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GESPRÄCHE

Björn Eichstädt im Gespräch mit Juan Luis Buñuel

Juan Luis Buñuel hat in seinem Leben, das am 9. November 1934 in Paris begann, mehr gesehen, als so mancher in zwei Leben. Der Sohn des surrealistischen Regisseurs Luis Buñuel erlebte die erste Hochphase seines Vaters in Europa nur unbewusst; die Buñuels verließen in den späten 30er Jahren das vom Bürgerkrieg zerrüttete Spanien in Richtung USA, später gingen sie nach Mexiko.

Juan Luis Buñuel Ein Zufall brachte den jungen Juan Luis Buñuel in den 50ern mit Orson Welles in Kontakt, der in Mexiko Teile seines niemals vollendeten DON QUIXOTE drehte. Als Assistant Director arbeitete er fortan für seinen Vater und andere berühmte Regisseure wie Louis Malle, kam beruflich mit Stars wie Jean-Paul Belmondo, Brigitte Bardot, Jeanne Moreau oder Anthony Quinn zusammen. In den frühen 70er Jahren schließlich drehte Juan Luis Buñuel mit RENDEZVOUS ZUM FRÖHLICHEN TOD, DIE FRAU MIT DEN ROTEN STIEFELN und ELEONORE drei überragende Spielfilme, die heute leider fast in Vergessenheit geraten sind. Es folgten in den 1980ern Werke für's Fernsehen, später der schleichende Abschied vom bewegten Bild. Buñuel startete eine zweite Karriere als Bildhauer.

Nach langer Kontaktsuche erreichte DAS MANIFEST Juan Luis Buñuel schließlich telefonisch in Paris. Der 71-jährige ist aufgeschlossen, amüsant und dickköpfig, vor allem, wenn es um Vergleiche mit seinem Vater geht. Ein Filmkünstler der alten Schule eben, der mit der heutigen Welt zum Glück wenig zu tun hat.

Das Gespräch.

Juan, lassen Sie uns am Anfang beginnen - in der Kindheit. Sie sind schließlich der Sohn eines sehr berühmten Filmemachers. Ihr Vater hat mit vielen berühmten Persönlichkeiten gearbeitet. Sind Leute wie Salvador Dalí, mit dem er EIN ANDALUSISCHER HUND gedreht hatte, einfach zum Frühstück reingeplatzt? Wie war das für Sie als Kind?
    Nun ja, da ich noch sehr klein war, waren das alles vor allem normale Menschen. Die Frau mit den roten Stiefeln Das waren eben Freunde von meinem Vater, die sich meist auch nicht als etwas anderes ausgegeben haben. Dalí allerdings erwies sich irgendwann als schrecklicher Typ. Wir waren in New York, das war wohl so um 1939, in einem kleinen schäbigen Appartement. Mein Vater hatte kein Geld, da kam Dalí in die Stadt. Er lebte im luxuriösen Pierre Hotel, und mein Vater bat ihn um 50 Dollar, um die Miete bezahlen zu können. Doch Dalí reagierte, ich habe einen Brief von ihm aus dieser Zeit, sehr negativ und sagte: "Freunden leiht man kein Geld." Schließlich half uns ein anderer Künstler, der bekannte Bildhauer Alexander Calder, in dessen Haus wir für einige Zeit lebten. Das war das Ende der Freundschaft meines Vaters mit Salvador Dalí, der sich außerdem sehr für den Bürgerkriegsgewinner Franco ausgesprochen hatte. Denn wir hatten wegen Franco Spanien verlassen müssen. Aber auch andere alte Freunde von Dalí wandten sich damals vom ihm ab. Aber es gab auch positive Freundschaften - die mit dem Maler Miró zum Beispiel, den wir oft besucht haben. Aber wie gesagt: Das waren für mich alles Freunde meines Vaters, keine berühmten Menschen.

Vielleicht können Sie noch etwas mehr über die Umstände des Weggangs aus Spanien erzählen.
    Nun, mein Vater ging in den späten 30ern nach Hollywood, da dort Filme über den spanischen Bürgerkrieg produziert wurden. Einige spanische Politiker unterstützten ihn damals dabei. Und als wir in den USA waren, brach in Europa der zweite Weltkrieg aus, deshalb blieb die Familie bis 1946 in den Vereinigten Staaten.

