Mit rund zweijähriger Verspätung kommen Freunde anspruchsvoller Thrillerkost hierzulande nun doch noch in den Genuss des neuen Films von Pou-Soi Cheang (DOG BITE DOG). Und die gute Nachricht gleich vorweg: Das kleine Formtief, dass sich mit der vielerorts verrissenen, aber immer noch recht solide inszenierten, Mangaverfilmung SHAMO abzeichnete scheint überwunden. ACCIDENT ist stimmungsvolles, sehr clever angelegtes Hong Kong Kino vom Feinsten.
Brain (Louis Koo) hat sich auf eine ganz besondere Art von Auftragsmord spezialisiert. Zusammen mit seinem Team (Stanley Fung als von Alzheimer geplagter Onkel, Lam Suet, Michelle Ye Xuan) lässt er die Morde wie vermeintlich zufällige Unfälle aussehen. Bei einem missglückten Auftrag kommt schließlich ein Teammitglied ums Leben und obwohl alles nach einem Unfall aussieht, glaubt Brain nicht recht an eine Verkettung unglücklicher Umstände. Brain wird zunehmend paranoider und sieht im Versicherungsvertreter Chan (Richie Ren) einen möglichen Drahtzieher. Doch auch die restlichen Teammitglieder scheinen verdächtig.
Pou-Soi Cheang angenehm unaufgeregte Inszenierung kippt glücklicherweise nicht in Richtung Splattermovie und zeigt die arrangierten Unfälle präzise gefilmt und realitätsnah, aber nie aus einer voyeuristischen Perspektive. Die Sequenzen werden nicht als dramaturgische Highlights präsentiert, sondern dienen vorwiegend der Storyentwicklung. Nichtsdestotrotz sind die Szenen faszinierend gedreht. In ruhigen und exakten Einstellungen fängt die exzellente Kamera grandiose Bilder ein, die der Produktion auch auf der optischen Ebene den letzen Schliff verpassen. Darüber hinaus ist auch die musikalische Untermalung perfekt auf das Geschehen fokussiert. Im kongenial aufeinander abgestimmten Zusammenspiel von optischer und akustischer Ebene offenbart sich schlussendlich auch die größte Stärke des Films.
Einige wenige Logikfehler und kleine Längen im Mittelteil sind verschmerzbar, denn der Regisseur hält zum Ende hin noch die eine oder andere Überraschung bereit. Die facettenreich angelegten Charaktere können als weitere Pluspunkte verbucht werden. In diesem Kontext wird auch der Einfluss von visionären Regietalenten wie Johnnie To deutlich. Die Charaktere in ACCIDENT sind wortkarge Profis, perfekt in der Ausführung ihrer Arbeit, aber von tief schürfender Melancholie erfüllt. Pou-Soi Cheang arbeitet zudem erneut mit einem sehr brüchigen Konzept von Protagonist und Antagonist. Erst im Schlussdrittel kristallisieren sich Fronten heraus, die aber, soviel sei verraten, durchlässiger scheinen als man denkt. Wirkliche Sympathieträger gibt es nicht und ähnlich wie in DOG BITE DOG wird dadurch auch eine Grunderwartung von Seiten des Rezipienten unterlaufen. Der Film schafft es jedoch diese unkonventionelle Herangehensweise zu nutzen. Die, im Kern sehr düstere, Geschichte macht nämlich eigentlich erst durch die Figuren richtig Sinn und erhält dadurch ihren primären Reiz.
Insgesamt gesehen ist ACCIDENT ein sehr sehenswerter Thriller geworden, der eindrucksvoll belegt, dass aus Hong Kong auch nach wie vor innovative, vom Mainstream entfernte aber nie zu verkopft erzählte, Filme produziert werden. Ein echter Geheimtipp, der die Entdeckung lohnt.
ACCIDENT wurde am 21.10.2011 von Lighthouse Home Entertainment auf Blu-ray und DVD veröffentlicht.
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