von Los Angeles aufstoßen und im pyramidenförmigen Tyrell-Bauwerk leuchten rote Lichter. Solche digitalen Retuschen tauchen pausenlos auf, (man denke an die früher sichtbaren Kabel, an denen das fliegende Polizeiauto aufgehängt war) zum Glück aber niemals so aufdringlich wie in Lucas' Make-Up-Versionen seiner alten STAR WARS-Filme. Generell wirkt die Szenerie bunter und heller, was wohl auch, aber nicht nur, an einer neuen Lichtbestimmung liegen dürfte. Das klingt in der Theorie fürchterlich, lebt doch BLADE RUNNER vorwiegend von seiner düsteren Noirstimmung, doch Scott beweist hier verblüffendes Fingerspitzengefühl, zerstört nicht die Atmosphäre, macht eher Details sichtbar, die zuvor vorhanden, aber kaum oder zumindest viel schlechter merkbar waren. Etwa einen Mann an einer Feuerstelle in der Einstellung mit den vielen Radfahrern, knapp nachdem Batty und Leon das erste Mal im Film aufeinander treffen. Weit tiefschürfender werden solche Korrekturen, wenn sie die Augen der Replikanten betreffen. Bei der künstlichen Eule war es schon in früheren Fassungen unübersehbar, dass gegen Ende des Films Pupille und Iris einen Defekt aufweisen. Bei den menschlichen Kunstwesen Batty und Pris (Daryl Hannah) ist dieser nur auf die Pupille beschränkt und war somit bislang kaum zu bemerken, im FINAL CUT leuchtet jener Mangel aber nun so hell orange auf, dass man sich zunächst überrascht fragen könnte, was das überhaupt soll. Immerhin stellt sich die Frage, wozu es Psychotests mit Erfassung der Augenreflexe braucht, um einen Replikanten als solchen zu identifizieren, wenn man dies auch daran erkennen könnte. Die schlüssige Lösung: Der Effekt taucht ja auch im Film (bei Eule wie Menschen) erst am Schluss auf, dürfte also ein Zeichen des nahenden Todes sein.

Auch an der Tonspur wurde fleißig herumgedoktert. So ist in der schon erwähnten Flugszene plötzlich Funkverkehr zu hören, auf deutsch in der englischen Fassung. Eine kleine Unstimmigkeit im Skript wurde so auch ausgebügelt. Polizeichef Bryant (M. Emmet Walsh) erwähnt in seinem Briefing, dass sechs Replikanten gewaltsam ein Shuttle gekapert haben um zur Erde zu gelangen, von denen einer beim Eindringen in das Tyrell-Gebäude getötet wurde. In weiterer Folge jagt Deckard aber nur vier Kunstmenschen. Offenbar gab es (in einer frühen Drehbuchfassung oder gar auf belichteten Film?) ursprünglich einen fünften, der es nie in den fertigen Film geschafft hat. Auch nicht im FINAL CUT, hier spricht Bryant plötzlich von zwei Replikanten, die im Tyrell-Gebäude ihr Leben ließen, womit dieser Punkt stimmig ausgebessert wird.

Stellt sich dennoch die Frage nach der Notwendigkeit dieses FINAL CUTs. Der DC war über solche Zweifel erhaben, das vom Produzenten aufgedrückte "Happy End" war ein fürchterlicher Eingriff, der den Film ins Lächerliche gezogen hat. Ridley Scott meinte selbst, dass ihm 1992 die Zeit fehlte, den DC gänzlich nach seinen Vorstellungen zu vollenden. Da ist es leicht nachvollziehbar, dass er, da er kaum auf ein ausländisches Dupnegativ zurückgreifen wollte, die Gewaltszenen wie in der ursprünglichen US-Fassung beschnitten gelassen hat. Das ganze digitale Make-Up ist da schon eine zwiespältigere Angelegenheit, da kann er nicht erzählen, dass das seinen ursprünglichen Intentionen näher kommt. Und es ist enervierend, wenn Regisseure jetzt beginnen zu denken, sie müssen ihren alten Meisterwerken alle paar Jahre, wenn sich in der Entwicklung der Special Effects etwas getan hat, ein technisches Update verpassen. Wie schon gesagt: Scott hat, anders als George Lucas, dabei wenigstens Augenmaß bewiesen und keinen gravierenden Stilbruch begangen, sodass diese Version wohl für die Zukunft als die definitive gelten kann. Diesmal aber bitte für alle Zeit, es braucht keinen 40th ANNIVERSARY CUT mehr, selbst wenn plötzlich der "fünfte Replikant" wieder gefunden werden sollte.











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