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UNENDLICHE TIEFEN

Essay.
JÄGER UND SAMMLER - Die Jagdzeit ist Vorbei
von Hasko Baumann

Was ist passiert? Ungewaschene Typen drücken Dir den Wanst in die Elle, die Aufschrift ihres Doom Metal-T-Shirts ist gefährlich in die Breite gedehnt. Geldbeträge werden gemuffelt, Plastiktüten gefüllt und der salzige Geruch von altem Schweiß dünstet schwer in der sauerstoffarmen Luft. Du bereust, daß Du Deine Freundin spaßeshalber mitgenommen hast, denn die schwarze Masse glotzt ihr aus blassen Pickelgesichtern auf den Arsch - sie ist nämlich die einzige Frau hier; zumindest die einzigeFrau, die auch wie eine aussieht. Das Gefühl von Entfremdung mischt sich mit einer Anmutung von Unterlegenheit. Du bist allein. Und doch bist Du einer von ihnen. Du bist auf einer Filmbörse.

So war die Situation auch schon vor zehn Jahren, ob man sich nun in Essen, Münster, Hamburg oder Berlin unter die Kellerkinder getraut und um den Preis von - au weia - HÄUTET SIE LEBEND gefeilscht oder sechzig Kracher für Bavas letzten Film hingeblättert hat, obwohl man kein einziges Wort der italienischen Originalfassung verstand. Sah trotzdem toll aus im Schrank. Wenn man sich einmal eingestanden hat, daß man Filmsammler ist, ein Freak, dessen Sucht Kopfschütteln oder Bewunderung bei Normalsterblichen auslöst, dann, ja dann lebt es sich leichter. "Mein Name ist Heinz und ich bin seit acht Jahren Filmsammler." - "Willkommen, Heinz."

Und doch ist die Luft raus. Der Spaß ist weg. Wieso? Na ganz einfach. Noch bis Ende der Neunziger gab es den Reiz des Verbotenen. Die Freaks krochen aus den Höhlen mit den Verbotslisten der Bundesprüfstelle und arbeiteten sie einen Film nach dem anderen ab. Für viel Geld. Die übelsten Klopper wurden von Händlern im Köfferchen unterm Tresen versteckt, und wer wußte, was er wollte, durfte einen Hunni ins Köfferchen stecken und seinen heißgeliebten Frauenlagerfilm mit nach Hause nehmen. Ich weiß noch, daß ich stolz wie Bolle war, als ich den MAN-EATER in den Videorecorder legte; eine abstruse Kopie, in der ständig die Sprache wechselte, in mieser Bildqualität, und vor allem war der Film an sich die letzte Scheiße; aber seit Kindertagen wußte ich um den Nimbus des Verbots. Das allein - und nur das - rechtfertigte die Jagd. Das mußte man gesehen haben. Fulci. Franco. D'Amato. CANNIBAL FEROX / HOLOCAUST / APOCALYPSE. I SPIT ON YOUR GRAVE. MEN BEHIND THE SUN. TOOLBOX MURDERS. NAILGUN MASSACRE. Was weiß ich. Hauptsache, verboten. Und dann natürlich - Trommelwirbel - uncut auftreiben. Die Aufregung, der Stolz, die Prahlerei hinter vorgehaltener Hand.

Mal ehrlich: Hätte man sich sonst für Müll wie MAN-EATER überhaupt interessiert? Wieviel Schrott hat man sich angesehen, weil er irgendwie berüchtigt war? Wie selten führte das zu Aha-Erlebnissen wie bei CANNIBAL HOLOCAUST, also dem Moment, in dem sich etwas wirklich Gutes hinter dem blutroten Vorhang verbarg? Und hat nicht genau das solchen Spaß gemacht, durch tonnenweise Gülle zu waten und ab und an schwarze Perlen dort ganz unten zu finden, die man dann um so mehr zu würdigen wußte? War man nicht der Indiana Jones des Schlock?

