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GESPRÄCHE

Thorsten Hanisch im Gespräch mit Art Camacho

Der symphatische und äußerst auskunftfreudige Art Camacho hat vielleicht nicht diesen "Name = Gesicht"-Status von Genre-Kollegen wie Steven Seagal oder Jean-Claude Van Damme, aber jeder, der sich in den letzten 15 Jahren auch annährend mit dem Actiongenre beschäftigt hat, wird in irgendeiner Form schon mal über das Allround-Talent (Schauspieler, Action-Choreograph, Stuntman, Regisseur, Produzent, Drehbuchautor) gestolpert sein, denn Titel wie RECOIL – TÖDLICHE VERGELTUNG, HALBTOT – HALF PAST DEAD oder CONFESSIONS OF A PIT FIGHTER sprechen für sich.

Das Gespräch.

Auf der "Men of Action"-Website habe ich gelesen, Sie hätten Kampfsport gelernt um sich selbst verteidigen zu können? War das schon einmal notwendig?
    Ich habe mit Kampfsport angefangen weil ich in einer richtig üblen Gegend aufgewachsen bin. Es gab damals viele Gangs und einmal war ich zur falschen Zeit am falschen Ort: Sechs Typen gingen auf mich los und schlugen mich zu Brei. Damals war ich 16 und hatte wochenlang Angst, das Haus zu verlassen, aber bald wandelte sich diese Angst in Wut und den Entschluss, dass mir so etwas nie mehr passieren sollte. Also begann ich mit Karate-Training und ging dann über zu Tae Kwon Do, Kali und sogar Wun Hop Kuen Do. Ich hatte das Glück, unter Sifu [Kantonesisch f. "Lehrer" – Anm.d.Ü.] Eric Lee trainieren zu können. Seitdem ich mit 16 verprügelt wurde hatte ich nur noch fünf richtige Kämpfe, wo ich Martial Arts anwenden musste. Und sie wirken!

Art Camacho
Art Camacho bei Dreharbeiten

Sie sind ein Allround-Talent: Schauspieler, Regisseur, Produzent, Autor, Choreograph, Stuntman... Welche dieser Tätigkeiten finden Sie am erfüllendsten und warum?
    Als ich ins Filmgeschäft kam war alles was ich wollte, Schauspieler zu sein. Tatsächlich hatte ich in einigen Bühnestücken und ein paar Filmen Hauptrollen und kleinere Parts in etlichen anderen. Damals war das auch schön, aber es war nicht so erfüllend wie ich gedacht hätte – das kam erst, als ich die Kampfchoreographie entdeckte. Dort fühlte ich mich zuhause. Da ich mich im Grund meines Herzens als Künstler und Geschäftsmann sehe, entwickelte ich mich hin zur Regie und das wiederum führte zum Produzieren und Schreiben. Ich denke, Regie zu führen ist die stressigste aber auch befriedigendste Tätigkeit, weil sie für mich eine Erweiterung der Kampfchoreographie darstellt. Beim Choreographieren von Kämpfen kreiert man eigentlich keine Kämpfe, sondern dramatische Szenen, die sich Bewegungen, Tritten, Schlägen und verschiedener anderer physischer Techniken bedienen, um Dramatik zu erzeugen. Und dasselbe ist es mit der Regie, nur dass man aus einer breiteren Palette [von schauspielerischen Möglichkeiten] auswählen kann. Statt mit Kicks und Schlägen arbeitet man mit Worten und Gefühlen.

Wie kamen Sie zu PM Entertainment?
    Mein Sifu Eric Lee hatte mit ihnen als Kampfchoreograph gearbeitet und arbeitete gerade an Don Wilsons RING OF FIRE für PM Entertainment. Sie brauchten einige Stunt-Fighter und er rief mich an. Ich hatte keine Ahnung, was ein Stunt-Fighter war, aber hey: Er trat mir im Dojo umsonst in den Arsch, also dachte ich mir "Jetzt kriege ich wenigstens ein paar Dollars dafür, dass ich mir in den Arsch treten lasse", haha. Als ich dann erst mal am Set war und an den ersten Szenen gearbeitet hatte war ich auch schon Feuer und Flamme.
Timing ist alles in diesem Geschäft. Zu dieser Zeit waren "Kickbox"-Filme der letzte Schrei und ich dachte mir, es gäbe vielleicht Bedarf nach jemandem wie mir. PM verhalfen mit nicht nur zu meinem Start als Stunt-Fighter, sondern eigentlich auch zu meiner Karriere als Kampfchoreograph und später als Regisseur.