Aber Sie sind ja dann nicht nach Spanien zurückgekehrt, sondern in Mexiko gelandet.
    Ja, mein Vater arbeitete zu der Zeit bei Warner Brothers - er machte die Synchronfassungen amerikanischer Filme für Spanien. In den Studios brachen eines Tages massive Streiks aus und er musste neue Arbeit finden, da bekam er das Angebot, einen Film in Mexiko zu machen. Also gingen wir dorthin, und mein Vater drehte zwei Wochen. Dann blieben wir, vor allem aus Geldmangel, mein Vater drehte ein bis zwei Filme im Jahr. Er wollte immer zurück nach Europa, aber - das weiß ich vor allem aus Briefen, die ich von ihm habe - das Geld reichte nicht. Wir waren quasi in Mexiko gefangen. Das waren wohl sehr harte Zeiten, aber mir war das damals nicht so bewusst.

Irgendwann haben Sie ja dann als Assistant Director angefangen. Wie kam das?
    Eigentlich wollte ich mit Film gar nichts zu tun haben. Mir war zu der Zeit nicht wirklich bewusst, dass mein Vater ein Regisseur war, er war eher ein Schreibtischtäter. Die Frau mit den roten Stiefeln So kam mir das jedenfalls in meiner Schulzeit vor. Und daheim wurde auch selten über Filme geredet, eher über den spanischen Bürgerkrieg und die Geschichte - der Bezug war also gar nicht so stark vorhanden. Mein Bruder wusste, als er 15 war, noch nicht mal, ob mein Vater wirklich Filme machte. Also entschied ich mich nach der Schule für einen anderen Weg: Ich wollte englische Literatur studieren und Professor werden - also studierte ich in Ohio am College. Ich habe dann meinen Bachelor-Abschluss gemacht und kam nach etwa vier Jahren wieder nach Mexiko, eigentlich nur, um die Sommerferien dort zu verbringen. Zu der Zeit war gerade ein befreundeter Produzent zu Besuch, der mich auf mein gutes Englisch ansprach. Ein amerikanischer Regisseur sei vor Ort, der einen Assistant Director brauche. Ich sagte, dass ich keine Ahnung von Film habe, dass mich Film auch nicht weiter interessiere. Denn: Literatur war damals meine Leidenschaft. Doch der Produzentenfreund überzeugte mich: Ich müsse nur ein wenig übersetzen und könne mir so ein schönes Zubrot verdienen für's College. Das war verlockend, denn wir hatten mal wieder kein Geld. Also habe ich eingewilligt und er sagte: Dann geh ins Hotel und frage nach einem Orson Welles. Also wurde ich der Assistant Director von Welles bei DON QUIXOTE.

...der ja leider nie fertiggestellt wurde...
    Also arbeitete ich mit ihm für etwa einen Monat und ging dann zurück zum College. Währenddessen hatte auch mein Vater wieder einen Film gedreht und besaß etwas Geld. Er zahlte mir eine Reise nach Europa, damit ich seine Familie treffen konnte. Und ich liebte Europa, vor allem im Vergleich zu Mexiko und den USA. Ich traf eine Gruppe von Filmleuten, die mich wieder auf meine Sprachkompetenzen ansprachen, denn ich konnte auch Französisch. Die machten gerade einen französischen Film mit französischem Regisseur, aber die Hauptdarstellerin sprach nur Englisch. Also brauchten sie einen übersetzenden Assistenten. Später traf ich dann die ganzen Nouvelle-Vague-Leute und arbeitete unter anderem mit Louis Malle. Die Hauptgründe dafür waren: Ich sprach drei Sprachen und wir drehten in Mexiko.

