|
Nach FREEZE ME im Jahre 2000 war es ruhig um Takashi Ishii geworden - sein exzellenter Neo Noir ALONE IN THE NIGHT ist außerhalb Japans nie erschienen, und über die S&M-Exzesse seines FLOWER & SNAKE-Reboots schweigt man sich in anständigen Kreisen aus. Dazwischen kam noch THE BRUTAL HOPELESSNESS OF LOVE, ein doppelbödiger Fetisch-Thriller mit PERFECT BLUE-Anleihen, der allerdings aufgrund minimaler Presse und beschränkter Verfügbarkeit an den meisten vorbeigehuscht sein dürfte. A NIGHT IN NUDE: SALVATION ist der erste Film nach langer Zeit, der eine nicht unbeträchtliche Erwartungshaltung zu erfüllen hat: schließlich handelt es sich hierbei um die Fortsetzung des 1993er A NIGHT IN NUDE, eine Noir-Romanze mit surrealem Touch, die damals (wer zu den glücklichen Auserwählten gehörte) recht wohlwollend aufgenommen wurde.
SALVATION ist eine Fortsetzung im Sinne einer weiteren Mike Hammer-Episode: abgeschlossener Handlungsrahmen, als einzige Konstante der verschrobene Einzelgänger Jiro (Naoto Takenaka), Privatdetektiv, Problemlöser und Mädchen für Alles. Wer den Erstling nicht kennt, bekommt trotzdem nochmal die wesentlichen Ereignisse nacherzählt, essentiell sind diese Informationen jedoch nicht. Der Film beginnt mit einem Mord: drei Frauen, Angestellte eines Nachtclubs, bringen einen gewalttätigen Freier recht unsauber um die Ecke, zerstückeln seine Leiche und verscharren sie im Wald; für Jiro beginnt das Abenteuer, als auf einmal eine Femme Fatale (Hiroko Sato) vor seiner Haustür steht und ihn bittet, eine Rolex, ein angebliches Familienerbstück, wiederzufinden. Die Uhr ist nur der Anfang; sein nächster Auftrag führt ihn in den Vergnügungs-Bezirk von Tokyo, dorthin wo die Laternen dunkelrot glühen, auf der Suche nach der verschollenen Schwester seiner mysteriösen Auftragsgeberin, und ehe er sich versieht, purzelt ihm schon die erste Leiche vor die Nase, das Oberhaupt eines Callgirl-Rings, der sich auf minderjährige Prostituierte spezialisiert hat; alles hängt irgendwie zusammen und Jiro steckt bereits mittendrin in einem klebrigen Geflecht aus Intrigen, Lügen, und einem gut gehüteten, derart abgründigem Familien-Geheimnis, daß bis zum Abspann der Boden nicht sichtbar wird. Und ist ihm die junge Frau, für die er sein Leben riskiert, tatsächlich verfallen, oder wird er nur benutzt?
Neben Naoto Takenaka kann sich Ishii auf solide Leistungen weiterer Stammschauspieler verlassen: Harumi Inoue (FREEZE ME) und das Urgestein Jo Shishido, der als dauerbesoffener Lustgreis herumpoltert, als hätte er es bewußt darauf abgesehen, nie wieder Rollenangebote für einen Familienfilm zu erhalten. SALVATION ist Takashi Ishii, wie man ihn kennt, liebt, oder hasst. Ganz der Stilist, der mehr an Archetypen eines Genres interessiert ist, als an langwierigen Erklärungen, wie seine Hauptperson jetzt an diese oder jene Information gekommen ist. Meist genügt eine wortlose Montage wie Jiro ein Bild herumreicht: ein Finger zeigt nach rechts, eine Hand nach links, und schon hebt sich der Vorhang vor dem nächsten Bühnenbild.
Exploitation vs. Emanzipation: bei Ishii geht beides. Zwar ist der Exhibitionismus seiner Frauenrollen häufig selbstzweckhaft, wird unverhohlen als Stilmittel eingesetzt um die tristeren Ecken der Handlungsorte mit visuellem Zuckerguss aufzuhellen: kaum eine Szene, in der nicht im Hintergrund sich eine Stripperin an der Stange rekelt, obszön die Schenkel spreizt, oder die Kamera voyeuristisch an übereinandergeschlagenen Beinen auf hohen Barhockern entlang streift; Takashi Ishii liebt den Sleaze, manchmal mehr und ausufernder als die Glaubwürdigkeit seiner Figuren verkraftet - wenn er sich zwischen zwei Szenarien entscheiden muß - in einer entledigt sich Hiroko Sato ihrer Kleidung, in einer anderen erzählt sie über ihre Vergangenheit - wählt er die Variante, in der sie sich entblößt und dabei berichtet. Einmal bringt gar erst eine schwüle Traumsequenz Jiro auf die richtige Spur. Dann wiederum haben starke weibliche Charaktere bei Ishii per se Tradition - ein Trademark, welches auch in SALVATION gebührend zelebriert wird: Takashi Ishii liebt seine Frauen, verehrt sie von außen wie von innen: differenzierte, traumatisierte, aber auch entschlossene Menschen, die sich mit Körper und Seele für ihre Überzeugungen einsetzen - keine Opferrollen in Ausbeutungsszenarien. Nur auf flüchtigem Blick eine Dissonanz, bei näherer Betrachtung jedoch der essentielle Plus- und Minuspol seiner Geschichten, zwischen denen sich Spannung aufbaut und letztendlich knisternd entlädt.
A Director in Nude: ein Filmemacher läßt hier teilweise ganz schön weit die Hosen runter, darüber, was ihn antreibt und anmacht; schillernd, sexy, verstörend, hin und wieder auch unfreiwillig komisch - entziehen kann man sich dem merkwürdigen Sog dieses obskuren Gebräus aus Camp, kühlem Sex, Jazz und Noir-Klischees nur schwer. Ein aus allen Fugen berstender dritter Akt mit viel zu langen Rückblenden und weit hergeholten Wendungen lässt durchblicken, daß der Film ursprünglich noch weitaus epischer und komplexer angelegt war, als es das Budget zuließ. Über seinen nicht immer gesunden Hang zur Überlänge darf man diskutieren (die internationale Fassung wird um rund 20 Minuten gestrafft), wenn Takashi Ishii jedoch etwas beherrscht, dann ist das die Art, wie er gern fetischisierte Motive seiner Bilder durch perfektes Widerspiel von Licht und Schatten, sowie knalligen Neon-Kontrasten in farbentsättigten Umgebungen, hervorhebt und veredelt: SALVATION sieht einfach verdammt gut aus, trotz Lagerhalle, Hinterhof und schmuddeligem Kneipen-Schauplatz.
Und sicherlich würde mein Atem ausreichen, ein paar ergänzende Eckdaten aufzuzählen, warum A NIGHT IN NUDE: SALVATION letztendlich doch nicht zu den besten Arbeiten seiner Filmographie gehört, ich könnte aber auch genausogut hier einen Schlußstrich ziehen, und mich einfach darüber freuen, daß Takashi Ishii wieder einen Film gedreht hat. Hoffentlich nicht seinen letzten.
|
|
|