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Wolfgang Büld ist ein Filmemacher der besonderen Art. Er pendelte während seiner gesamten Karriere zwischen kommerziellen Mainstream und Independent. Trotz seiner Altersgleichheit mit den Regisseuren des neuen deutschen Films, konnte er mit dieser Richtung nie etwas anfangen. Als Fassbinder, Wenders und Kluge die Filmszene beherrschten, zog er lieber mit Klaus Lemke (ROCKER) und Eckhard Schmidt (DER FAN) durch Münchens Partyszene und lebte den gepflegten Exzess. Seine bekanntesten Werke sind wohl seine Klamotten GIB GAS – ICH WILL SPASS und MANTA, MANTA. Fragt man aber mal in der Punkszene nach, genießt sein PUNK IN LONDON von 1977 weltweit kultische Verehrung. Mit dem Spielfilm BRENNENDE LANGEWEILE zeichnete er 1978 ein Portrait der erwachenden Punkszene in der deutschen Provinz und als Hauptdarsteller gibt es immerhin die Adverts zu sehen. Es folgten BRITSH ROCK und WOMEN IN ROCK, die beide die Nachwirkungen des Punk um das Jahr 1980 untersuchten. Später folgten mit BERLIN NOW mit den Einstürzenden Neubauten, JAPLAN oder I’LL NEVER GET OUT OF THIS WORLD ALIVE – A SEARCH FOR HANK WILLIAMS SR. weitere musikorientierte Werke, die parallel zu seiner mittlerweile begonnen Kommerzkarriere entstanden.
Die 1980er Jahre waren größtenteils bestimmt durch Klamauk und Geldverdienen, bis dann Ende der 1990er Jahre ein erneuter Bruch erfolgt. Büld beginnt wieder unabhängig zu arbeiten. Er dreht, die Filme, die er immer machen wollte: Exploitation-Filme, B-Movies. Mit PENETRATION ANGST ist es ihm ab 2003 gelungen, erheblich zu irritieren. Nicht richtig Horror, blutig, aber kein Splatter, Sex zwar, aber nicht wirklich schmuddelig, Trash, aber mit versierter Technik. Es folgte aktuell LOVESICK: SICK LOVE, der ähnliche Attribute aufweist und sein neuestes Werk sieht im Rohschnitt ebenfalls vielversprechend aus.
Das folgende Interview fand im April 2005 in Bülds Hamburger Apartment statt. Das Gespräch wurde durch reichlichen Bierkonsum beider Gesprächspartner begleitet. Büld ist ein unterhaltsamer und sehr ironischer Gesprächspartner, der bei seinen reichlichen Rundumschlägen sich auch selber nicht ausspart. Sein Gedächtnis-Archiv an Anekdoten ist phänomenal und bietet immer wieder Stoff für reichliches Schmunzeln.
Das Interview ist in die vier Kapitel PUNK UND DIE 70ER JAHRE, NEUE DEUTSCHE WELLE, EXPLOITATION und ZUR PERSON WOLFGANG BÜLD unterteilt.
Viel Spass beim Entdecken des seltsamen Universums des Wolgang Büld.
Wie bist Du zum Film gekommen?
Ich bin ja in der Provinz in Lüdenscheid großgeworden und wollte da unbedingt weg. Deswegen musste ich mir einen Beruf aussuchen, den man da nicht ergreifen konnte, wobei mein Wunsch eigentlich war, Kriminalschriftsteller zu werden. Mein Vorbild war Mickey Spillane. Als ich mit 15 oder 16 anfing, selber zu schreiben stellte ich fest, dass ich die Bilder im Kopf habe, aber Schwierigkeiten habe, die richtigen Worte zu finden. Ich vermutete, dass Film doch eher das richtige für mich wäre. Ich bin dann mit 18 nach Berlin gegangen und als meine damalige Freundin einen Regisseur, von dem man nie wieder was gehört hat, heiratete, dachte ich mir, was der wohl hat, was ich nicht habe. Das ist der Beruf, so schien es mir und so bin ich zum Film gekommen.
Du bist dann an die Universität gegangen?
Ich habe erst versucht, mich praktisch hochzuarbeiten. Allerdings: Anfang der 1970er Jahre war der deutsche Film dermaßen in der Krise, dass es praktisch gar keine Möglichkeiten gab, überhaupt irgendwas zu machen. Ich habe dann bei der Berliner Filmhochschule die Aufnahmeprüfung gelesen "Die Auswirkung der Ölkrise auf eine Arbeiterfamilie". Ich war selber Lagerarbeiter und habe mir aufgrund der Ölkrise ein Mercedes-Cabriolet günstig kaufen können, was wohl nicht das war, was die bei der dffb hören wollten. Ich habe mich dann in München beworben, weil ich hoffte, dass dort mehr der Schöngeist regiert. In deren Aufnahmeprüfung hieß es dann jedoch "Recherchieren Sie eine Arbeitsweltsituation und schreiben Sie einen Kurzfilm darüber". Nachdem ich in Lüdenscheid auf Ersatzteile für meinen Mercedes warten musste, traf ich eine alte Freundin wieder, die in einer Striptease-Bar arbeitete. Von der habe ich mir ein paar Geschichten erzählen lassen und habe dann die Arbeitswelt-Reportage STRIPTEASE-LOKAL geschrieben, in dem ich nie drin war, weil ich mich nie reingetraut hätte. Das war dann so überzeugend, dass ich fortan in München als der Wallraff der Stripteaselokale galt und bin dann an die Münchner Filmhochschule gekommen.
Wie kam es zu Deinen Musikfilmen und vor allem zu PUNK IN LONDON?
Ich hatte dann zwei Kurzfilme an der Filmhochschule gedreht und den zweiten habe ich hemmungslos überzogen, weil ich die Mechanismen kannte, wie man bei der Bavaria und der Filmhochschule Sachleistungen in Anspruch nehmen konnte. Das ist bei der Hochschule allerdings nicht so gut angekommen. Man sagte mir, wenn ich überhaupt einen Abschlussfilm machen will, dann nur eine Dokumentation und möglichst weit weg von München. Da mich nun Dokumentarfilme überhaupt nicht interessierten - genauso wenig wie die Realität - und neben Film mich nur noch die Musik begeisterte, bekam ich natürlich das Phänomen Punk in England mit. Das war 1977. Ich kannte Punk als NME-Leser zwar schon seit 1976, aber 1977 wurde es ja erst wirklich populär. Ich trug meinen Professoren vor, dass es in England so was wie Punk gibt und ich da was drüber machen will. Sie mögen mir bitte den Flug bezahlen und ich fliege nach London und schau mir das mal an. Eigentlich hatte ich den Hintergedanken, zurückzukommen und das Projekt abzusagen, weil London nicht passen würde, um dann doch einen Kurzspielfilm machen zu dürfen. Ich fand es in England dann allerdings so faszinierend und von der Energie, die dort herrschte, war ich dann so begeistert, dass ich drei Wochen später mit einem Miniteam wieder nach London flog.
