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UNENDLICHE TIEFEN

Reportage.
VI. Japanisches Filmfestival Hamburg 2005
von Mirco Hölling

Zum sechsten Mal öffneten sich die Pforten des japanischen Filmfestes in Hamburg. Ein Filmfest, seinerzeit gegründet von zwei Asienenthusiasten, die "einfach mal ihre Lieblingsfilme im Kino sehen wollten". So startete man 1999 mit mittlerweile recht prominenten Gästen wie Toshiaki Toyoda (PORNOSTAR) und Shunji Iwai (YENTOWN). Mittlerweile den Kinderschuhen entwachsen, präsentiert sich das Festival inzwischen mit akademischen und eventhaftem Rahmenprogramm, interessanten Retrospektiven und Neuheiten, die auch Filme jenseits von Miike und Kitano bieten.

Der diesjährige Eröffnungsfilm OTAKUS IN LOVE (Koi no mon) war publikums- und pressewirksam ausgewählt. Die amüsante und durchgeknallte Komödie mit kleinen Nebenrollen von Shinya Tsukamoto und Takashi Miike um Cosplayer, Comics und Animes lockte viele Genrefans ins Hamburger Metropolis. Trotzdem man nicht gänzlich ausverkauft war, gestaltete sich auch die anschließende Party im wunderbaren Innenhof des Metropolis-Kinos als toller Spaß. Wie schon seit Jahren wurde man mit reichlich Sushi, Sekt und liebevoller Dekoration verwöhnt. Dem Filmfest ist deutlich anzumerken, dass es nicht ums Geldverdienen, sondern um die Verwirklichung eines Traums von einigen Hamburger Film- und Asienenthusiasten geht. Und so mischten sich die Veranstalter wie jedes Jahr feierwütig und erleichtert ob des gelungenen Auftaktes unters Publikum und vernichteten einige Liter Bier mit ihren Gästen.

Im Zentrum des diesjährigen Festivals standen drei Kernpunkte. Zuerst einmal die kleine Filmreihe mit Filmen von Hirokazu Kore-Eda. AFTERLIFE, MABOROSHI und sein neuester Film NOBODY KNOWS standen auf dem Programm. Kore-Edas Stil zeichnet sich durch seine Doku-Vergangeheit aus und so sind seine Filme genaue Beobachtungen von Menschen unter besonderen Bedingungen. AFTERLIFE (1998) bietet eine interessante Konstellation, in der frisch verstorbene in einer Art Behörde ihre Lieblingserinnerung nennen müssen, die sie dann verfilmen können und als einziges Bindeglied zu ihrem alten Leben mit ins Jenseits nehmen dürfen. Japans Independent-Star Susumu Terajima trägt diese Allegorie auf Leben und dessen Essenz ganz vorzüglich. Ein Film, der einen bestenfalls noch Jahre begleitet. MABOROSHI (1995) ist die Geschichte einer jungen Frau, deren Mann unerwartet Selbstmord begeht und ihr Versuch, wieder im Leben Fuß zu fassen. Kaum zu fassen ist auch die unglaubliche Fotografie dieses Films. Derartige Bilder dürfte man so schnell nicht wieder auf der Leinwand erblicken können. Abschließend gab es den Cannes-Erfolg aus 2004 NOBODY KNOWS (2004), der 5 Kinder - von der Mutter alleingelassen - bei dem Versuch, ihr Leben zu organisieren beobachtet. Ein Film, der trotz seiner Länge von rd. 140 min spannend wie ein Thriller ist, verstört und gleichzeitig Hoffnung versprüht. Leider musste Kore-Eda einen Besuch in Hamburg aufgrund von Dreharbeiten kurzfristig absagen. Diesen Meisterregisseur kennen zulernen wäre wohl für alle Filmfans eine Gewinn gewesen.

Ein weiterer Schwerpunkt ist seit Jahren die Filmstadt Osaka. Dort existiert eine lebendige junge Filmszene, gefördert durch die ortsansässige Filmhochschule und das in Japan sehr prominente Indi-Kino (und Produktionsstätte) Planet Studyo 1+. Kazuyoshi Kumakiri (KICHIKU) entstammt zum Beispiel diese Szene. Eben dessen Regieassistent bei dem Berlinale-Skandalfilm war mit drei Filmen im Gepäck nach Hamburg gereist: Nobuhiro Yamashita stellte CREAM LEMON, RAMBLERS und NO ONE'S ARK vor. Seine Filme sind voller Lakonie und Witz, andererseits derart statisch, dass es die Grenzen der Erträglichkeit streckenweise schon überschreitet. Yamashita ist mit Sicherheit noch kein Meister seines Fachs, jedoch eigenwillig, sperrig und mit allem ausgestattet, was ein aufstrebender junger Regisseur benötigt. Daneben gab es aus Osaka wieder einige Hochschulabschlussfilme zu sehen und zur Mitternachtsvorstellung zeigte das Hamburger 3001 die beiden Pinku Eigas WATERMELON und MY WIFE'S SHELL von Ryuichi Honda, die ob ihrer selbstironischen Trashhandlung für eine absolute Partystimmung sorgten.