Wie war es, mit Richard Pepin und Joseph Merhi zu arbeiten? Nahmen sie viel Einfluss oder ließen sie Ihnen künstlerische Freiheit?
    Meiner Einschätzung nach sind sie brillante Filmemacher am Puls des Actionfilm-Genres und durch sie habe ich mein Handwerk gelernt. Joseph Merhi kam eines Tages während der Arbeit an MAGIC KID zu mir und fragte mich, ob ich Regie führen wolle. Ich zögerte für einen Moment und sagte dann "Yeah!" – und das war's. Ich wurde Regisseur und der Rest ist Geschichte, wie man sagt. Joseph war genau genommen ein massiver Einfluss auf meine Arbeit und er gestattete mir kreative Freiheit und als Regisseur zu wachsen. Er brachte mir viel über Tempo, Action und filmisches Erzählen bei.

Art Camacho
Art Camacho mit Oliver Gruner (links) und Don Wilson (rechts)

Unserer Meinung nach versorgten PM Entertainment die Actionfans mit dem besten gradlinigen Actionfutter des B-Film-Marktes: Großartige Stunts, coole Hauptdarsteller. Was war deren Philosophie?
    Ihre Philosophie war es, den Leuten zu geben was sie wollten. Und zwar reichlich. Die Formel, die sie anwendeten, war sehr einfach aber effektiv. Steck' ein paar tolle Schauspieler mit einer glaubwürdigen Story und spektakulärer Action zusammen und du hast ein Produkt, das die Leute kaufen wollen. Es ist genau dasselbe was die großen Studios machen, mit dem einzigen Unterschied, dass die Studios größere Stars, mehr Geld und in manchen Fällen stärkere Drehbücher haben.

Sogar die begannen vor ein paar Jahren, Actionszenen aus anderen Filmen zu "recyceln". Für den Zuseher ist das sehr unbefriedigend – aber den Menschen hinter der Kamera geht es wohl ähnlich?
    Ich persönlich bin kein großer Fan von Archivmaterial in Actionfilmen, aber manchmal kann ich es verstehen, wenn wirtschaftliche Überlegungen ins Spiel kommen. Ich würde mich lieber auf schlüssige Geschichten und interessante Charaktere konzentrieren. Aber der Spielfilmmarkt ist so unvorhersehbar und der Einsatz ist so hoch, wenn man in einen Film investiert, dass man so etwas mitbedenken muss.

Haben Sie irgendwelche Vorbilder, vor allem in Hinblick auf Ihre Choreographien oder Regie-Arbeiten?
    Der größte Einfluss auf die Kampfchoreographie ist und war immer Bruce Lee. Er war die Personifizierung der Artistik. Er nahm die Leinwand einfach in Besitz, ließ sich von nichts beirren und seine Kämpfe waren so simpel wie aufregend. Ohne die Unterstützung von Kameratricks, Schnitten und Wirework hat das seither niemand auch nur annähernd erreicht. Was die Regie angeht wurde ich maßgeblich von John Woos Kunst des Erzählens und des Nebeneinanderstellens von Bildern, sowie von Clint Eastwoods technischer Schlichtheit beeinflusst. Er lässt die Geschichte sich vor Deinen Augen entfalten. Sie sind beide brillante Geschichtenerzähler, die ihre Filme atmen lassen, sowie ergiebige Figuren und Handlungsbögen in ihren Geschichten haben.