Heutzutage kann man alles haben. Die DVD machts möglich. Bestes Bild, alles drin, fairer Preis. Auf den Börsen wird gedumpt wie die Sau. Für nen Fünfer habe ich mir IGOR AND THE LUNATICS geholt und schon beim Einlegen gedacht, was kaufst Du Dir da eigentlich für eine Scheiße? Früher wäre das interessant gewesen, nach Gefeilsche und Geschiebe um ne rappelige Videocassette, wow, IGOR zuhause, Wahnsinn. Heute ist das einfach ein Drecksfilm auf ner Silberscheibe. Das macht keinen Spaß. Wenn jetzt heißgeliebte Italo-Reißer wie DER TEUFEL FÜHRT REGIE oder MILANO KALIBER 9 veröffentlicht werden, freut man sich über die tolle Qualität und die adäquate Behandlung dieser feinen Filmchen, aber das Gefühl, die alten VPS-Cassetten aufzutreiben und deren Geruch nach dem Kippenqualm der 80er-Videothek einzuatmen, ist nicht zu toppen.

Vor kurzem ist BLOOD FEAST beschlagnahmt worden. Ein kleiner Scheißfilm aus den 60ern, der gerne zum Urknall des Splatterfilms hochgehypt wird. Herrschell Gordon Lewis ist ein Name, den man offenbar auf Stehparties oder in Kellerzimmern gern mal in die Runde wirft. Der Film ist Mist - inhaltlich wie künstlerisch unterste Kajüte. Aber jetzt, jetzt wird er wieder interessant. Und das ist auch okay. BLOOD FEAST wird vielleicht in Zukunft in den Köfferchen hinterm Tresen liegen und gute Preise erzielen. Leute, die sonst keinen Schimmer von dieser Art Film haben, werden sich damit beschäftigen. Weil irgendwas daran offenbar wohl interessant sein muß. Ist doch in Ordnung. Ist doch eine sehr positive unfreiwillige Konsequenz.

Im Grunde hat in den 90ern jemand wie der - gelinde gesagt umstrittene - ASTRO-Boß Oliver Krekel dieses Prinzip am Allerbesten verstanden. Er hat, von echten Klassikern bis hin zum allerletzten Schrott einfach alles, was verboten und gemein roch, unter ein Label gepackt. Ein Geniestreich. Er hat die Leute dazu gebracht, zu glauben, daß alles, was bei ASTRO erschien, irgendwie interessant sein mußte. Ich bin mir sicher, daß er das in vollem Bewußtsein der drohenden juristischen Konsequenzen getan hat. Erste Auflage weg - Kohle wieder drin. Indizierung / Beschlagnahmung. Wiederveröffentlichung mit anderem Titel etc. Da waren die Fans dank der neuen Verbote noch heißer, also wieder gekauft wie die Irren. Und dann vom Markt damit. Hat irgendwie Spaß gemacht, das zu beobachten, das mitzumachen. Es ist auf jeden Fall das einzige mir bekannte Mal gewesen, daß ein Videolabel eine Fangemeinde (!) hatte. Und das aus dem Grund, daß sich Leute wohlgefühlt haben in dem absurden Gedanken: Olli gegen das System. Olli gegen den Rest der Welt. Und wir helfen mit. Unglaublich bekloppt und ganz sicher einseitig, aber irgendwie niedlich.

Heute wird auch wieder zu Felde gezogen gegen die Beschlagnahme von BLOOD FEAST, und da muß ich mich ernsthaft fragen: Who gives a flying fuck? Ein "nicht tolerierbares System" sei da am Werke, mußte ich kürzlich in einem Forum lesen (allerdings in einem anderen, ähnlichen Zusammenhang). Ich bin nicht der Auffassung, daß man amnesty international einschalten muß, wenn ein kleiner Scheißfilm wie BLOOD FEAST vom Markt genommen oder Mainstream-Gülle wie THE PUNISHER um ein paar Einstellungen gekürzt wird. Wer will, kommt mit etwas gutem Willen sowieso an die Filme, und das ist genau der Moment, in dem der Underground ein bißchen wiederbelebt wird, wenn dem Mainstream wieder ein wenig Subversivität entgegensteht. Ein ganz klein wenig, aber immerhin.

Dann wird es auf Foren nicht mehr heißen "Meine DVDs sind angekommen" (?!), sondern "Ich habe eine ungeschnittene zypriotische Fassung von BAMBUSCAMP DER GESCHÄNDETEN HOLOCAUST ZOMBIE-JUNGFRAUEN aufgetrieben", wow! Ist doch irgendwie lustiger. Und dann kann man sich auch wieder mit den blassen pickligen Kellerkindern auf die Börse trauen und die sauerstoffarmen Räumlichkeiten mit stolzgeschwellter Brust und vollgepackter Plastiktüte nach drei Stunden wieder verlassen und daheim die nutzlose, aber wunderschöne Affenscheiße in den Schrank stellen.




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