Wie lange bist Du in London geblieben?
Zwei Wochen. Ich glaube, wir haben zwölf Tage gedreht. Wir hatten ein permanentes Problem, das darin bestand, sich pausenlos entscheiden zu müssen. Man hat ins Time-Out geguckt und musste dann zwischen den Boomtown Rats, Siouxsie and the Banshees oder Generation X auswählen.
Warst Du Teil der Londoner Punkszene oder warst Du Zaungast?
Ich war in der Beziehung Teil der Szene, als dass ich musikalisch vorgebildet war und wusste, was mich da erwartete. Durch die Musik, die ich von Kindheit an gehört hatte, war Punk die logische Weiterentwicklung. Es war eine Szene, die im entstehen war und erst später diesen elitären Touch bekommen hat, mit Irokesen-Pflichtfrisur und so was. Wenn man sich dafür interessierte und so drauf war wie die Leute, war man sofort Teil der Szene. Ich habe den Unterschied bei älteren Freunden oder Bekannten gemerkt, die - immer noch Stones-Fans - meinten, "das kennen wir doch alles, Punk ist doch nichts Neues". Ich dagegen war 24 und somit nur unbedeutend älter als die meisten Leute aus der Szene. Und somit gab es die Trennung zwischen mir als Zuschauer oder als Teil der Szene nicht.
Hattest Du Kontakte zu den Bands über das rein Geschäftliche hinaus?
Das ging schneeballmäßig. Wir hatten anfangs ein paar Adressen von Journalisten in England bekommen von den kleinen Labels wie Stiff oder Rough Trade, die uns die guten Bands nannten und den Kontakt herstellten. Man ist da nicht wie ein Fernsehteam aufgetaucht und hat den Auftritt gedreht sondern ist natürlich vorher zusammen ein Bier trinken gegangen und hat gesehen, ob man mit denen auskommt oder nicht. Außerdem haben wir auch viel in Übungsräumen gedreht. Und so ging das dann weiter. Bands, mit denen wir gedreht haben, empfahlen uns anderen Bands und plötzlich bekamen wir viele Anrufe von Leuten, die Interesse hatten. Das heißt, wir waren relativ schnell integriert.
Deine späteren Filme wie BRITISH ROCK oder WOMEN IN ROCK behandeln ja die Auswirkungen des Punk auf die Musik zum Jahrzehntwechsel 70er/80er Jahre. Was hat sich in den drei Jahren in der Musik verändert?
Drei Jahre waren damals eine halbe Ewigkeit. Als wir 1977 PUNK IN LONDONdrehten waren z.B. The Clash und The Jam bereits populär und hatten auch schon eine oder zwei LPs draußen. Aber The Jam haben wir noch in einem Club gedreht, wo keine 1000 Leute reinpassen. Und zwei Jahre später, 1979, als wir BRITISH ROCK drehten, haben die die größten Hallen gefüllt. Plötzlich war das, was zwei Jahre zuvor eine neuaufkommende Underground-Bewegung war, kommerzieller Mainstream. Für die Bands war das sehr unterschiedlich. The Clash z.B. haben zu anfangs einen sehr sozialkritischen Hintergrund gehabt, wollten aber natürlich auch ihren Erfolg haben. Die mussten dann ein paar Verrenkungen machen. Das Publikum ging damit streckenweise sehr kritisch um, in England weniger krass als in Deutschland, wo es ja hier in Hamburg beim Konzert zu Tumulten kam und das "Sold-Out" wesentlich kritischer angemerkt wurde, als in England. Dort ist der Beruf "Pop-Star" ja ein ganz normaler, was ich sehr angenehm fand und weswegen ich mit Punk in Deutschland auch nie was zu tun gehabt habe. Diese Armutsgelübde, was in Deutschland üblich ist und das "Erfolglos-sein-müssen", was ja auch eine typisch deutsche Eigenschaft ist, gibt es in England überhaupt nicht. Glen Matlock ist zwar bei den Sex-Pistols rausgeflogen, weil er sich vom ersten Geld einen MG gekauft hat, aber die Toleranz gegenüber dem Popstarimage war sonst eher normal. Zumal die Stars des Progressive- und des Glamrocks es den Punkbands ja vorgelebt haben, das man als Star ein gutes Leben führen kann. Die Punks, die ich kennen lernte, wollten - trotz ihrer kritischen Haltung eher gegenüber den arrivierten Bands - sich trotzdem ein luxuriöses Leben mit Swimmingpool und allem erlauben.
War das der Grund, weshalb Du bei Deinem Film über die erwachende deutsche Punkszene BRENNENDE LANGEWEILE mit einer britischen Band, nämlich den Adverts zusammengearbeitet hast?
Den Film haben wir 1978 gedreht und das war ein sehr frühes Erwachen. Was gab es damals? PVC in Berlin, Big Balls & the White Idiot in Hamburg, die Straßenjungs aus Frankfurt und Düsseldorf war im Erwachen. Dorther sind dann ja auch Leute von z.B. den Fehlfarben und anderen später wichtigen Bands, die bei BRENNENDE LANGEWEILE als Komparsen vor der Bühne hüpfen. Ich muss aber gestehen, da ich mehr Zeit in England zubrachte und mir auch die britische Arroganz angeeignet habe, dass alles, was nicht aus England kam, zweitklassig ist, mich um die deutsche Entwicklung nicht so gekümmert habe. Als dann ein paar Jahre später ein Anruf aus Düsseldorf von einem Freund von mir kam, der mir mitteilte, er spiele in ’ner Band namens Die Toten Hosen, dachte ich nur "ein Hobby soll der Mensch haben", habe es aber nicht weiter ernst genommen. Dass sie später Millionäre werden, habe ich damals nicht erwartet.
Wie kam es bei BRENNENDE LANGEWEILE zu der Zusammenarbeit mit den Adverts? Immerhin ja damals einige Jahre schon ein recht großer Act.