Art Camacho
Art Camacho bei Dreharbeiten mit Don Wilson (links)

Wenn ich mir Ihre Filmographie so ansehe, fallen zwei Filme völlig aus dem Rahmen. Wie kamen Sie zu LITTLE BIGFOOT 1 und 2?
    Das sind zwei meiner Lieblingsfilme. Als ich anfing, Regie zu führen, wollte ich nicht auf ein bestimmtes Genre festgelegt werden. Jeder erwartete ausschließlich Martial Arts-Filme von Art Camacho. Mein erster war THE POWER WITHIN, ein Familienfilm, der viel meiner Martial Arts-Philosophie und Spiritualität einfließen ließ. Über meine zweite Regiearbeit dachte ich dann lange nach. Viele meiner Zeitgenossen hatten dasselbe gemacht, mit sehr unterschiedlichem Erfolg. Sie waren darauf festgenagelt, lediglich "Martial Arts-Actionfilm-Typen" zu sein – Regisseure, die nur für ein Genre taugten. Ich wollte daraus ausbrechen, ernst genommen werden und mit Josephs Unterstützung wurde ich mit einem Produzenten zusammengebracht, der das Konzept von LITTLE BIGFOOT vorlegte. Der originale BIGFOOT war ein Erfolg für PM gewesen und so gaben sie grünes Licht für das Projekt. Ich bin so stolz auf diese Filme, weil sie meine Gefühle gegenüber meiner Umwelt wiedergeben und ihr Erfolg nicht von Action abhängt.

Sie haben oft mit Hip Hop-Stars wie Mystikal und Flavor Flav zusammengearbeitet. Mögen Sie es, Hip Hop-Stars an Bord zu haben oder ist das bloß ein Zufall?
    Es ist ein bisschen von beidem. Ich habe mit vielen dieser Rapper und Hip Hop-Stars wie Ja-Rule, Ice T und Coolio gearbeitet und führe gerade mit einigen anderen Verhandlungen. Es ist sowohl eine kommerzielle als auch eine künstlerische Entscheidung, weil sie auf der einen Seite eine große Fangemeinde haben und auf der anderen Seite "real" sind. Sie haben diese Aura der "street toughness", die man nur schwer imitieren kann. Am Ende bestehen sie gegen etabliertere Schauspieler.

Wie war die Arbeit mit ihnen? Sind sie wirklich am Schauspiel interessiert oder wollen sie einfach nur cool aussehen?
    Es ist toll mit ihnen zu arbeiten, weil ich im Barrio [Hispano-Viertel – Anm.d.Ü.] aufgewachsen bin und die Mentalitäten im Barrio und im Ghetto die gleichen sind, da gibt's keine großen Unterschiede. "Die Straße ist die Straße." Die Arbeit mit einigen dieser Typen wie Flav oder Mystikal ist wie nach Hause zu kommen und bei meinen Homeboys rumzuhängen. Tatsächlich ist einer meiner engsten Mitarbeiter und Freunde, Aldo Gonzales, ein knochenharter, zutätowierter Homeboy mit einem Herz aus Gold. Er ist nicht nur ein großartiger Assistent, sondern auch ein ebensolcher Schauspieler. Die meisten der Rapper und Hip Hop-Stars mit denen ich gearbeitet habe nehmen ihr Handwerk sehr ernst. Schaut euch nur mal an, was für eine tolle Leistung Ice T im Fernsehen abliefert.

Art Camacho
Art Camacho bei Dreharbeiten

Was ist Ihre Meinung zu Gewalt in filmen? Wie weit würden Sie gehen? Gibt es eine Grenze, die Sie nicht überschreiten würden oder ist es für Sie ausschließlich Unterhaltung?
    Es gibt einen sehr schmalen Grat, der Gewalt von Action trennt. Ich lehne unnötige, unmotivierte Gewalt in Filmen ab. Hat man einen moralischen Zweck dafür im Kopf ist es etwas Anderes. Wenn zum Beispiel ein wirklich böser Charakter etwas sehr Schlimmes tut, verdient er, was ihn erwartet. Wenn es aber andererseits keine Moral gibt und du die Gewalt nur zum Spaß reinbringst, verbreitest du eine falsche Botschaft. Ich vermeide Gewalt generell, versuche aber, den Action-Anteil hoch zu halten. Kämpfe auf der Leinwand sind Action, keine Gewalt, so wie viele der shootouts in meinen Filmen. Außerdem verabscheue ich Gewalt gegen Frauen und wo sie doch vorkommt ermächtige ich die Frauen, sicht zur Wehr zu setzen und es den Kerlen zu zeigen, wie ihr vielleicht bemerkt habt. Ich werde auch nie offenkundige und selbstzweckhafte Gewalt gegen Kinder filmen. Das ist verdorben. Manche Filme zeigen das mit moralischem Hintergedanken, aber für meine Filme könnte ich mir das nicht vorstellen.