Dritter Schwerpunkt des Festivals stellte der Komponist Toru Takemitsu dar. Takemitsu, 1930 in Tokio geboren, war einer der wichtigsten zeitgenössischen Komponisten, vertonte jedoch auch über 80 zum Teil herausragende japanische Filme. Zu sehen bekam man u.a. Akira Kurosawas Klassiker DODES'KADEN, das wundervolle Samuraidrama GONZA, DER LANZENKÄMPFER oder den sehenswerten, experimentellen 1964er Cannes-Erfolg DIE FRAU IN DEN DÜNEN, der dem Begriff "sandig" eine völlig neue Dimension verleiht. Begleitet wurde diese sehr interessante Reihe von einer klavierbegleiteten Vorstellung des japanischen Stummfilmklassikers EXPRESS 300 MEILEN sowie einem Symposium "Film und Musik in Japan", welches aufgrund von Überschneidungen für den Filmfan leider nur sehr schwerlich zu besuchen war.

Aus dem aktuellen Katalog des japanischen Filmschaffens bekam man den mittlerweile auch in deutschen Kinos laufenden TONY TAKITANI zu sehen, der sich leider als aufgepumptes Nichts entpuppte, den wunderbaren WINDBLUMEN mit Tadanobu Asano (übrigens als gemütliches Filmfrühstück), Takashi Miikes genialischen Gesellschaftsrundumschlag IZO und Takahisa Zezes existenzialistischen DV-Thriller YUDA. Letztgenannter bekennender Teilzeit-Pink-Regisseur (TOKYO X EROTICA, RAIGYO) war vor zwei Jahren bereits zu Gast in Hamburg und ist den Veranstaltern immer noch freundschaftlich verbunden. Aus der Anime-Ecke durften die Fans des gezeichneten Bildes u.a. APPELSEED, MIND GAME oder NITABOH genießen.

Erfrischend am Filmfest in Hamburg ist das Vermeiden der ewig gleichen Filme und Regisseure, die kurze Zeit später sowieso in der Videothek um die Ecke zu haben sind. Keine Konzentration auf Genrekino und die ewiggleichen Miikes, Kitanos oder Sabus. Auch diese finden ihren Platz, werden aber von ungewöhnlichem und unbekannten flankiert, welches das Festival für alle Alters- und Gesellschaftsschichten öffnet. So sah man bei den Animes oder bei IZO die üblichen Festivalbesucher: Sehr jung und im Rudel, ausgerüstet mit Manga- und Heavy-Metal-T-Shirts, erhöhtem lautstarkem Mitteilungsdrang und schwach ausgeprägter Sozialkompetenz. Jenseits dieser Vorführungen war das Publikum angenehm unaufgeregt, interessiert und offen. Erfreulicherweise waren auch Vorstellungen von weniger prominenten Filmen trotz guten Wetters fast immer sehr gut besucht.

Somit ging ein durch und durch gelungenes Festival nach viel zu kurzen 5 Tagen zu Ende. Vorzuwerfen brauchen sich die Veranstalter nichts, lediglich der Timetable wären dahingehend zu optimieren, dass ein Wechsel der Kinos zwischen zwei Vorstellungen möglich wird und das sehr gedrängte Programm etwas entzerrt wird (der Tag begann teilweise um 10 Uhr morgens). Darüber hinaus würde man sich freuen, wenn etwas mehr Festivalstimmung durch noch regelmäßigere Ansagen vor den Filmen erzeugt wird und die Veranstalter auch am letzten Tag Präsenz zeigen. All das sind jedoch Kleinigkeiten gegenüber dem wahren Kleinod des japanischen Filmfestes, welches bei vielen Hamburger Cineasten aus dem Jahrekalender schon nicht mehr wegzudenken ist.

Weitere Infos gibt es unter: www.nihonmedia.de














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