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UNENDLICHE TIEFEN

Essay.
Die wilden Augen des Jess Franco - Eine Art Nachruf
von Thorsten Hanisch

Die wilden Augen des Jess Franco - Eine Art Nachruf

Ursprünglich sollte dies eine längst überfällige Besprechung zur DVD-Veröffentlichung von DIE NACKTEN AUGEN DER NACHT werden. Allerdings wurde der Text dann länger als geplant und da Jess Franco seit dem zweiten April dieses Jahres bedauerlicherweise im Himmel für wilde Zoom- und Reißschwenk-intensive Freuden sorgt, wird dies nun eine Art verspäteter Nachruf, kombiniert mit einer DVD-Kritik. Ich bin sicher, dem guten, alten Jess hätte diese spontan-chaotische Herangehensweise gefallen.

Was mich an der Jess Franco-Rezeption immer ein wenig betrübt ist diese kurzsichtige Absolutheit, die immer dann auftritt, wenn irgendein Künstler über eine überdurchschnittlich hohe Schaffenspotenz verfügt. Egal ob Fassbinder zu seiner-, Takashi Miike seit einiger- oder Jess Franco zu allen Zeiten: Jemand, der den Turbo einlegt wird immer sofort besonders kritisch beäugt. "Kann ja nicht gut sein.", "Braucht sicher Geld.", "Schon wieder einer?" und weiteren Quatsch hört man da. Herrje. Und wenn dann von 100 Filmen 9 missfallen, sind grundsätzlich auch alle weiteren 91 schlecht und der Herr Regisseur wird ein für alle Mal in den Orbit geschossen. Was ausgesprochen schade ist, denn gerade die Arbeitsmaschinen unter den Regisseuren zeichnen sich oft durch vielerlei Facetten aus und in Internetzeiten dürfte es auch bei einer dermaßen umfangreichen Filmographie wie der von Franco kaum ein Problem sein, den ein oder anderen zusagenden Titel herauszufischen.

Bevor jetzt die Alarmglocken schrillen: Nein, Franco war keineswegs unfehlbar und ja, er hat auch Mist abgeliefert, aber war eben auch, und das unterscheidet ihn deutlich von in ähnlichen Gefilden wildernden Kollegen, fähig, "gutes" Kino abzuliefern, meistens dann, wenn ihn jemand an die Leine nahm: In den zensurgeplagten Anfangstagen in Spanien gab's superb gefilmte Horrorthriller wie THE DIABOLICAL DR. Z, unter der Fuchtel des berühmt-berüchtigten Briten Harry Alan Towers lieferte Franco eine ganze Reihe an aufwändigen und finanziell einträglichen Arbeiten wie DER HEISSE TOD oder DER HEXENTÖTER VON BLACKMOOR ab, die Filme für den Schweizer Exploitaton-Titan Erwin C. Dietrich (unter anderem JACK THE RIPPER, DIE LIEBESBRIEFE EINER PORTUGIESISCHEN NONNE) stellten zwar schon deutlicher die sleazige Seite aus, waren aber fast durch die Bank weg kompetent und gut gemacht, zumindest die, bei denen Dietrich ein Auge auf Franco hatte, was nicht immer der Fall war. Selbst 1988 noch, als Francos Karriere sich in allerhand - unter anderem auch pornoeske - Kleinsteskapaden verirrt hatte, verblüffte der Spanier, dieses Mal unter der strengen Rute des französischen Produzenten René Chateau, plötzlich mit FACELESS, einer sorgfältig gedrehten und vor allem ungewohnt gradlinigen Neubearbeitung des George Franju-Klassikers AUGEN OHNE GESICHT.