Ich fand damals die Bassistin Gaye Advert gut, wie alle Leute, die sich damals für Punk interessierten. Sie war neben Debbie Harry das Posteridol. Das war der Hauptgrund. Allerdings hatte ich mit denen vorher nur schlechte Erfahrungen gemacht, denn bei PUNK IN LONDON war das unser erster Gig, den wir drehten. Die spielten im Marquee und es war übermäßig voll. Wir hatten unser Equipment beim Mixer aufgebaut und der Kameraassistent sollte noch mal raus, um was aus dem Auto zu holen und kämpfte sich durch die dichtgedrängte Masse. Als er nach einer halben Stunde noch nicht wieder da war, ging der Kameramann ihn suchen, worauf der Tonmann meinte, er habe dann ja auch nichts zu tun und holte sich ein Bier. Als dann alle weg waren, fing der Gig an und ich habe dann alleine mitgedreht bis der Schlagzeuger aufgrund der Hitze ohnmächtig wurde und das Konzert abgebrochen wurde. Der zweite Versuch mit den Adverts war dann ein Interview - das hat auch geklappt, aber das Tonband ist verlorengegangen. Der dritte Versuch war dann unter dem Verzicht, am selben Abend Siouxsie and the Banshees oder Generation X zu filmen, in Coventry, ca. 100 km vor London. Dort wollte dann aber der Veranstalter keine Filmaufnahmen bei Punkkonzerten, weil er Angst um seinen Ruf hatte, da dort auch andere Sachen stattfanden. Wir waren sehr verärgert aber die Band war völlig desolat. Der Sänger TV Smith saß unterm Tisch mit dem Kopf zwischen den Beinen und ich dachte, das ist eine gute Band um einen Film drüber zu machen, zumal wir für die Love-Story auch eine Band mit einem weiblichen Bandmitglied brauchten. Ausser Siouxsie gab es da keine und ’ne Sängerin wollte ich nicht und Siouxsie hätte es auch nie gemacht. So habe ich dann den Manager kontaktet, der die Idee sehr gut fand. Was er - aber ich nicht - wusste: Die Band hatte eine große Antipathie gegen Film, Fernsehen und alle Medien. Er hat der Band dann erzählt, es würde eine große gefilmte Deutschlandtour geben, von Dreharbeiten für einen Spielfilm hat er vorsorglich geschwiegen. Ich habe das am ersten Drehtag erfahren. Also mussten wir den Film so einrichten wie die Realität. Ärger an der Grenze, Ärger im Hotel und Ärger mit der Polizei war ihr Alltag und daher für sie sehr nachempfindbar. Sie merkten zwar, dass sie im Film waren...einige zumindest, denn ein Teil der Band war so verdrogt, dass die gar nichts mehr gemerkt haben. Es war sehr schwierig, das so einzurichten und hat sich natürlich auch auf die Dreharbeiten ausgewirkt. Wir hatten sehr wenig Geld, in Wuppertal war das Hauptquartier, wo wir in mittelmäßigen Pensionen wohnten, die wir wohl in zwei Wochen vier mal gewechselt haben, da es immer Auseinandersetzungen mit den nichtenglischsprechenden Portiers gab. Roadent (der Roadie) hat dann nach einer Schlägerei mit dem Besitzer eines Hotels im Produktions-Van geschlafen, was morgens zu einem etwas schlechten Geruch in unserem Wagen führte.
Gaye Advert hat aber in dem Film richtig Spielhandlung gehabt.
Das war sehr schwierig. Sie war zu der Zeit nicht ganz so fit, aus diversen Gründen. Das merkt man im Film daran, dass es immer sehr abrupt war, wenn sie stehen bleiben musste. Das lag daran, dass immer irgendjemand ihre Füße festhalten musste, weil sie die Positionen nicht halten konnte. Außerdem hatte sie wenig Lust mit Ian (dem Hauptdarsteller) zu spielen, weil sie der Meinung war, im Ausland nie ohne ihren Freund, also TV Smith, aus dem Haus zu gehen. Sie würde also nie jemand kennen lernen im Ausland und das ganze sei unrealistisch. Es soll ihr gut gehen, wie ich hörte. Roadent hat sie kürzlich getroffen und mir erzählt, dass sie jetzt Behördenangestellte in London sei.
Nach den Punkfilmen kamen recht zügig die NDW-Filme, allen voran GIB GAS - ICH WILL SPASS. Wie kam es dazu?
Ich wollte ja immer Fiktion machen. Die Dokumentarfilme waren eher Hobby. Aus diesem Hobby kamen die angenehmen Nebeneffekte, Stars kennen zu lernen, Backstagepässe zu bekommen und das Rock'n'Roll-Leben kennen zu lernen. Als ich dann wieder Fiktion machen wollte, haben mich viele Leute gefragt: "Deine Musiksachen laufen doch so gut, warum denn nun so etwas?". Also wusste ich, für mich gibt es den Übergang zur Fiktion nur über die Musik. Hinzu kam, dass ich 1978/79 eine Geschichte geschrieben habe: Die nackte Gewalt. Dort ging es um einen Punkmusiker in West-Berlin, der seine Band verlässt, dann drei Tage nur besoffen ist. Die Handlung setzt ein, wenn er in einem Hotel neben einer toten Frau aufwacht, nicht weiß, wie sie dahin kam und auch nicht wie er dorthin kam. Er kommt dann aus West-Berlin nicht heraus, welches ja zu der Zeit noch eingebettet in der DDR lag und ist gezwungen, den Mord zu klären, um seine Unschuld zu beweisen. Auf die Aufklärungsarbeit hat er natürlich gar keine Lust und geht dann auch nicht vor wie normale Ermittler und gerät an üble Abgründe aus Drogen und Snuff-Pornos mit den brutalsten Szenen, die ich heute noch nicht mal drehen würde. Das war damals nicht finanzierbar, bzw. ein Finanzier, der vorher so’n Quatsch wie Fassbinder produzierte, bot mir zwar was an, was aber platzte. Die Reaktion der FFA auf unseren Versuch, den Stoff auf Förderung umzuschreiben, war, dass dieser widerliche Sado-Maso-Stoff nie gedreht werden würde.
Trotzdem wollte ich diesen Stoff unbedingt machen und dachte mir, erst mal einen Blockbuster vorzuschieben, damit ich bei Produzenten Vertrauen gewinne und diese mich dann auch so eine Sache machen lassen. Mein Plan, Musik und Film zu verbinden kam zeitgleich zur Neuen Deutschen Welle in der kommerziellen Form. Ich sah aber auch die filmische Möglichkeit durch Nena und Markus und die anderen bekannten Bands gegenüber den Leuten, die es vorher gab - Lindenberg und Nina Hagen. Was hätte man mit denen für einen Film drehen sollen?
