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GESPRÄCHE

Hasko Baumann im Gespräch mit Adam Simon

Regisseur Adam Simon hat einige Jahre für Roger Cormans Produktionsfirma gearbeitet und sich in Hollywood als Drehbuchautor und Regisseur einen Namen gemacht. Ich lernte Adam im Jahre 2001 bei der Berlinale kennen, als er dort seinen Dokumentarfilm THE AMERICAN NIGHTMARE vorstellte. Für meine Horrordoku SCREEN TERROR hatte ich seine Interviewpartner wie John Carpenter oder Wes Craven beinahe zur selben Zeit besucht, und ohne voneinander zu wissen, beackerten wir ein ähnliches Feld. Der Unterschied lag insbesondere in seiner thematischen Eingrenzung (da ich auch das europäische Genrekino beleuchten wollte, hatte ich u.a. auch Deodato und Franco getroffen sowie US-Darsteller wie Campbell, Hess und Scrimm) und der satten Finanzierung seines Films, die ihm völlig freie Hand gab. Der größte Unterschied aber besteht darin, daß sein Film eine weltweite Vermarktung erfahren hat... und mein Material irgendwo auf Verwertung wartet.

Kein Grund, sich nicht anläßlich des deutschen DVD-Starts von THE AMERICAN NIGHTMARE noch einmal mit Adam über seinen Film und den gegenwärtigen Horror in den USA (fiktiv wie real) zu unterhalten, ist er doch ein überaus kreativer und kluger Kopf.

AMERICAN NIGHTMARE war kein langjähriges Lieblingsprojekt von Dir. Wie bist Du dazu gekommen?
    Ich hatte früher einmal mit Tim Robbins einen Film über Sam Fuller gemacht. Die Leute von der IFC retteten ihn aus den Archiven des British Film Institute – da lagen nur ein paar Rollen gedrehten Materials, American Nightmare da wir nicht das Geld hatten, ihn fertigzustellen. Jonathon Sehring – damals Chef der IFC – finanzierte uns die Fertigstellung. Jonathon teilte meine Leidenschaft für Horrorfilme und auch meine Überzeugung, daß Horrorfilme genau so viel oder sogar mehr mit Kunst- und unabhängigen Filmen gemein haben als mit Mainstreamfilmen. Ich war zwar damals mit anderen Projekten beschäftigt und dachte, ich könne es mir nicht leisten, einen Dokumentarfilm nur aus persönlicher Begeisterung zu machen, aber Jonathon war nicht bereit, ein "Nein" zu akzeptieren. Am Ende versprach er mir so viel Unterstützung und Freiheit und erlaubte mir, den Film genau so zu machen, wie ich es wollte - was, wie Du weißt, eine sehr seltene Sache ist in dieser Welt -, so daß ich schließlich annahm.

War es schwer, all die großen Namen zu bekommen?
    Bei manchen war es einfach, bei anderen nicht. Ich glaube, daß diejenigen, die sich mittlerweile mit anderen Dingen beschäftigten – insbesondere Cronenberg – nicht so recht über die alten Zeiten sprechen wollten. Und sie wurden alle schon zu oft interviewt und hatten zu oft die immer gleichen Fragen gehört. Als sie verstanden hatten, daß ich nicht an den üblichen Fragen interessiert war, nicht so sehr an „Wie haben Sie das gemacht“ als vielmehr an ihren persönlichen Erfahrungen mit der Welt, wie sie zum damaligen Zeitpunkt aussah, und an den sozialen, politischen und psychologischen Inhalten – da wuchs ihr Interesse. Sogar Carpenter and Craven, die eigentlich nur zu einem schnellen einstündigen Interview bereit waren, traten faszinierende Diskussionen los und blieben letztendlich stundenlang. Außerdem war da noch John Landis, der mich und meine Arbeit – insbesondere den Sam Fuller Film – kannte. Er rief die Zögerlichen an und überzeugte sie davon, daß sie die Interviews mit mir nicht bereuen würden. American Nightmare
Letztendlich würde ich sagen, daß Wes Craven und David Cronenberg am schwersten zu überzeugen, aber am Ende die Zufriedensten waren. Cronenberg erlaubte den Abdruck des kompletten Gesprächs im Magazin „Critical Journal“ in Großbritannien, und Craven schickte mir eine sehr herzliche Nachricht, nachdem er den fertigen Film gesehen hatte, und bedankte sich bei mir. Er sagte, er hätte das Gefühl, er hätte seine Ära und seine Arbeit und sogar sich selbst besser verstanden, nachdem er den Film gesehen hat!

