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Koji Wakamatsu gilt heute als einer der legendärsten Regisseure des japanischen Kinos. Der 1936 geborene Wakamatsu arbeitete zunächst als Regieassistent fürs japanische Fernsehen, bevor er 1963 seinen ersten eigenen Kinofilm als Regisseur realisierte. Vor allem in den 60ern und 70ern drehte Wakamatsu mit seiner eigenen Produktionsfirma einen Film nach dem anderen, wobei nur wenige wie AFFAIRS WITHIN WALLS, GO, GO SECOND TIME VIRGIN oder ECSTASY OF THE ANGELS den Sprung in westliche Hemisphären schafften.
Mit über 100 eigenen Filmen und einer Reihe von ihm produzierten Werken anderer Regisseure gilt Wakamatsu als einer der produktivsten Filmkünstler der japanischen Geschichte. Anlässlich der Präsentation seines aktuellen Werkes CYCLING CHRONICLE – LANDSCAPES THE BOY SAW machte Wakamatsu einen Abstecher zur Nippon Connection nach Frankfurt, wo das folgende Interview stattfand.
Das Gespräch.
Herr Wakamatsu, Sie sind ja schon über 40 Jahre im Filmgeschäft. Wo lagen die Anfänge?
Ich habe mit 22 Jahren begonnen, mich konkret mit Film zu befassen. Ich hatte einen großen Zorn in mir zu der Zeit. Eigentlich wollte ich diesem Ärger als Schriftsteller freien Lauf lassen, aber schon nach kurzer Zeit war mir klar, dass der Film das geeignetere Medium für mich ist. Das war eigentlich der Auslöser eine Karriere im Filmbereich zu starten.
Dann haben Sie einige Filme gedreht. Für Wirbel im Ausland haben Sie zuerst mit AFFAIRS WITHIN WALLS gesorgt, der auf der Berlinale im Jahr 1965 zu einem handfesten Skandal führte, da er sehr explizit für die Zeit war.
Dieser Film stellte damals tatsächlich einen ziemlichen Wendepunkt in meiner Arbeit dar. In Japan wurde der Film als nationale Schande angesehen. Das war für mich der Ausgangspunkt, eine eigene Produktionsfirma zu gründen. Ich habe dann junge Talente um mich geschart, die Filme wurden zunehmend politisch explizit.
Wenn Sie schon mit AFFAIRS WITHIN WALLS Probleme hatten, inwieweit wurden Sie auch später in Japan angefeindet?
Eine Folge des Skandals war, dass die Verleiher wollten, dass ich einen Skandal nach dem anderen produziere, denn ein Skandal lässt sich gut verkaufen. Auf der anderen Seite wollte aber niemand für die vermeintlichen Skandalfilme Geld in die Hand nehmen. Mein Weg war der, dass ich mich unabhängig gemacht habe von dem herrschenden System. Für das nächste Filmprojekt nach AFFAIRS WITHIN WALLS musste ich mir dann Geld leihen. Ich habe dann alles selber gemacht, von der Finanzierung über die Produktion zur Regie. Das war am Anfang schwer, hat mir aber auf Dauer die Unabhängigkeit gesichert. So musste ich keine Rücksicht mehr nehmen auf andere. Heute bin ich einer der wenigen Regisseure, der alle seine Filme besitzt. Ich habe alles produziert und finanziert und nun kann ich selbst bestimmen, was mit den Filmen passiert.
Trotzdem sind ganz wenige Ihrer Filme im außerjapanischen Ausland erhältlich. Wenn Sie in der Situation sind, alles steuern zu können, haben Sie auch das Interesse die anderen Filme einer breiteren Weltöffentlichkeit bekannt zu machen?