Mit Nena und Markus konnte man relativ normale Teenie-Geschichten erzählen und obendrein hatte ich ein gewisses Faible für Peter-und-Conny-Filme und 50er-Jahre Kitsch. Bei GIB GAS - ICH WILL SPASS war es aber noch komplizierter, denn ich hatte mit meinem damaligen Geschäftspartner Georg Seitz das Phänomen NDW erkannt und einen Trio-Film geschrieben, der eigentlich sehr witzig und subversiv war. Drei Lehrer werden auf dem Weg zur Arbeit mit drei ausgebrochenen Irren verwechselt und die Irren landen als Lehrer in der Schule und die Lehrer in der Anstalt. Nena und Markus sollten eigentlich nur Nebenrollen spielen. Sie war z.B. die Tochter des perversen Hausmeisters, der von Kurt Raab gespielt werden sollte. Leider ist dann Trio kurzfristig ausgestiegen und es blieben uns Nena und Markus und Extrabreit. Falco sollte noch dazukommen, ist aber auch kurzfristig wieder ausgestiegen. Der Film wurde dann leider nicht so parodistisch auf die 50er-Jahre-Filme, wie ursprünglich geplant, sondern wurde doch ein reiner Schlagerstreifen. Durch die ständigen Umbesetzungen hatten wir bei Drehbeginn eigentlich kein Drehbuch, sondern eher ein besseres Treatment. Die Musik hatten wir auch nicht, weil Nena die gerade erst aufgenommen hatte und mit einem Demo ans Set kam, worauf wir dann Szenen einrichteten. Alles war ziemlich zusammengestückelt. Aber ich glaube, dass er zu dem Phänomen Nena und dieser Art der NDW ganz gut passte, denn wenn er intelligenter gewesen wäre, hätte er seinen Erfolg nicht gehabt.
Eine Frage der Zuschauer des Filmes in den 1980er Jahren haben sich sicherlich viele Leute gestellt: Waren Nena und Markus ein Paar oder nicht?
Kann man heute drüber reden? Ich glaube, ja.
Ja, sie waren tatsächlich. Nachdem mittlerweile auch raus ist, dass Nena mit Udo Lindenberg liiert war, kann man wahrscheinlich auch dieses Geheimnis lüften.
Parallel dazu hast Du ja Deine Liebe zur ungewöhnlichen Musik nicht verloren. Du hast JAPLAN gemacht, einen Film über die Japan-Tournee von Der Plan. Du hast BERLIN NOW gemacht, wo unter anderen die Einstürzenden Neubauten in einer sehr intensiven Sequenz, betrunken um ein Lagerfeuer tanzend, zu sehen sind. Du hast das EISGEKÜHLTER BOMMERLUNDER-Video von den Toten Hosen gemacht, um welches sich ja auch Gerüchte ranken. Z.B. dass es verboten werden, bzw. die Kirche, die als Drehort fungierte, neu geweiht werden musste.
Das ist alles wahr. Mit den Toten Hosen war ich ja befreundet. Trini (Trinpop), der damalige Schlagzeuger und ich hatten die Idee, so eine Massenhochzeit zu machen. Damals hatte der Achternbusch so einen Film gedreht, wo auch so eine Kirche drin vorkam, deshalb gab es in ganz Bayern oder sogar bundesweit ein Kirchendrehverbot. Der geneigte Zuschauer wird in GIB GAS - ICH WILL SPASS eine kleine Kirche sehen, wenn die zum Flughafen fahren. Die war uns beim Drehen aufgefallen. Und da haben wir jemanden gefragt, der sich als der Bürgermeister des Ortes herausstellte, der natürlich Beziehungen zum Pfarrer hatte. Die Kirche sei nur benutzt worden, um irgendwelche Tiere zu weihen. Also wurden da wohl Kühe durchgeführt oder so was Absurdes. Und dann haben wir ihm erzählt, dass wir einen Film über eine jungen Band machen, die da heiraten wollen, da auch in jungen Jahren das Sakrament der Ehe hohes Ansehen genießt. Er fand das toll, hat den Pfarrer klargemacht und gab uns den Schlüssel. Die Toten Hosen wollten dann möglichst dicke abstoßende Frauen haben, die wir dann auch gecastet haben, u.a. Marianne Sägebrecht, die damals auch nur in München bekannt war. Als Pfarrer hatten wir Kurt Raab, mit dem es etwas anstrengend war. Anfangs sagte er, ihm sei kalt, worauf hin jemand in die nächste Kneipe ging und ihm einen Cognac holte. Kurt hat ihn dann runtergekippt und sagte dann: "Du weißt, ich bin Alkoholiker, jetzt muss ich weitertrinken." Und je leerer die Flasche und umso voller Kurt wurde, umso schwieriger wurde es. Er hat nur rumgebrüllt, wollte alles anders haben und ist dann irgendwann sturzbetrunken vor die Kirche gewankt, um im Talar an die Kirchentür zu pinkeln. Ich bin ihm dann nachgegangen und sah draußen allen Ernstes einen Wagen mit drei Nonnen vorbeifahren. Das war eine Szene, die ich mich nie zu drehen gewagt hätte, weil sie mir niemand geglaubt hätte. Wir haben den Dreh dann trotzdem erfolgreich beendet und das Video fertiggestellt. Der Bayerische Rundfunk wollte das dann ausstrahlen, es wurde aber aus "technischen Gründen" aus der fertigen Sendung genommen. Über diese technischen Gründen durfte ich dann gemäß Info vom BR nie sprechen. Es ging wohl doch mehr um die Verletzung religiöser Gefühle und das Video wurde dann erst ca. vier oder fünf Jahre später beim WDR im Rahmen einer Dokumentation über die Toten Hosen geschnitten gesendet.
Und musste die Kirche wirklich neu geweiht werden?
Der ehemalige Bürgermeister dieses Ortes hat sich dann später bei uns noch mal beschwert, dass die Kirche wirklich neu geweiht werden musste und die CSU nach dem Dreh zum ersten mal in der Nachkriegszeit in diesem Ort die Wahl verloren hatte. Das ist dann für mich der Beweis, dass Filme politisch doch etwas bewegen können. Sogar mehr als Michael Moore in Amerika erreicht hat.
DER FORMEL-1-FILM war doch ursprünglich anders konzipiert als das fertige Ergebnis?
Ja, nach dem Erfolg von GIB GAS - ICH WILL SPASS haben wir natürlich versucht, meine Nackte-Gewalt-Idee wieder zur verwirklichen. Nun sagten aber alle, ich sei doch so erfolgreich mit dem Schlagerkram, ich solle bloß weitermachen. Und nach der Nichtausstrahlung des EISGEKÜHLTER BOMMERLUNDER-Videos, platzte auch mein Traum, Musikvideos zu drehen. Alle Plattenfirmen haben sich zwar über das Video totgelacht, wollten ihre Videos aber auch ausgestrahlt sehen. Dann bin ich also mit der Capri-Film pleite gegangen. Danach kam das Angebot für den FORMEL-1-FILM, worauf ich dann ein Buch schrieb, was bedeutend härter war und wo nicht Limahl, sondern Billy Idol die Hauptrolle spielen sollte und Motörhead statt Meat Loaf und Bananarama statt der Flirts besetzt werden sollten. Dann ist die Bavaria eingestiegen und hat einen Autoren ihrer Wahl eingesetzt, der das ganze dann sehr "verbessert" hat und es ist DER-FORMEL-1-FILM in der jetzigen Fassung dabei rausgekommen.
