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UNENDLICHE TIEFEN

Reportage.
Viennale 2015
von Lutz Granert

Viennale 2015

Schaulaufen auf dem roten Teppich bei Blitzlichtgewitter, geschlossene Kinosäle nach Beginn der Vorstellung, heuschreckenartige Überfälle der Besucher beim Online-Vorverkauf und undurchsichtige Kontingente bei Restkarten an den Tageskassen: Das sind die Unsitten der Berlinale, die zum Glück noch nicht auf das jährlich stattfindende Filmfestival in der österreichischen Hauptstadt ausgestrahlt haben. Im Gegenteil: Die Viennale gibt sich ebenso wie das Filmfest München gewohnt bodenständig mit Fokus auf den internationalen Independentfilm, so dass man sich als Besucher stets wohl fühlt. Besonders übrigens zu einem Glas gewöhnungsbedürftigen, aber leckeren Märzenbiers im gemütlichen Foyer des Metro-Kinos, das mit seiner Einrichtung an die längst vergangenen Tage der KuK-Monarchie erinnert.

Diesem weiterstrahlenden Glanz der Vergangenheit stand der diesjährige Stargast des Filmfestivals in nichts nach. Tippi Hedren gab sich in einem schicken weißen Hosenanzug bei einer Gala zu Hitchcocks MARNIE im Gartenbaukino die Ehre und bezauberte mit ihrem Charme: Als kleines Mädchen aus Minnesota sei sie keine gute Eisläuferin gewesen - also blieb für sie nur der Beruf der Schauspielerin, verkündete sie augenzwinkernd. Die trotz ihrer 85 Jahre aktive Tierschützerin sollte jedoch auch das Gesicht der diesjährigen Retrospektive "Animals - Eine kleine Zoologie des Kinos" sein. Unter diesem Titel wurden nicht nur Peter Greenaways experimentelle Merkwürdigkeit A ZED & TWO NOUGHTS sowie Disneys Klassiker BAMBI (leider im falschen Bildformat) auf 35mm-Kopien aufgeführt, auch Hitchcocks Klassiker DIE VÖGEL war im Programm vertreten, zu dem Hedren Einiges zu berichten hatte. Das ausführliche Interview im Vorfeld des Screenings im Filmmuseum gab mit ihren Ausführungen zur Tyrannei des "Master of Suspense" am Set, (kaum vorhandenen) Tierschutz in Hollywood und den mit Füßen getretenen Rechten von Schauspielerinnen in den Knebelverträgen des Studiosystems einen tiefen Einblick ins Filmgeschäft - und war eines der Highlights des diesjährigen Wiener Filmefstivals.

Ohnehin verbargen sich im Programm fernab aktueller Produktionen einige Perlen. In einem der "Special Programs" fanden sich beispielsweise die Filme einer der ersten und heute weitgehend vergessenen Regisseurinnen Hollywoods. Ida Lupino wurde als Tochter eines Schauspielerpaares 1918 in London geboren - und inszenierte schließlich zwischen 1949 und 1953 sechs B-Movies mit geringen Budgets. Besonders THE HITCH HIKER (1953) um einen Anhalter, der zwei Männer bei seiner Flucht nach Mexiko nach dem Leben trachtet, ist ein in Stimmung und Atmosphäre beeindruckender Thriller, dessen Neu- oder Wiederentdeckung lohnte. Doch nicht jeder vermeintliche Klassiker konnte halten, was er verspricht. Der in restaurierter Fassung abends 23 Uhr präsentierte Wuxia-Film A TOUCH OF ZEN (1971) geriet zu einem dreistündigen Martyrium, das dem Publikum mit einer zähen Exposition und eher mäßig choreografierten Kampfszenen durch die unbequemen Sitze des Gartenbaukinos und einen brummenden Ton (Mono!) noch nicht einmal den Schlaf der Gerechten gönnte.

Viennale 2015

Bei den aktuellen Beiträgen im Spielfilmprogramm stießen vor allem Genre-Produktionen hervor. Der knallharte und im Heavy Metal-Milieu angesiedelte Horrorthriller THE DEVIL'S CANDY um einen vom Teufel besessenen Killer ist mit seiner suggestiven Kamera und einer wahrhaft verstörenden Klangkulisse der wohl furchteinflößendste Film des Jahres, zu dem ein Metallica-Soundtrack ("Am I Evil") passt wie die E-Gitarre zum Schlagzeug. Auch der diesjährige Gewinner der Goldenen Palme in Cannes, das Flüchtlingsdrama DHEEPAN, war hier zu finden, das leider gegen Ende seine im Authentizität bemühte Milieuzeichnung zugunsten eines actionreichen Klimax aufgibt. Auch stark geriet dagegen das ohne Erlaubnis produzierte Drama MA DAR BEHESHT um eine islamische Lehrerin und den Alltag an einer streng religiösen Mädchenschule im Iran, an der selbst das Tragen von Nagellack verboten ist. Von seiner politischen Brisanz erreichte der Film vom anwesenden Regisseur Sina Ataeian Dena jedoch nicht ganz die Durchschlagskraft von TAXI TEHERAN seines Berufskollegen Jafar Panahi, der damit den Goldenen Bären der diesjährigen Berlinale gewann. Doch wer braucht schon ein "Weltkino"-Festival in Berlin, wenn er ein abwechslungsreiches wie auf der Viennale haben kann, bei dem mit einem gelungenen Mix aus Retrospektiven, Special Programms und modernen Independent-Produktionen über einen Zeitraum von 14 Tagen (es fand vom 22. Oktober bis 5. November statt) niemals Langeweile aufkommt. Und bei dem man sogar noch eine Karte bekommt, ohne sich morgen 8.30 Uhr in eine endlos erscheinende Warteschlange an den Kinos einzureihen.

Mehr Informationen gibt's auf viennale.at.




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