Da Du und ich mit denselben Menschen über dieselben Dinge gesprochen haben, würde ich Dir gern meinen Eindruck wiedergeben, den Du vielleicht kommentieren kannst.

John Carpenter – trockener Witz und selbstironisch, aber durchaus verbittert.
    Ich sehe auch diese sehr starke, irgendwie verbitterte Seite an ihm – vielleicht weil er weder die Würdigung noch die Möglichkeiten, die er verdient gehabt hätte, erfahren hat. Außerdem, weil einige seiner besten Arbeiten – insbesondere THE THING - mit regelrechter Abscheu abgelehnt wurden. Hinzu kommt, daß er sich eine Karriere vergleichbar der seines Idols Howard Hawks gewünscht hätte, also jede Art Film zu machen, anstatt ins Horrorgenre eingesperrt zu sein.

Wes Craven – sehr professionell, aber mit beunruhigenden Untiefen...
    Ich würde ihn als Geistlichen in einer gotischen Geschichte von Hawthorne besetzen! Ein brillanter Mann. Ein echter Intellektueller. Und ein Gentleman.

John Landis – ein Clown, unglaublich angenehm im Umgang...
    Unterschätze niemals einen Clown. John ist ein verkanntes Genie. Er hat einige der wichtigsten Komödien unserer Zeit gemacht und damit nicht nur die Komödie revolutioniert, sondern jede Art von Hollywoodfilm. Ich würde sogar sagen, daß die Verquickung von einer bestimmten Art von Komödie mit gewalttätiger Action seine Erfindung war. Und über seine Fähigkeiten als Filmemacher hinaus muß ich zwei Dinge über ihn sagen. Erstens, er verfügt über das umfassendste Filmwissen, das man bei Regisseuren finden kann – nur Scorsese und Tarantino können ihm das Wasser reichen. Zweitens, viele Filmemacher tendieren zur Selbstsucht und zum Narzißmus. John ist wahscheinlich der großzügigste und offenste Mensch, den ich kenne – und er ist jemand, der wirklich Hunderten von jungen Filmemachern geholfen hat.

George Romero – ein überaus talentierter Handwerker mit dem Image eines Intellektuellen.
    Wahrscheinlich wegen der Brille! George is ein netter und kluger Mann. Seine Filme sind von sehr unterschiedlicher Qualität – aber die besten sind echte Meisterwerke. Nur ein einziges Meisterwerk gemacht zu haben ist schon sehr selten. Er hat mehr als eines gemacht. Ich glaube, er ist ein weiterer Künstler, der von seinem eigenen Werk gefangen gehalten wird. Ich denke nicht, daß er jemals nur Horrorfilme machen wollte, aber er ist in die Falle getappt. Aber er ist sich seiner Entscheidungen bewußt – er weiß, was er tut und was es bedeutet.

Tom Savini – eine Charisma-Granate.
    Ja, sein Part ist mein liebster in THE AMERICAN NIGHTMARE. Er hat die Art und Weise, wie Tod und Gewalt im Kino dargestellt wird, völlig verändert. Und dennoch haben die meisten Leute noch nie von ihm gehört.

American Nightmare Der stärkste Moment in AMERICAN NIGHTMARE für mich ist der, wenn Savini die Fotos aus seiner Zeit in Vietnam herausholt. Unbezahlbar. Hast Du Dir gedacht, "Strike!", als es passierte?
    Oh ja. Er sprach von den Fotos während des Interviews vor der Metalltür. Und ich habe sofort unterbrochen und ihn gefragt, ob er die Fotos noch hätte. Und als er sagte, könnte sein, er habe sie seit Jahrezehnten nicht mehr angesehen, haben wir das Interview schnell zu Ende geführt und sind rüber zu seinem Haus, wo er die Fotos suchte und auch fand. Dann haben wir nochmal gedreht. Das hat alles verändert. Es war für mich und die Crew sehr bewegend, und ich glaube, auch für Tom.