Irgendwann kam ja der Bruch mit dem kommerziellen Kino. Du warst in deinem Metier ja durchaus etabliert und hättest wohl bis in alle Ewigkeit weiter solche Filme drehen können. Wie kam es zu dem Bruch?
Der letzte Kommerz-Film, den ich gemacht habe, war DER TRIP - DIE NACKTE GITARRE 0,5 und der war eine Tragödie. Wohl der schlechteste Film aller Zeiten. Ein Projekt, wo die Chemie mit dem Produzenten überhaupt nicht stimmte und wo in drei Monaten dreizehn Bücher geschrieben wurden, die immer schlechter wurden. Die Dreharbeiten waren die Hölle. Das Drama war jedem bewusst, der daran beteiligt war. Irgendwann ist mal ein Scheinwerfer umgekippt und abends haben der Regieassistent, die Hauptdarstellerin und ich gesagt, wir hätten alle gehofft, dass er uns auf den Kopf fällt, damit wir diesen Film nicht fertig machen müssen. Das gab mir dann zu denken.
Parallel zu meinen Kommerzsachen habe ich immer Bücher mit meinen Ideen geschrieben, was ca. ein Drittel meiner Zeit beanspruchte und weitere zwei Drittel wurde für Projekte beansprucht, die nie gedreht wurden. Und da ich damals wie jetzt mein Geld mit Drehbüchern für Fernsehserien verdiene, dachte ich mir, dass ich mit dem Geld Filme mit geringem Budget produzieren kann, die mir selber gefallen. Da habe ich als ersten Versuch DROP OUT – NIPPELSUSE SCHLÄGT ZURÜCK zusammen mit Beatrice Manowski (NEKROMANTIK) gemacht. Das war eine teure Erfahrung, denn wir hatten doch sehr unterschiedlich Vorstellungen und Beatrice hat sich durchgesetzt. Der Film war viel teurer als geplant, alleine die Post-Production hat ein Vermögen verschlungen. Dann ist der Film von Progress - leider sehr lieblos - ins Kino gebracht worden. Ich habe dann später erfahren, dass Progress von der Katholischen Kirche gekauft wurde und glaube, dass die den Film nur gekauft haben, damit ihn keiner zu sehen bekommt. Obwohl ihn wohl auch sonst keiner gesehen hätte. Und dann hatte ich die Nase voll...es war wohl 1998 und habe dann ein paar Jahre gebraucht, um ein paar hunderttausend Schulden mit Drehbüchern für Fernsehserien abzuarbeiten.
Du erscheinst ja häufig auch nicht als Regisseur von DROP OUT.
Wir haben den Film gemeinsam geschrieben und inszeniert, aber sie hat sich immer durchgesetzt und deshalb ist es eigentlich ihr Film. Wir haben dann meinen Namen bewusst rausgehalten, weil wir dachten, er sei als Regie- und Schauspiel-Projekt der jungen Nachwuchsregisseurin, die die Hauptrolle bei NEKROMANTIK- gespielt hat, besser zu vermarkten, als wenn der abgefuckte MANTA MANTA-Regisseur mal wieder einen Film gemacht hat.
Nach meiner intensiven Geldverdienphase bin ich dann 1999 nach London gekommen, weil Salvation-Films Interesse hatte, PUNK IN LONDON herauszubringen. Da hat mir dann Nigel Wingrove von Salvation über die Independent-Szene in London erzählt, z.B. SACRED FLESH, den Nonnen-Sex-Film, den er für 40.000 Pfund gemacht hat. Oder auch CRADLE OF FEAR, den Cradle of Filth-Horror-Film, der auch nicht mehr gekostet hat. Da sah ich dann eine interessante Möglichkeit, für bedeutend weniger Geld gute Filme zu machen. Dann bekam ich mit, dass man dort engagierte Teammitglieder und hochwertige Schauspieler für praktisch nichts bekommen kann, weil es dort keine Daily Soaps oder bescheuerte Serien gibt. Nach diesem Gespräch hatte ich eine schlaflose Nacht in meinem miesen Bed-and-Breakfast, weil ich überlegte, was man für diesen Markt produzieren kann. Ich hatte mehrere Ideen. Eine über eine Frau, die beim Sex Männer verschlingt, eine über siamesische Zwillinge und eine über ein Bankräuberpärchen, die an einem FKK-Strand landet. Am nächsten morgen war dann aus diesen drei unausgegorenen Ideen der Plot für PENETRATION ANGST entstanden.
War das der Moment, wo Du wusstest, dass Du nun endlich die Filme machen kannst, die Du immer machen wolltest?
Ich wusste, 40.000 Pfund, rd. 60.000 Euro kriege ich durch die Drehbucharbeit für Serien zusammen. Es war auch angedacht, dass Salvation co-produziert. Wir haben lange zusammengearbeitet und sie waren auch sehr hilfreich. Sie haben z.B. das Casting gemacht, wo ich sehr überrascht war, dass wir 400 Bewerberinnen für die Hauptrollen hatten, die alle hochqualifiziert, gut ausgebildet, diszipliniert und sehr professionell waren. Also das Gegenteil von deutschen Darstellern. Auf diesem Zwei-Tages Casting erschien auch Fiona Horsey, die sofort engagiert wurde. Alles lief sehr smooth and easy. Nachdem Salvation leider ausgestiegen war, mussten wir den Film von meinen 50.000 Euro machen. Daher sind wir auf die Isle of Wight ausgewichen, weil es dort billiger war.
Du bist ja nun wieder Independent-Regisseur. Was andere Leute in jungen Jahren machten, verwirklichst Du Dir nach 20 Jahren Kommerzialität. Wie finanzierst Du Deine Filme?
PENETRATION ANGST und LOVESICK: SICK LOVE sind vollkommen selber finanziert. Mein neuer Film mit den Arbeitstiteln FINAL CUT, TANTRUM oder TWISTED SISTERS ist aus den Rückflüssen der anderen Filme und Garantien des deutschen Vertriebs Epix-Media finanziert worden.
Eigentlich wirken die Filme Deiner neuen Phase ab PENETRATION ANGST ja eher jugendlich. Ungewöhnlich in Deinem Alter, oder?