Es stimmt, zurzeit sind noch nicht so viele Filme verfügbar. Aber das wird sich bald ändern, es gibt mehrere Projekte für Auslandsveröffentlichungen. Dass das nicht schneller geht liegt vor allem daran, dass ich wenig Zeit habe. Denn ich habe auch viele neue Projekte, die natürlich Priorität haben und auch bei aktuellen Projekten kümmere ich mich ja von der Finanzierung bis zur Fertigstellung um alles. Aber wenn sich ein Label meldet und meine Filme veröffentlichen will, dann unterstütze ich diese Bemühungen auch aktiv. Ich habe großes Interesse daran, dass meine Filme auch in anderen Ländern zu sehen sind. Mir fehlt aber auch ein wenig das Know-how, da ich ja vor allem ein Filmemacher bin und kein Verleiher. Außerdem war ich nicht immer sehr sorgfältig in der Aufbewahrung meiner Filme. Ich habe sehr viele Filme gedreht und die Kosten für ein Lager sind in Japan sehr hoch. Deswegen habe ich von Zeit zu Zeit auch Filmrollen entsorgt, denn ich hatte neue Filme aber keinen Platz für ein größeres Lager. In Japan gab es zum Beispiel kein Negativ von AFFAIRS WITHIN WALLS mehr, weswegen auf Festivals derzeit eine deutsche Kopie gezeigt werden muss. Ich bin etwas überrascht, dass man heute meine alten Filme sehen will, damit hatte ich nicht gerechnet, denn ich mache seit über 40 Jahren Filme und ich habe immer gehofft, dass die Filme, die ich jeweils gegenwärtig gemacht habe, ein Publikum finden. Aber nun sind eben meine alten Filme interessant.
Das geht leider einigen Filmemachern so, sie werden spät entdeckt.
Leider. Auch heute ist es bei meinen Filmen noch so, dass die neuesten Filme von der Kritik nicht gemocht werden. Nach ein paar Jahren werden die Kritiken positiver. Also hoffe ich darauf, dass die Leute sich in 20 bis 30 Jahren für meine heutigen Filme interessieren werden. Allerdings wäre es mir lieber, wenn sie sich früher dafür interessieren würden. Denn in 20 Jahren werde ich wahrscheinlich nicht mehr hier sein.
Das ist natürlich auch eine Frage der Verfügbarkeit. Leider kann man, wenn überhaupt, nur Ihre alten Filme bekommen. Zum Beispiel ECSTASY OF THE ANGELS - da musste ich immer an die Art von Godard denken, Filme zu machen. Hat Godard Sie beeinflusst?
Einen direkten Einfluss von Filmen anderer Regisseure sehe ich bei meinen Werken nicht. Aber einen indirekten Einfluss von Godard hat es tatsächlich gegeben. Als ich AUSSER ATEM gesehen habe, ist mir klar geworden, dass man bei Filmen wirklich Freiheiten hat, dass ich keine Grammatik oder Regeln brauche. Das habe ich dann in meinen Filmen auch umgesetzt. Es war also eher eine mentale Einstellung, als ein filmischer Einfluss. Auch mit anderen Regisseuren habe ich zwar Kontakte, zum Beispiel zu Theo Angelopoulos, aber das sind eher gelegentliche Treffen, bei denen wir Einen trinken gehen. Einen Austausch über meine eigenen Filme gibt es dabei aber nicht, ich spreche nicht so gerne über mein Werk.
Lassen Sie uns trotzdem ein wenig ins Detail gehen. Gerade die auch im Westen auf DVD verfügbaren GO, GO SECOND TIME VIRGIN und ECSTASY OF THE ANGELS zeigen einige Besonderheiten und Ähnlichkeiten in den eingesetzten Stilmitteln. So setzen Sie innerhalb der eigentlich in Schwarzweiß gehaltenen Filme immer wieder Farbsequenzen ein. Was ist der Grund dafür?
Bei GO, GO SECOND TIME VIRGIN wollte ich eigentlich den ganzen Film in Farbe drehen, aber Farbfilm war zu der Zeit wirklich teuer. Also habe ich die Farbe nur in einigen Sequenzen eingesetzt. Das war also zunächst eine reine Finanzfrage, die aus der Not heraus geboren war. Aber die Kritiker haben die Farbszenen immer sehr positiv hervorgehoben, manche fanden das sogar genial. Das hat mich dann zum Nachdenken gebracht und so habe ich es beispielsweise bei ECSTASY OF THE ANGELS gezielt eingesetzt, um bestimmte Szenen wirklich hervorzuheben.