Da haben Sie aber auch tolle Leute kennen gelernt: Brigitte Bardot, Jeanne Moreau oder Jean-Paul Belmondo. Wie waren die so, gibt es da Anekdoten?
    Nun, die interessanteste ist auch die traurigste, das war die Zusammenarbeit mit Orson Welles. Denn: Damals wusste ich gar nicht, wer er eigentlich war. Ich hatte gehört, dass er dieses Hörspiel gemacht hatte, THE WAR OF THE WORLDS, aber sonst war er mir vollkommen unbekannt. Das ist wirklich eine Schande, denn ich verbrachte viel Zeit mit ihm und er redete viel. Ich wünschte, dass ich das nochmal machen könnte, mit dem heutigen Wissen. Nun ja, Sie hatten ja nach den Schauspielern gefragt: Mit Brigitte Bardot und Jeanne Moreau habe ich mich angefreundet, das sind sehr nette Menschen. Fantomas

Wie kam es dann zu Ihrer ersten eigenen Regiearbeit?
    Nachdem ich zwölf Jahre als Assistant Director gearbeitet hatte, unter anderem mit meinem Vater, wollte ich auch selber einen Film drehen. Das war CALANDA im Jahr 1966. Calanda ist die Heimat meiner Familie, mein Vater wurde da geboren. Das Besondere an dieser Stadt ist, dass an Ostern die ganze Stadt zu einer großen Trommelsession zusammenkommt. Die Leute trommeln ohne Pause, und das für 24 Stunden. Das ist ein sehr interessantes Phänomen. Also habe ich in diesen 24 Stunden eine Dokumentation über die Stadt gedreht, das war billig.

Dieser Film scheint inzwischen verschollen. Wird er jemals wieder aufgeführt oder als DVD veröffentlicht werden?
    Nein, niemals (lacht). Ich versuche selber an eine Kopie zu kommen, denn ich arbeite gerade an einem Projekt, in dem ich wieder in die Stadt gehen will, um zu zeigen, wie sie sich in 40 Jahren verändert hat. Und in diesem Filme möchte ich auch Schwarz-Weiß-Sequenzen aus CALANDA verwenden. Die will ich mit Farbszenen von heute verwenden. Fantomas

Arbeiten Sie schon an dem Film?
    Gerade bin ich dabei, die Finanzierung sicherzustellen. Vielleicht wird die Regierung die Produktionskosten übernehmen. Ich weiß allerdings nicht, ob der Film jemals vertrieben werden wird, selbst dann, wenn er produziert wird. Der erste Film kam niemals offiziell ins Kino, er lief allerdings auf einigen Festivals.

Ihr erster Spielfilm entstand im Jahr 1973, RENDEZVOUS ZUM FRÖHLICHEN TOD. Ein Horrorfilm, der sehr wie eine Blaupause von POLTERGEIST wirkt.
    Ja, dabei ist er Jahre vorher entstanden. Auch hier spielte das Geld eine Rolle. Wissen Sie: Wenn man eine Person in einem Raum filmt, dann ist das billig, zwei Personen in zwei Räumen sind schon teurer. Und ich habe eine immer noch billige, aber etwas aufwändigere Variante gewählt: Ein verlassenes Haus auf dem Land. Da habe ich eine Familie reingepackt. Und ein Jahr später hatte ich dann die Geschichte zur kostengünstigen Umgebung. In dem Film hatte übrigens Gérard Depardieu einen seiner ersten Auftritte und auch einige andere gute Schauspieler. Wir drehten in nur dreieinhalb Wochen, und dann begann ich den Film auf Festivals zu zeigen. Auf dem Chicago International Film Festival habe ich einen Preis gewonnen, weitere folgten. Das war der Anfang einer bescheidenen kommerziellen Karriere. Fantomas

Im folgenden Jahr haben Sie direkt daran angeknüpft. DIE FRAU MIT DEN ROTEN STIEFELN ist wohl Ihr bis heute bekanntester Film, wenn man überhaupt von Bekanntheit sprechen kann.
    Das lag vor allem daran, dass Catherine Deneuve mitspielte. Und Fernando Rey, mit dem ich einige Filme machte, da er auch regelmäßig mit meinem Vater arbeitete.

DIE FRAU MIT DEN ROTEN STIEFELN erinnert insgesamt etwas an die Arbeit Ihres Vaters, oder?
    Das ist Ihre Meinung.

Nun ja, er ist zumindest sehr surrealistisch.
    Das denken Sie. Manche Leute denken das, aber mein Vater und ich kommen aus zwei vollkommen unterschiedlichen Welten. Er kommt eher aus dem Mittelalter, hat sich mit Religion beschäftigt. Ich dagegen komme aus dem 20. Jahrhundert, ich wuchs in Paris und New York auf. Und meine Themen haben nichts mit denen meines Vaters zu tun.