Das komische war, dass wir für PENETRATION ANGST auf Motivsuche in Camden waren. Es war mein fünfzigster Geburtstag. Und dort fiel mir ein, dass ich an derselben Stelle auch an meinem fünfundzwanzigsten Geburtstage stand, weil The Clash dort ihren Probenraum hatten. Dort dachte ich dann, ob ich nun gar nicht weitergekommen bin oder ob sich mein Leben im Kreis gedreht hat. Letztlich war aber mein Gefühl, dass das was damals mit PUNK IN LONDON aufhörte, jetzt bruchlos weitergeführt würde. Dass ich jetzt die Filme mache, die ich nach PUNK IN LONDON nicht machen konnte.
Woher stammt der Drang, ein sehr exploitationhaftes Kino zu machen?
Da ich in der Provinz groß wurde, habe ich Kino dort praktisch gar nicht wahrgenommen. Da gab es drei Kinos wo die Blockbuster liefen. Da habe ich Karl May, James Bond und die SCHULMÄDCHEN-REPORT-Filme gesehen und sonst gab es da nichts. Im Fernsehen gab es schon Sachen wie die Schwarze Serie und Robert Aldrich-Filme, die mir damals sehr gefielen. Als ich dann nach Berlin ging, bin ich in einem riesigen Nachholbedarf von einem Kino ins andere gerannt. Damals machten einige Kinos nachts Serien mit Repertoire-Filmen, wie Schwarze Serie, Hammer-Horror und ich habe dann meine Vorliebe für Genrefilme entdeckt. Als ich dann nach München zur Filmhochschule ging, sind meine Mitstudenten immer in die Retros von Bergman und Tarkowskij gegangen. Da bin ich auch mal mitgegangen und habe mich sehr gelangweilt. Um den Bahnhof herum fand ich dann Kinos, die Filme mit vielleicht weniger künstlerischer Qualität spielten, aber sie gefielen mir einfach. Mir fiel dann auf, dass der Regisseur, der am meisten gespielt wurde Jess Franco war. Ob das DOWNTOWN - DIE PUPPEN DER UNTERWELT oder andere obskure Titel waren...ich bin pausenlos in diese Kinos gegangen. Obwohl meine Vorbilder Regisseure wie Orson Welles, Joseph von Sternberg oder Alfred Hitchcock waren, haben mich die Bahnhofskinofilme fasziniert.
Du versuchst ja, diese Exploitation-Genres im neuen Look wiederzubeleben. Nun machst Du aber nicht richtig Horror und das ohne Splatter, Sex ohne Hardcore, Psychothriller mit Schmuddellook. Ist das gefährlich? Gibt es da ein Publikum für? Warum nicht Splatterfilme, wo ein erkennbarer Markt existiert?
Ich finanziere die Filme selber und daher müssen sie auch mir selber gefallen. Hätte ich einen Produzenten, der mir aufgibt, es muss spritzen - ob Blut oder Sperma ist egal - müsste ich mich dem fügen.
Ich mag Filme, die nicht einzuordnen sind. Z.B. FROM DUSK TILL DAWN, der als Thriller anfängt und als Horrorfilm aufhört. Ich habe unendlich viele Filme gesehen und wenn ich einen eindeutigen Splatterfilm sehe, in dem fünf junge Leute in eine Hütte fahren und dann umgebracht werden, gähne ich ja schon, wenn ich den Klappentext lese. So ein Genre ohne Brüche zu inszenieren würde mich langweilen. Die Regisseure, die Splatterfilme machen, sind ja auch ganz andere Leute. Gerade im schlechtesten Sinne die deutschen Vertreter und im besten Sinne Peter Jackson haben ja auch schon in jungen Jahren blutige Barbiepuppen gebastelt. Leute, die ihre Effekte selber machen, Freude am Basteln haben und gerne explodierende Körperteile sehen. Für mich sind das höchstens Storybestandteile. Ich gehe von der Story heran, denn wenn die nicht stimmt, kommt man deutlich in den ganz billigen Bereich herein. Mein Jugenwunsch, Kriminalautor zu werden und meine Drehbuchtätigkeit färbt da doch ab und wenn die Story nicht stimmt, kann noch so viel Blut spritzen, dann ist mir der Film ziemlich egal. So richtig kann ich die Genres nicht ernstnehmen, auch wenn ich mir Mühe gebe.
Einen gewissen Teil der Zuseher, die aus den Fankreisen kommen, dürftest Du irritieren. Du begibst Dich einerseits - im besten Sinne - auf die Tiefen der Genres, hebst Dich dann aber trotzdem davon ab und enttäuschst eventuell Erwartungshaltungen. Was ist die Motivation dafür?
Ich gehe nicht vom Genre aus, sondern von meiner Story. Die erzähle ich dann mit den Mitteln meiner eigentlichen Filmhochschule, nämlich des Bahnhofskinos. Andere Regisseure würden LOVESICK: SICK LOVE, der auf Heinrich von Kleist beruht, sicherlich anders erzählen. Meine Art der Erzählweise beruht aber auf Bahnhofskino und Sleazemomenten. Ähnlich wie Tarantino z.B. in KILL BILL Martial-Arts-Momente gebraucht, nutze ich eben den guten alten Sleaze. Allerdings bemühe ich mich, Filme jenseits der Genregrenzen zu machen. Ich benutze lediglich Genremittel.
Momentan steckst Du ja mitten in der Produktion eines aktuellen Projektes. Was wird das werden und wann kann man damit rechnen?
Diesmal wird es dann doch genreeindeutiger. Es wird ein Psychothriller mit Sex- und Goreelementen. Die Thrillerkonstruktion ist diesmal deutlich stringenter. Fiona Horsey spielt wieder die Hauptrolle, bzw. eine Doppelrolle über Zwillinge, die diesmal nicht zusammengewachsen sind. Es gibt einen guten und einen bösen Zwilling von der nur einer überlebt, mehr sei nicht verraten. Im Sommer 2005 wird der Film wohl fertig sein. Er wird dann garantiert in Deutschland auf DVD erscheinen und wohl auch wieder in einigen ausgewählten Kinos laufen. Wir hatten bei LOVESICK: SICK LOVE die Überlegung, den Film auf Zelluloid zu überspielen und ihn regulär zu starten, aber es rechnet sich definitiv nicht. Genrefilme haben nur dann eine Chance, wenn sie Big Budget sind und im kleinen Bereich läuft nur übelstes Arthaus-Kino. Für die 30.000 Euro der Überspielung kann ich schon wieder einen halben neuen drehen. Die Kinosituation ist nicht mehr so, dass sich so etwas lohnt.
Fiona Horsey hat ja nun sowohl in PENETRATION ANGST, LOVESICK: SICK LOVE und auch dem neuen Projekt die Hauptrolle übernommen. Sie bedient nicht unbedingt die Genreklischees, da sie zwar hübsch ist, aber eine gewisse Unschuld ausstrahlt und sich nicht wie z.B. Lina Romay bei jeder Gelegenheit die Kleider vom Leib reißt. Wieso besetzt Du Fiona immer wieder?