Die wilden Augen des Jess Franco - Eine Art Nachruf

Die Krux bei Franco ist aber - und das ist zugegebenermaßen schwer zu vermitteln ohne komplett wahnsinnig zu klingen - dass das keine Franco-Filme sind. Wer zum wahren Kern seines Schaffens vordringen will, schaut eher die kleinen Biester, die im Laufe der Jahrzehnte links und rechts vom Wegesrand weggepurzelt sind, an. Zum Beispiel Titel wie ENTFESSELTE BEGIERDE, EINE JUNGFRAU IN DEN KRALLEN VON ZOMBIES oder VAMYROS LESBOS - DIE ERBIN DES DRACULA. Hier wird deutlich, was der passionierte Musikliebhaber (dessen Künstlername nicht ohne Grund Assoziationen zu "Free Jazz" herstellt) 2009 in einem Interview mit der Webseite A.V. Club mit "I decided to […] be someone who loves music, and who tries to make music with his films" meinte (und wieso er in seiner Herangehensweise durchaus Helge Schneider ähnelt). Nämlich die Übertragung von Musik in Film im wortwörtlichen Sinne, das freie, unbändige, improvisierte Spielen mit filmischem Handwerkszeug und narrativen Versatzstücken, völlig unabhängig von konventionell fixierten Strukturen und Erwartungshaltungen jeglicher Art. Die Stimmung, der Vibe geht hier über alles, Franco überträgt das "Call-and-response"-Prinzip des Jazz weitgehend in seine Arbeit als Regisseur, er arrangiert keine statischen Tableaus, er macht lose Vorgaben und reagiert.
Das Leitmotiv nahezu aller Kompositionen ist dabei seine Obsession für den weiblichen Körper. Trotz aller Frauengefängnisfilme, trotz aller Ausflüge in pornographischere Gefilde, trotz allem vermeintlichen Schmuddel lässt sich kaum leugnen, dass der francosche Blick ein anderer, vor allem von ehrlicher Bewunderung und Zuneigung geprägter, ist als zum Beispiel die streng ökonomische Sicht seines damaligen Sleaze-Kollegen Joe D'Amato. Jess liebt die Frauen, was sich vor allem darin äußert, dass der - machen wir uns nichts vor, grundsätzlich fetischisierende - Kamerablick immer ein aufgeregter, zwischen Nähe und Distanz hin- und herpendelnder ist. Die Inszenierung von weiblichen Körpern ähnelt oft der Sicht eines kleinen aufgeregten Jungen, er guckt gerne genau hin, genauso schnell aber auch verschämt wieder weg, er geht in die Beobachterposition, filmt durch Aquarien oder in spiegelnde Flächen (schöne Beispiele finden sich in DOWNTOWN - DIE NACKTEN PUPPEN DER UNTERWELT). Ebenso setzt Franco im Gegensatz zu so manch anderen Erotomanen des Kinos den Fokus nicht nur auf primäre Geschlechtsmerkmale. Mit dem gleichen Interesse und exakt der gleichen Begierde widmet sich Jesús' Objektiv voller Zärtlichkeit Gesichtern oder Augenpaaren, besonders schön zu sehen in FEMALE VAMPIRE, der nicht nur in den Augen seiner jahrzehntelangen Muse Lina Romay regelrecht versinkt, sondern auch ein Film ist, bei dem Liebe und Verlangen regelrecht körperlich spürbar wird - so inbrünstig hat nur noch Hitchock sein Verhältnis zum weiblichen Geschlecht in seine Arbeit transportiert, wobei Franco deutlich puristischer, weniger komplex, mehr Bauchmensch ist. Andererseits kleiden beide ihre Faszination für ihre Darstellerinnen allzu gerne in einen abgründigen Kontext. Psychologisch Geschulte dürfen sich gerne tiefer gehenden Betrachtungen widmen. Man kann ihm jedenfalls auch keine pubertär sexualisierte Idealisierung vorwerfen, wie sie in vielen US-Mainstream-Filmen (unter anderem die TRANSFORMERS-Filme) oder in modernen (meist für den westlichen Markt hergestellten) japanischen Produktionen à la THE MACHINE GIRL zu finden ist, dazu fällt Francos Blick auf die Männerwelt zu betont diametral aus. Ebenso findet man das oft anzutreffende, patriarchalisch geprägte Machtgefüge des Erotikfilms bei ihm kaum (und wenn, dann immer nur bei Arbeiten für andere).
Männer werden im francoschen Kosmos durch die Bank negativ, oft regelrecht verächtlich, meist als hoffnungslos unterlegene, bizarre Naivlinge portraitiert, wobei sich der Allrounder auch in seiner Funktion als Drehbuchautor und Darsteller keineswegs selbst schont. DOWNTOWN - NACKTE PUPPEN DER UNTERWELT mit Francos tölpeligem Al Perreira ist hier wieder ein schönes Anschauungsbeispiel, bemerkenswert aber ebenso SADOMANIA - HÖLLE DER LUST, indem sich der Meister in seiner Rolle als schwuler Puffbesitzer doch tatsächlich von der transsexuellen Darstellerin Ajita Wilson besteigen lässt!