Was ich in dem Film sehe, aber vielleicht liege ich da auch falsch...
    mit Sicherheit...

...sind zumindest surrealistisch anmutende Tendenzen, wie die von Resnais oder auch die Bücher von Alain Robbe-Grillet.
    Oh Gott, nein, überhaupt nicht. Als wir den Film schrieben ging es eigentlich um einen verrückten reichen Kerl, der die Kunst hasst. Er will Künstler töten. Das ist ein symbolischer Film über das Verhältnis der Welt zur Kunst. Die Bedrohung des Normalen durch die Kreativität. Aber wenn Sie wollen, dann können Sie das gerne anders sehen.

Nein, nein. Ich will ja wissen, was Sie denken.
    (Lacht)

Rendezvous zum fröhlichen Tod In der Zeit zwischen 1972 und 1976 gab es eine Bewegung, die heute sehr verrückt wirkt. Im Vergleich zum heutigen Mainstream-Film. Kümel, Rivette und andere waren in ihrer experimentellen Phase. Da gehörte eigentlich auch ELEONORE dazu, der folgende Film.
    Ja, der Film basierte auf einer der ersten Gothic Novels, die ich durch mein Studium der englischen Literatur kennen lernte. Es ist ein fantastischer Film, obwohl er nur einen wirklich fantastischen Moment enthält: Das ist der, in dem die Protagonistin von den Toten aufersteht. Ansonsten passiert nichts Ungewöhnliches, außer, dass sie Blut trinken will. Nun ja (lacht). Aber alles andere ist komplett realistisch. Der Rest ist eine Liebesgeschichte. Es ist also ein Vampirfilm ohne Vampire.

Wenn man sich diese Filmtrilogie anschaut, dann sind die Themen immer aus dem Horrorbereich oder auch dem Fantasy-Genre entlehnt. Ist der Sohn von Luis Buñuel ein Horrorregisseur?
    Nein. Das war eine Phase. Ich mag jede Art von Filmen.

Nach ELEONORE war eine große Lücke, bevor es mit der Fernsehproduktion von FANTÔMAS 1980 weiterging. Woran lag das?
    Vor allem daran, dass ich nie einen kommerziellen Film gemacht habe. Und deswegen auch keinen Erfolg hatte. Wenn man im Kino keinen Erfolg hat, dann hat man keine Arbeit, so einfach ist das. Aber ich habe dann in den 80ern einige sehr interessante Projekte fürs Fernsehen gemacht, etwa die Bruno-Traven-Verfilmung DIE REBELLION DER GEHENKTEN. Alles in allem waren es etwa 30 Fernseharbeiten. Rendezvous zum fröhlichen Tod

Seit 1996 findet sich kein Eintrag in Ihrer Filmografie. Was haben Sie seither gemacht?
    Das Fernsehen ist schlimm geworden. Wenn man ein wenig unabhängig sein will, dann hat man keine Chance. Also habe ich mich Mitte der 90er entschlossen, dem Ganzen den Rücken zu kehren. Das war mir lieber, als meine Freiheit aufzugeben. Ich habe zwar immer Projekte im Kopf, aber Geld dafür gab es eigentlich nicht mehr. Ich verbringe meine Zeit mit Bildhauerei und Skulpturen, bin also der Kunst treu geblieben. Die Sachen werden regelmäßig ausgestellt, in Mexiko, Spanien, den USA...

Würden Sie denn gerne nochmal einen Kinofilm machen?
    Oh ja! Natürlich. Gib mir das Geld, ich leg los! Nein, Spaß beiseite, im Moment versuche ich, das Geld für die neue Version für CALANDA zusammen zu bekommen. Und da gibt es noch ein zweites Projekt über die USA in 100 Jahren, wenn alle Menschen dort Spanisch sprechen. Das werden die Amerikaner nicht mögen, aber die spanischstämmige Bevölkerung wächst viel stärker als die, die Englisch spricht. Das sagen alle Statistiken. In Florida gibt es Geschäfte in denen Schilder hängen, auf denen "English spoken here" steht. Das ist kein Scherz. Die Latinos bekommen acht oder neun Kinder pro Paar, die Angelsachsen 1,6. Das finde ich toll. Ich mag die Puritaner nämlich überhaupt nicht, die USA sind nicht so mein Ding. Aber ich habe auch Freunde dort.




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