Fiona ist keine Lina Romay sondern eher Soledad Miranda. Für mich stellt sich die Spannung bei solchen Szenen nur dann dar, wenn man merkt, dass da auch eine Spannung zwischen der Darstellerin und der Rolle ist. Ich finde es langweilig, wenn sich Schauspielerinnen sofort die Klamotten vom Leib reißen und die Beine so nah wie möglich vor der Optik spreizen. Ich finde es viel spannender, wenn die Rolle erspielt ist und die Offenherzigkeit der Rolle gemimt wird. Ich las jetzt gerade in einer Kritik, dass Fiona eine offenherzige Natur sei und die Rolle daher sehr natürlich und unverkrampft wirke. Fand ich sehr nett, das Gegenteil ist der Fall. Fiona hat mit diesen Szenen sehr zu kämpfen und sie sind konträr zu ihrer Persönlichkeit. Dadurch werden die Sachen erst spannend. Sie ist eher der unschuldige Typ. Die beste Story von de Sade ist Justine, die leidende Unschuld. Wer will eine rammelnde Schlampe sehen? Da ist die erste Variante doch viel attraktiver.
Trotz vieler sehr harter Stoffe, haben Deine Filme zumeist keinen wirklichen Schmuddellook. Wie kommt das?
Mag an meiner katholischen Erziehung und der Thematik "Sex und Sühne" liegen, welche ich immer wieder aufgreife.
Hast Du jetzt schon Pläne für die Zukunft für die Zeit nach diesem Projekt?
Ich befinde mich gerade in einer Phase des Umdenkens. Fiona Horsey ist nach Kolumbien gegangen und da bietet sich eine Zäsur an. Zumal mit den drei letzten Filmen die Thematik Bahnhofskino so ziemlich ausgeschöpft ist, speziell nach dem aktuellen Projekt denke ich, weiter kann man nicht gehen. Ob ich jetzt einen Neuanfang in anderen Genres mache oder ob mir zum Bahnhofskino noch etwas einfällt, weiß ich noch nicht. Die Überlegungen haben erst angefangen.
Hast Du Vorbilder? Wenn ja, welche?
Der Mann, der mein Schaffen am meisten geprägt hat, ist Mickey Spillane. Im Bereich des Films....Wenn man meine Filme sieht und ich jetzt diese Namen nenne, fragt jeder, warum?
An erster Stelle Joseph von Sternberg in den sieben Filmen, die er mit Marlene Dietrich gemacht hat. Das sind immer noch meine Lieblingsfilme. Dann Orson Welles, an erster Stelle TOUCH OF EVIL, Don Siegel...von den neueren Rodriguez und Tarantino sowieso und in gewisser Hinsicht Jess Franco, obwohl ich keinen seiner Filme richtig gelungen finde. Sie haben alle was, aber das Storytelling fehlt ihnen halt total. Bei Argento mag ich ein paar Einstellungen, aber auch hier dreht sich mir beim Storytelling den Magen um. Eigentlich also im Wesentlichen die Klassiker, weil ich in den 1970er Jahren aufgehört habe, mich an Vorbildern zu orientieren.
Welche Stile haben Dich beeinflusst, auch wenn Du es fast schon beantwortet hast?
Die subtile Erotik von Sternberg, die schwarze Serie, amerikanische Gangsterfilme, Hammerhorrorfilme und Bahnhofskino.
Gab es den Moment, wo Du merktest, ich will Filme machen?
Nein es gab keinen katharsischen Moment. Ich gehörte nicht zu den Kindern, die mit Papas Super-8-Kamera und den Barbiepuppen der Schwestern Trickfilme gemachte haben. Ich kam mehr vom Schreiben. Erst als ich die Möglichkeit hatte, mit Teams zu arbeiten und begabte Mitarbeiter hatte, ging das los. Ich hatte auch bis heute noch nie eine Kamera in der Hand.
Welche Filme der letzten Jahre haben Dir gefallen?
Das wird immer schwieriger. Viele asiatische Filme. AUDITION, OLDBOY und solche Sachen. Bei den Europäern oder Amerikanern gab es eine ganze Menge, die ich mir gerne angeschaut habe, aber die mich nicht begeistert haben.
Wie stehst Du zu anderen deutschen Independent-Genreregisseuren wie Schnaas, Bethmann, Ittenbach & Co?
Bevor ich PENETRATION ANGST gemacht habe, kannte ich die alle nicht. Als ich dann meine Filme auf DVD vermarkten musste, merkte ich erst, dass es schon andere Leute gibt, die so was machen. Die geben sich viel Mühe, vor allem mit den Special-Effects und den Gore-Sachen. Der Rest ist für diese Leute wohl eher uninteressant, sonst würden sie es besser machen. Aber letztlich habe ich sehr wenig davon gesehen, weil schon die Covertexte nicht sehr interessant klingen. Bei LEGION OF THE DEAD von Ittenbach auf dem Fantasy Filmfest bin ich damals eingeschlafen. Sonst kenne ich von ihm GARDEN OF LOVE, da waren die Effekte sehr liebevoll gemacht. Von Schnaas habe ich bei VIOLENT SHIT 2 mal reingeschaut und GOBLET OF GORE durchgescannt. Da kann ich keine Qualitäten erkennen. Bei Bethmann erkennt man deutlich die Liebe zu Franco, aber leider macht er nur die Fehler von Franco nach. Vieles hat Franco ja nur aus Geldmangel gemachte, aber daraus ein Stilmittel zu machen....Und wenn man dann nicht die Schauspielerinnen hat, wie Lina Romay oder Soledad Miranda, die ja zumindest gut aussahen, dann bleibt eigentlich wenig übrig.
Ein häufiges Bild Deiner letzten Filme ist ein nackte Frau in Ketten oder gefesselt. Wie kommt das?
Ja, das ist mir auch aufgefallen. Das ist nicht bewusst. Ich beginne kein Buch, indem vorher feststeht, dass zum Finale Fiona nackt in Ketten daliegen muss. Das hat sich immer beim Schreiben ergeben. Bei PENETRATION ANGST war ja die Szene, in der sie gefesselt auf dem Bett liegt von Stephen King geklaut, Ich weiß nicht mehr, wie das Buch hieß (Anm. DAS SPIEL), wo eine Frau gefesselt in einem Bett liegt und bei einem Sexspiel ihr Mann einen Herzinfarkt hatte und tot und gefesselt neben ihr liegt und sie kann sich nicht befreien. Das Bild hat mich fasziniert. Bei LOVESICK: SICK LOVE ergab es sich durchs Genre und da hat sie auch was an und nur ne kleine Kette am Fuß. Das war ja harmlos.