Hast Du ihnen gesagt, was Dir vorschwebte – die realen amerikanischen Traumata und deren Einfluß auf das Kino zu untersuchen? Oder dachten sie, es würde nur ein weiterer Interviewfilm?
    Ich glaube, sie erwarteten erst mal nur ein weiteres Horrorfan-Interview. Aber sie waren alle sehr begeistert, die andere Seite zu diskutieren. Da haben sie alle aufgemacht.

Was, würdest Du sagen, ist die Fragestellung von AMERICAN NIGHTMARE und welche Antwort findet der Film?
    Da sind einige Fragen – manche sehr spezifisch. Zum Beispiel, warum die Filme dieser Zeit derartig bestialische Seiten haben, was sie auslöste und was sie umgekehrt auslösten. Und dann die generelle Frage, was die Beziehung zwischen sozialem Trauma und Horror im Film ist. Und die allgemeinste Frage geht zurück auf Aristoteles: Was finden wir daran angenehm, uns unangenehme Dinge anzusehen?
Ich denke, wir haben Antworten auf all diese Fragen angeboten. Und der Beweis für ihre Richtigkeit ist, daß der Film vorausgesehen hat, was danach passierte! Der Film wurde im Jahre 2000 gedreht. Und in den 5 Jahren danach wurden viele der darin behandelten Filme neu verfilmt, und wir finden uns wieder in einem ähnlichen Horrorzyklus, der wieder von einem enormen, weltweiten sozialen und politischen Trauma angetrieben wird. Mal abgesehen von all den individuellen psychischen Traumata, die damit einher gehen.

Glaubst Du, daß Horror in seinen extremsten Formen den Menschen in einer gefährlichen Art und Weise beeinflußt? Das ist natürlich die uralte Diskussion.
    Früher war ich mir sicher, daß die Antwort "Nein" lauten würde. Aber je älter ich werde, desto unsicherer bin ich mir. Grundsätzlich darüber, ob es Gefahren birgt für extrem sensible oder bereits beschädigte Seelen; auf der anderen Seite sollte es erlaubt sein, alle erdenklichen Bilder zu erschaffen. 99% dieser Filme suchen sich ihr Publikum praktisch selbst aus – mit anderen Worten, nur wenige Menschen kriegen sie zu sehen, die sich nicht aktiv dazu entschlossen haben. Die Filme liegen also nicht auf der Lauer und warten auf unschuldige Augen, die sie mit ihren Bildern attackieren können. Manche dieser Bilder, die die Kraft zur Zerstörung haben, können auch heilsam sein – vielleicht geht das eine nicht ohne das andere.
Letztendlich halte ich die Funktion dieser Filme, insbesondere für junge Leute, für eine Art Initiationsritus, und diese Initiationen sind schließlich oft sehr blutige und beängstigende Angelegenheiten. Sie sind, wie Wes in meinem und auch Deinem Film sagt, "Ausbildungscamps für die Psyche."

In den USA ist Horror momentan irrsinnig erfolgreich. Die ganzen Klassiker aus den 70ern werden neuverfilmt und machen – zumindest in der ersten Woche – riesige Kasse. Was ich daran interessant finde, ist die Kaprizierung der Inhalte auf "das Fremde" – im Haus, im Fernseher, auf einer Videocasette, sogar in einem selbst. Natürlich entspringt viel davon dem aktuellen japanischen Horrorfilm, aber ich sehe da durchaus Verarbeitungen des 9/11-Traumas der Amerikaner.
    Die Form wird vom asiatischen Horror aus vielerlei Gründen beeinflußt. Und doch gibt es hier zuhause eine offensichtlich sehr intensive Angst – der Feind im Innern, die Terror-Angriffe, auch die Angst davor, selbst zum Monster zu werden, was den Rest der Welt angeht – die Amerikaner wissen sehr genau, daß der größte Teil der Welt uns momentan als eine Art verrücktes Monster ansieht – und das ist gleichzeitig eine Quelle für Angst und, gleichermaßen, Mißachtung.
Wir könnten uns stundenlang über die Ängste Amerikas unterhalten, die diesen Horrorzyklus antreiben – und dürfen dabei nicht vergessen, daß hinter dem scheinbaren Überfluß eine zugrunde liegende Armut steht. Die Einkommensschere weitet sich, und die Unsicherheit wächst.
Aber ich bin neugierig, was das für eine Angst in Asien ist, die solch großartige Filme hervorbringt, insbesondere in Japan und Korea. Ich halte das für das Aufregendste, was das Kino derzeit weltweit zu bieten hat.