Hatten Sie jemals Unfälle während Stunts oder Kampfchoreographien?
    Ich bin dahingehend gesegnet, dass mir in all meinen Filmen erst ein paar Missgeschicke passiert sind und keines davon eine ernsthafte Verletzung mit sich brachte. Ich achte sehr auf Sicherheit, ganz egal woran ich gerade arbeite. Leben sind so viel wichtiger als irgendein Film.

Mit GANGLAND haben Sie Sasha Mitchell nach sechs Jahren ins Filmgeschäft zurückgebracht. Wie konnten Sie ihn überzeugen, wieder in einem Film mitzuspielen? Wie war die Zusammenarbeit mit ihm?
    Sasha Mitchell ist eine der sanftesten und bedachtesten Personen, mit denen zu arbeiten ich jemals das Vergnügen hatte. Wir wollten jemanden dabeihaben mit dem sich das Publikum identifizieren kann und hatten einfach das Glück, dass er nach Jahren als hingebungsvoller Vater wieder bereit war, sich dem Filmemachen zu widmen. Seine Kinder sind sein ein und alles. Es war großartig, mit ihm zu arbeiten und er war immer noch ein ziemlich guter Kampfsportler.

In den letzten Jahren machten viele Gerüchte über Steven Seagal die Runde: Er käme nicht zeitgerecht zur Arbeit, gehe dafür aber früher wieder und er sei zu faul so zu sprechen, dass man ihn überhaupt verstehen kann. Wie ist er wirklich?
    Über Steven Seagal werden so viele Dinge gesagt und geschrieben und man sollte dabei immer bedenken, dass jeder aus seiner oder ihrer eigenen Perspektive berichtet. Als ich ihn traf entschied ich mich, ihm meinen Respekt als Kampfsportler entgegen zu bringen, nicht als Star oder Schauspieler. Ich habe ihn auch nie mit "Steven" angesprochen, sondern mit "Sensei", weil er genau das ist. Ich kam mit der Anrede Sensei gut klar, weil ich was Martial Arts betrifft kein großes Ego habe. Wir arbeiteten gut zusammen und gingen mit gegenseitigem Respekt auseinander.

Ich habe gelesen, dass Sie öfters Stunt Workshops veranstalten. Wie kamen Sie auf die Idee?
    Ich mache diese Workshops schon seit über zehn Jahren, weil ich ganz einfach qualifizierte Leute in meinen Filmen brauche. Bloß weil jemand ein guter Stuntman ist bedeutet das noch nicht, dass er auch für einen guten Fight auf der Leinwand taugt. Ich suche ständig nach neuen Gesichtern, die aber gleichzeitig mein System für Kämpfe verstehen und damit arbeiten müssen. Ich lehre nicht nur Filmkämpfe, sondern auch Action-Regie, Action-Schauspiel und viele andere Facetten für die Kreation von Film-Kampfchoreographien.

Ich habe außerdem gelesen, Ihr nächster Filme werde ein Western. Ein reiner Western oder einer mit Martial Arts? Können Sie uns etwas über das Projekt erzählen?
    Derzeit tüftle ich mit einem befreundeten Schauspieler namens Lamont Clayton an einem Western analog zu THE OUTLAW JOSEY WALES. Es geht um einen schwarzen Farmer, dessen Land ihm genommen und dessen Familie getötet wird, sodass er auf Rache sinnt. In erster Linie möchte ich eine ansprechende Geschichte inszenieren und zweitens soll die Action entsprechend cool sein. Ich habe in der Tat vor, mich mit indianischen Kampftechniken auseinander zu setzen und in den Film einzubauen. Ich werde mich auch der für diese Zeit maßgeblichen "Rassen"-Themen annehmen.

Ein herzliches Dankeschön für die Übersetzung geht an Stefan Mader.




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