Was bedeutet Sex im Film für Dich?
Als Zuschauer ist es für mich ein wichtiger Unterhaltungsfaktor. Da ich Sex mehr im Film als im Leben erfahre ist es für mich ein interessanter Punkt, um einen Film zu gucken. Daher gucke ich keine Kriegsfilme, weil da keine Frauen drin vorkommen.
Als Regisseur, der derzeit Filme macht, die sich alle um das katholische Thema Sex und Sühne drehen ist es die Ausgangssituation.
Wie stehst Du zu der neuen Welle, expliziten Hardcore-Sex in Arthaus-Filme einzubauen? Und wäre das für Dich auch eine Möglichkeit?
Ich halte es für absolut überflüssig. Gut, bei SEX AND LUCIA (LUCÍA Y EL SEXO), wo mal ein erigierter Schwanz zu sehen ist, passt es gut rein und funktioniert. Es hat keinen provozierenden Charakter. Bei vielen der anderen Filme, wie KEN PARK, BAISE-MOI, INTIMACY oder Breillat-Filmen ist es nur langweilig und würde auch ohne funktionieren. Man muss in einer Sterbeszene auch keinen Schauspieler umbringen. Ich arbeite nicht mit Hardcoredarstellern wie bei BAISE-MOI. Und sieht man Regisseure, die mit "normalen" Darstellern arbeiten...Bei SEX IS COMEDY von Cartherine Berillat über die Dreharbeiten eines ihrer eigenen Filme habe ich ja nur gewürgt. Wenn die so ist, wie ihr Alterego von Anne Parillaud dargestellt wurde, dann möchte ich nie was mit ihr zu tun haben.
Ich finde es letztlich alles überflüssig, weil Schauspieler es auch so darstellen können. Und die Probleme, Darsteller, die nicht vom Porno kommen, zu zwingen, eine Erektion zu bekommen oder eine Penetration zu erleiden dürfte schwieriger sein, als es sie klassisch spielen zu lassen.
Das langweiligste Genre ist für mich, nach dem Neuen Deutschen Film, das Hardcoregenre. Die Thematik ist für mich dort viel zu begrenzt und explizite Großaufnahmen wirken auch nicht sehr ästhetisch. Die Kunst liegt in der Andeutung, auch wenn diese sehr weit geht. Hätte ich meine Filme mit Hardcoresezen gemacht, wären sie platter geworden, genauso wie Frauen, die sich gerne ausziehen, langweilig sind, finde ich Leute, die vor der Kamera bumsen auch eher uninteressant.
Du gehörst einer Generation an, die fast noch zu der des Neuen Deutschen Films um Fassbinder, Wenders, Kluge und Co gehört und hattest in Deiner Münchner Zeit ja auch durchaus Berührungspunkte. Wie stehst Du zu diesen Filmen?
Ich war mal Produktionsfahrer bei Reinhard Hauff und bei DER AMERIKANISCHE FREUND von Wenders war ich Nachtwächter für den Zug in München. Ich kannte die Leute fast alle und war in der Szene peripher. Mir haben die Filme nicht gefallen und es hatte mit den Filmen, die mir vorschwebten aber auch gar nichts zu tun. Eine Ausnahme war mein noch heutiger Freund Klaus Lemke mit ROCKER und Wenders hatte einige hübsche Bilder und das war’s. Es ist ein Kino, welches mir immer fremd geblieben ist. Und meine Filme über den WDR gemacht zu bekommen sah ich auch nicht als meine Lebensperspektive.
Eckhart Schmidt?
Mir Eckhart kam ich auf einer theoretischen Basis sehr gut aus, wir waren gut befreundet und haben zusammen das Münchner Manifest geschrieben, was sonst jedoch niemand unterschrieben hat. Sogar Klaus Lemke hart sich geweigert. Im Manifest forderten wir praktisch Berufsverbot für alle Vertreter des Neuen Deutschen Films. Eckhart hatte schon vor unserer Bekanntschaft Filme gemacht, die ich nicht kannte. Als wir dann Anfang der 1980er Jahre beide wieder Filme machten, er DER FAN und GOLD DER LIEBE und ich GIB GAS - ICH WILL SPASS hat sich unser Verhältnis dann sehr verschlechtert. Eckhart hatte die Filme gemacht, die er machen wollte. Ich ja nicht unbedingt. Nachdem wir theoretisch einig waren, wie Filme aussehen müssen, waren seine Filme doch nicht so das, wie ich mir das vorstellte. Ich habe ja erst mit 50 angefangen, die Filme zu machen, die ich machen wollte.
Denkst Du bei der Erstellung eines Buches eher in Bildern oder in der Story?
Das ist gemischt. Ich habe zwar einige Bilder im Auge, aber die Story ist doch das primäre und die Bilder kommen dann da mit rein. Ich bin da sehr konventionell.
Wie erlebst Du die Reaktionen auf Deine aktuellen Filme?
Die Reaktionen halten sich ja in Grenzen. Bei den Vorführungen in kleinen Kinos ist die Resonanz ja immer ganz positiv, im Internet und in den Medien ist sie gemischt. Ich bin immer froh, wenn jemand das erkennt, was ich sagen wollte. Als ich von Christian Kessler die Kritik zu PENETRATION ANGST und LOVESICK: SICK LOVE gelesen habe, war ich ja ganz froh, dass mich da jemand offenbar verstanden hat. In England habe ich eine verständnisvollere Resonanz gehabt als in Deutschland, wobei dort die Verkaufszahlen wiederum bedeutend geringer waren.
Wie ist Deine Meinung zu England und Deutschland?
England ist das Land, wo ich mich am wohlsten fühle und auch kulturell am integriertesten bin. Deutschland ist der bessere Markt und trotzdem werde ich immer noch in Englisch drehen und auch mit Engländern. Ich habe kulturell zu Deutschland keine Beziehung. Meine deutschen Platten passen in eine Tüte und die englischen sind ein halbes Zimmer, was auch auf die Literatur zutrifft, obwohl es dort mehr die amerikanischen Schriftsteller sind. Auch wenn mein aktuelles Projekt in Hamburg gedreht wurde, spielt es in einer nicht näher definierten Stadt, wo die Menschen englisch sprechen.
Ich habe 1977 in England angefangen, gute Filme zu machen. Dann habe ich in Deutschland 20 Jahre lang weniger gute Filme gemacht und im neuen Jahrtausend habe ich in England wieder bessere Filme gemacht. Das sagt wohl alles.
Lieber Wolfgang, vielen Dank für das sehr ausführliche Gespräch und viel Erfolg weiterhin.
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