In Deutschland wird Horror meist auf seinen gewalttätigen Inhalte reduziert. Wie siehst Du das Genre – würdest Du Dich als Fan bezeichnen und warum gibt es Deiner Meinung eine solche Fangemeinde für dieses Genre?
    Eine große Frage. In gewissem Sinne war AMERICAN NIGHTMARE der Versuch, dies für mich und andere zu beantworten. Ich war von Kindheit an ein großer Horrorfan. Aber dann, als ich älter wurde und vielleicht durch die Konfrontation mit realem Horror, mit dem Tod, interessierte ich mich immer weniger dafür. Insbesondere, was den Gore angeht. Aber ich muß sagen, daß die asiatischen Filme und einige andere aktuelle Beispiele – spanische Filme etwa – mein Interesse wieder belebt haben.

Bones Wie wurde Dein Film angenommen? Gab es unterschiedliche Reaktionen in verschiedenen Ländern?
    Es war meistens warmherzig. Ich glaube, der Film hat den Leuten, die sich für Horror nicht interessieren, gezeigt, warum sich manche von uns dafür begeistern. Er hat wohl auch einigen Fans geholfen zu verstehen, worum es bei den Filmen eigentlich geht. Die Reaktionen der horrorfremden Leute hat mich besonders überrascht. Ein Psychologe aus Australien hat mich angerufen, der sich überhaupt nicht für Horrorfilme interessierte, aber sich auf Traumastudien spezialisiert hat. Er hatte ein Magazin darüber veröffentlicht und hörte ein Interview mit mir im Radio. Er sah sich den Film in Melbourne an und war fasziniert – so sehr, daß er sich den Film mit Kollegen erneut ansah. Besonders angenehm war es bei der Berlinale. Die leidenschaftlichsten und interessantesten Diskussionen hatte ich mit den Zuschauern in Berlin.

Carnosaur Du hast für Roger Corman gearbeitet und mit CARNOSAUR einen der lukrativsten Filme für seine Firma inszeniert. Wie war Deine Zeit mit ihm?
    Darüber könnte ich Tage reden! Es war eine sehr gute Ausbildung – aber wie bei jeder Ausbildung gab es auch eine Menge Schmerzen. In gewissem Sinne habe ich B-Filme zum denkbar falschen Zeitpunkt gemacht – damals wuchs der Independent Film gerade. Da ich mehrere sehr erfolgreiche B-Filme für Roger gedreht habe, mußte ich 10 Jahre für die Studios schreiben, um überhaupt wieder an Persönlicherem arbeiten zu können. Was ich jetzt kann. Obwohl es für mich, der ich als Fan von B- und Genre-Filmen aufgewachsen bin, vielleicht wichtig war, auf diese Weise zu lernen.

Warst Du zufrieden mit BONES, den Ernest Dickerson nach Deinem Drehbuch inszeniert hat?
    Nicht besonders. Vielen gefiel das Skript, und es ist nach einem regelrechten Bieterkrieg verkauft worden. Aber der Film ist doch ziemlich mittelmäßig geworden. Zum Teil lag das wohl an der Vorhersehbarkeit des Buchs – aber die Produktion war auch nur durchschnittlich.

Würdest Du Dich als Genre-Filmemacher bezeichnen? Ich erinnere mich, daß Du eine Neufassung von Modesty Blaise geplant hattest...
    Das habe ich dann doch nicht gemacht, aber für dieselben Leute an etwas anderem gearbeitet – Howards KULL. Ich liebe die Genres. Und ich arbeite viel mit ihnen. Ich habe gerade das Comic KABUKI für Fox Searchlight adaptiert. Aber es zieht mich gleichermaßen in alle Richtungen. Ich mag das, was Ihr Europäer als das "Fantastische" bezeichnet – was hier immer in einem eigenen Genre existieren muß. Leider.




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