Ein weiteres Stilmittel ist der begrenzte Aktionsradius von Protagonisten. Bei AFFAIRS WITHIN WALLS ist das ein Raum oder ein Polizeirevier, bei GO, GO SECOND TIME VIRGIN das Dach eines Hauses. Liegt eine Botschaft dahinter, wenn Sie die Protagonisten eher im Rahmen eines Kammerspiels agieren lassen?
Sie haben Recht, ich habe viele Kammerspiele inszeniert, die in einem sehr begrenzten und engen Raum spielen. In manchen Filmen mache ich die Weite auch zur Enge. Zum Beispiel in GEWALT! GEWALT: SHOJO GEBA-GEBA, wo die dargestellte Wüste auch eine Metapher für einen in sich abgeschlossen Raum darstellt. Die Menschen kommen dort nicht heraus, so als ob sie in einem Zimmer eingeschlossen sind. Vielleicht hat dieser Ansatz etwas damit zu tun, dass ich selber Platzangst habe. Wenn ich morgens nicht gleich das Fenster öffnen kann, dann fühle ich mich sehr unwohl. Also könnte das auch einer der Gründe sein – eine Auseinandersetzung mit meiner eigenen Angst. Aber auch das Budget hat – gerade zu Anfang – natürlich auch eine Rolle gespielt. Denn ein Set ist natürlich billiger als mehrere. Der Hauptgrund liegt aber in mir.
Hat das auch etwas mit der Enge von Tokyo zu tun, der Isolationsparzellierung auf engstem Raum, die auch andere Filmemacher immer wieder thematisieren?
Das stimmt, viele Filmemacher sprechen das Thema an. Es ist auch ein Problem. Bei mir geht es aber eher um die Isolation innerhalb einer Menschenmasse. Vor Massen habe ich sowieso großen Respekt – wenn Versammlungen stattfinden, die in eine Richtung gehen, dann gehe ich eher in die andere Richtung. Das sind natürlich Dinge, die vor allem in den Großstädten stattfinden, vor allem in Toyko. Es geht aber nicht nur um die räumliche Bedrängung in Wohnhäusern, es geht um die Masse an sich. Ich mag es auch nicht, wenn mich Menschen beim Drehen beobachten.
Ein letztes Stilmittel, auf das ich eingehen möchte, ist die Musik. Die ist in vielen Ihrer Filme eher avantgardistisch, ihrer Zeit voraus. Wie ist Ihr Verhältnis zur Musik und Ihrem Einsatz im Film; gehen Sie da auch gerne in die entgegen gesetzte Richtung?
Viele Musiker mit denen ich gearbeitet habe, sind später wirklich berühmt geworden. Immer wenn ich bei ihnen angefragt habe, waren die Leute sehr unbekannt, also wirklich noch Avantgarde. Der Filmmusiker bei ECSTASY OF THE ANGELS, Yosuke Yamashita, ist später ein namhafter Jazz-Pianist geworden. Ein Bekannter hat mir gesagt, dass es demnächst ein Konzert eines tollen Pianisten gibt – also bin ich hingekommen. Das hat mir sehr gut gefallen. Und ich habe ihn einfach angesprochen, ob er bei meinem nächsten Projekt mitmachen will. Ein weiterer Musiker war der legendäre Saxophonist Abe Kaoru, den ich in einem kleinen Club kennen gelernt habe. Wir waren nur vier Zuschauer, aber ich war einfach von der Musik vollkommen fasziniert. Wenn Abe Kaoru mit einem Stück aufhörte, dann klangen die Musik und die Bilder, die es bei mir auslöste, noch immer nach. Auch ihn habe ich dann einfach angesprochen, wir sind im Anschluss an das Konzert Einen trinken gegangen und das war der Start einer weiteren Zusammenarbeit. Ich wollte immer mit eher jungen Talenten zusammenarbeiten. Etablierte Leute haben mich nie interessiert, denn so gab es auch die Möglichkeit, immer Musik direkt für den Film zu schreiben, ohne Zeit- und Finanzdruck. Ich habe auch nie bereits existierende Aufnahmen verwendet. In meinem aktuellen Film CYCLING CHRONICLE – LANDSCAPES THE BOY SAW spielt die Musik wieder eine wichtige Rolle und ich habe mir auch hier die Freiheit genommen, ganz spezielle Musik junger Talente einzusetzen.