Die wilden Augen des Jess Franco - Eine Art Nachruf

Das Kino des kleinen, aber doch so großen Arthaus-Schmuddel-Titanen ist in erster Linie ein von Dominanz und Unterwerfung geprägtes, nicht nur, was die Darstellung von Geschlechterverhältnissen angeht, sondern auch die Einflechtung von Gewalt per se. Es ist schon mehr als auffällig, dass sich bei einem Regisseur, der nahezu fünf Dekaden Exploitationgeschichte durchlebt und rund 200 Werke hinterlassen hat, kaum Filme finden, die sich in Sachen Gewaltdarstellung übermäßig aus dem Fenster lehnen. Selbst gegen Ende der 70er-, Anfang der 80er-Jahre als amerikanische und europäische Macher von einem Exzess zum nächsten eilten, blieb Francos Kino verhältnismäßig zahm. So finden sich mit JACK THE RIPPER, BLOODY MOON und den bereits erwähnten FACELESS letztendlich auch nur drei Filme, die eine deutlich saftigere Gangart einlegen, wobei alle drei aber bezeichnenderweise wieder Filme sind, die unter der Knute hochkommerzieller Produzentengrößen fabriziert wurden. Vor allem aber seine nicht uninteressanten, da eigenwilligen, aber letztendlich eher kläglichen Versuche mit Hilfe der französischen C-Film-Firma Eurociné auf der kurzen Kannibalenfilmwelle mitzuschwimmen demonstrieren wohl endgültig, dass "echte" Gewalt nicht Francos Ding ist und somit auch seine berüchtigten (und auch permanent total überzeichneten) Frauenknast-Filme wohl eher als sado- und vor allem masochistische Rollenspielfantasien des Regisseurs zu deuten sind.

Bevor mich jetzt die Cineasten (und Feministen) dieser Welt kollektiv ans Kreuz schlagen: Diese Zeilen sollten Franco nicht nachträglich aufs Siegerpodest hieven, natürlich lässt über das Mega-Gesamtwerk des Regie-Zwergs vortrefflich streiten und ich kann auch nach wie vor jeden verstehen, der verärgert oder belustigt abwinkt. Ich hoffe nur, vielleicht eine weitere Perspektive angeboten zu haben. Das Kino des Jesús Franco Manera ist vielleicht kein, im bourgeoisen Sinne gedacht, "gutes", es ist aber ein sehr persönliches, sehr vielschichtiges, eins das lebt, schnauft, atmet und eine nähere Betrachtung durchaus Wert ist.