Die Unabhängigkeit mit Ihrer eigenen Produktionsfirma Wakamatsu Productions hat nicht nur spannende Kollaborationen mit Schauspielern und Musikern hervorgebracht, Sie haben auch Filme für andere Regisseure mitproduziert. Am bekanntesten ist wohl IM REICH DER SINNE von Nagisa Oshima. Wie ist es zu der Zusammenarbeit gekommen?
Zu Oshima hatte ich immer eine sehr enge Beziehung, eigentlich eine Freundschaft. Das hat angefangen, als ich gebeten wurde, für die Filmzeitschrift Eiga Geijutsu Ende der 60er Jahre einen kurzen Artikel zu schreiben. Der wurde veröffentlicht und in der nächsten Ausgabe antwortete Oshima auf diesen Beitrag. Oshima sagte darin, dass er noch Hoffnung für das japanische Kino habe, solange es Filmemacher wie mich gebe. Das war fast wie eine Art Liebesbrief an mein Werk. Am Ende bemerkte Oshima, dass ich einer der wenigen Filmemacher sei, mit denen er gerne einmal in eine Kneipe gehen würde. Ich habe mich sehr geschmeichelt gefühlt, Oshima war damals in Japan schon sehr bekannt. Also habe ich ihn kontaktiert. Wir haben uns dann oft getroffen – vor allem zum Trinken. Es gab im Anschluss eine sehr fruchtbare Rivalität zwischen Wakamatsu Productions und der Produktionsfirma von Oshima. Die Jungen in den Firmen haben sich schon auch mal geprügelt. Es wurde aber auch politisch diskutiert. Die Leute von Oshima waren eher Eliteschüler, meine kamen eher von den Universitäten auf dem Land, sie waren vielleicht nicht so schlau, aber sie konnten besser hinlangen. Es ging aber nicht um Gewalt, sondern um Leidenschaft für Film und Politik, die auch mal leidenschaftlich ausgetragen wurde. Oshima und ich haben das eher lächelnd aus der Distanz betrachtet. Zu IM REICH DER SINNE kam es folgendermaßen: Ich wollte schon lange die Geschichte der Abe Sada verfilmen. Meine Idee war, dass sie am Ende, nach der Kastration des Geliebten im Olympiastadion von Toyko steht. Es sollte also einen Zeitsprung von den 30er Jahren, in denen die Geschichte spielt, in die heutige Zeit geben. Allerdings konnte ich das Projekt nicht realisieren, weil es schlicht zu teuer war. Eines Tages rief Oshima an und ließ mir ein Drehbuch schicken. Es ging um Abe Sada. Ich sagte ihm, dass das alles zu teuer würde, ich hatte es ja bereits versucht. Aber Oshima hatte einen französischen Produzenten gefunden, der 50 Millionen Yen in das Projekt stecken wollte. Allerdings war das Projekt nur umsetzbar, wenn auch ein japanischer Co-Produzent mit an Bord kommen würde. Und das sollte ich sein. Ich habe eingewilligt und auf japanischer Seite alles organisiert. Und wie ja allgemein bekannt ist der Film ein großer Erfolg weltweit geworden, der noch heute als zentrales Werk der japanischen Filmgeschichte gilt.
Nach all den Jahren, in denen Sie Filme machen: Was hat sich für Sie ganz persönlich bis heute geändert?
Für mich persönlich hat sich sicher geändert, dass ich größere Budgets habe und mehr umsetzen kann. Allerdings hat das auch negative Auswirkungen: Ich habe nicht mehr so viel Freiheiten. Ich würde gerne wieder mit den kleineren Budgets arbeiten und mehr Freiheiten haben.
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