Zum FILM:
Der 1970 nach 1-2 Kinovorführungen verschwundene und erst 2004 wieder ausgegrabene DIE NACKTEN AUGEN DER NACHT ist einer der dubiosesten Einträge im francoschen Köchelverzeichnis. Eigentlich handelt es sich hier um zwei unfertige Filme, die zu einem montiert wurden (random fact - laut Credits ist eine gewisse "Nadia" für den Schnitt verantwortlich, Francojünger werden spätestens jetzt misstrauisch), was natürlich noch nie gut gegangen ist, so auch hier: Die Handlung um eine exotische Tänzerin, die eine Affäre mit einer herrischen Frau beginnt und langsam in den Wahnsinn abdriftet, ist reines Stückwerk. Es spricht aber für Franco, dass selbst unter diesen ungünstigen Umständen dennoch ein seltsam faszinierendes, psychedelisches Stück Kino rauskommt. Das liegt zum Einen an den typischen Ingredienzien: Nachtclubs, Striptease, Lesbensex und typische, gerne gesehene Franco-Schauspieler (Soledad Miranda, Paul Muller, Jack Taylor). Zum Anderen an der herausragenden Leistung der Hauptdarstellerin Diana Lorys, einer vor allem auf Western abonniert Aktrice, die hier mit einer ausbalancierten, faszinierend verletzlichen Vorstellung glänzt, was auch der Mann am Steuer wohl so gesehen hat und eine an sich profane Sequenz, einen Dialog mit einem ebenso glänzend aufspielenden Paul Muller in einem Auto, zum seltsam entrückten Highlight bastelt: Die Gesichter sind nie zusammen zu sehen, lediglich im Umschnitt, doch während Muller überwiegend auf Distanz gehalten wird, fährt die Kamera fasziniert an die fabelhafte Lory immer näher heran und lässt ihr Gesicht gleichzeitig mit einer Art Weißfilter immer ätherischer, engelhafter werden. Ein bizarrer, aber dennoch magischer Augenblick. Magisch und ein weiterer Pluspunkt ist auch Bruno Nicolais fabelhafte, für diese Art von Resteverwertung eigentlich viel zu gute Musik, die mit finsterem Streichergefiedel und experimentellem, jazzlastigem Gehämmer bei aufgeschlossenen Musikfreunden für Entzücken sorgen dürfte.
Zu guter Letzt noch ein Wort zur legendären Soledad Miranda: Verehrer werden enttäuscht sein, die viel zu früh - im Produktionsjahr des Films - verstorbene Franco-Göttin mit der mitternächtlichen Aura tritt nur am Rande auf (die Cover zu den US-Editionen des Films suggerieren anderes) und liegt dann zumeist auch nur mit einem Nichts bekleidet auf einer gammeligen Matratze herum oder schwenkt eine Flasche mit billigem Fusel, bietet aber in ihren sexy Lederstiefeln natürlich dennoch einen erquicklichen Anblick. Interessanterweise wurde die Miranda-Ablöse Lina Romay 1973 in ihrer ersten Hauptrolle (FEMALE VAMPIRE) von Jess ebenfalls wieder fast nackt in Lederstiefel gesteckt. Es sind unter anderem auch diese Querverweise (die oft durchaus auch komplexerer Natur sind) die den Franco-Kosmos so interessant und spannend machen - wie sagte Experte Tim Lucas einst so schön: You can't see one Franco film until you've seen them all.. Und klar, DIE NACKTEN AUGEN DER NACHT ist sicherlich nur fortgeschrittenen Francologen zu empfehlen, die aber werden's mögen.

Die wilden Augen des Jess Franco - Eine Art Nachruf

Die DVD:
Autsch. Das Bild ist von Defekten überseht, farblich im besten Fall mittelprächtig, im schlechtesten sieht man fast gar nichts mehr (z.B. in der mittigen, zappendusteren Orgienszene), ganz zu schweigen vom hässlichen Vollbild-Format. Der Ton passt sich dementsprechend an: Die deutsche Spur dröhnt dumpf und rauschend durch die Boxen, die französische ist einen Tick klarer, aber ebenfalls alles andere als nur annähernd optimal. Bemerkenswert auch, dass die deutschen Untertitel tatsächlich Zwangsuntertitel sind. Als Extras finden sich der amerikanische und der deutsche Trailer.
Leider ist das Debakel auch nicht mit der Obskurität des Films zu entschuldigen: Nicht nur, dass selbst die alte US-DVD von Shriek Show aus dem Jahr 2004 sich auf technisch leicht höherem Level einpendelt, erst im August dieses Jahres wurde in den USA eine Remastered Edition von Kino Lorber/Redemption auf DVD/Blu-Ray veröffentlicht, die sicherlich ebenfalls mit Schwächen zu kämpfen hat, aber im richtigen Bildformat vorliegt und mit tollen Extras aufgepäppelt wurde.




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