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UNENDLICHE TIEFEN

Reportage.
5. Hard:Line Festival
von Thorsten Hanisch

5. Hard:Line Festival

Es ist ein absolut zauberhafter Umstand, dass seit einiger Zeit die deutsche Filmfestivallandschaft am Erblühen ist, denn wer keine Lust auf Big-Budget-Fastfood oder französischen Wohlfühlkitsch hat, wird im Kino nur noch selten bedient und dabei gibt es so viele tolle und vor allem bildgewaltige Filme, die eine Auswertung auf der Leinwand weitaus mehr verdient hätten als das neuste Produkt vom Star-Wars-Fließband. Aber zum Glück existieren Menschen wie Florian Scheurer, der zusammen mit seinem fünfköpfigen Team seit ein paar Jahren ein kleines, feines Festival auf die Beine stellt, das sich laut Homepage dem "extremen Kino" verschrieben hat. Eine etwas verschwommene Bezeichnung, die erstmal vor allem Horror in den Sinn kommen lässt und das Programm ist tatsächlich stark horrorlastig, allerdings mischte man dieses Jahr auch Komödien oder gar einen völlig harmlosen, sehr niedlichen Liebesfilm bei. Primär geht's den Hard:Linern laut Eigenauskunft jedenfalls in erster Linie darum, kleinen Produktionen eine Chance auf die Leinwand und den oft völlig unbekannten Machern eine Chance auf Öffentlichkeit zu geben und das ist natürlich eine tolle, nicht genug zu preisende Motivation.

Absolut zauberhaft ist auch die angenehm heimelige, extrem familiäre Atmosphäre des Festivals, die Jungs und Mädels haben nicht nur interessante Filme im Gepäck, sondern demonstrieren außerdem, was in Zeiten von Online-Tickets immer mehr verloren geht: Persönlichkeit. Bereits am Eingang wird man von den freundlichen Machern (oft steht der Chef selbst hinter den Tresen) begrüßt, die sich bei Beginn des Festivals auch noch mal auf der kleinen Bühne vor der Leinwand vorstellen. Sehr süß, auch weil man die Angespanntheit und leichte Nervosität jederzeit merkt - hier sind keine gelangweilten Routiniers am Start, sondern Menschen mit purer Leidenschaft; Menschen, die noch was wollen. Der stark persönliche Touch zieht sich durch das ganze Programm: Nach den Filmen gab es Frage-Runden mit den eingeladenen Regisseuren, Produzenten und Schauspielern und die Künstler, die nicht kommen konnten, stellten ihre jeweiligen Produktionen mit eigens gedrehten Einführungsvideos vor. Toll! Nicht unerwähnt bleiben sollen auch die großzügigen Pausen zwischen den Filmen, die den Wohlfühlfaktor noch verstärkten: Man konnte das Gesehene in aller Ruhe erstmal ein bisschen sacken lassen oder Grundbedürfnissen (Trinken, Essen, Toilettengang) nachgehen, kein Gehetze, kein Gefühl, dass man was abarbeitet. Sehr schön!

Ein absoluter Vorteil ist natürlich die fantastische Location: Das Festival findet im seit 1971 existierenden 1-Saal-Ostentor-Kino statt, dem ersten Programmkino Deutschlands, das 2013 mit einer erfolgreichen Petition vor der Schließung bewahrt wurde - Hallelujah! Das Kino befindet sich technisch sicherlich nicht am Puls der Zeit (was sich ab und an vor allem beim blechernen Sound ziemlich bemerkbar macht), dafür gibt es links neben der Leinwand einen direkten Durchgang zur ebenso alten, total urigen, kleinen Kinokneipe (nur echt mit extra muffeliger Bedienung), in der man nach dem Abspann schlechte Filme direkt mit zwei bis sieben Bier wieder wegspülen kann - mal ehrlich: Wen interessiert da noch Dolby Atmos?
Die Kneipe war außerdem Veranstaltungsort zweier Aftershowpartys des Festivals, auf denen man in zutiefst relaxter Atmosphäre quatschen und weitere drei bis acht Bier kippen konnte - erfreulicherweise waren die Gäste ebenso unter dem partywütigen Volk anzutreffen - offenbar pflegen besonders Kanadier ein extrem inniges Verhältnis zum deutschen Gerstensaft!.

Zum Programm:

In der leider viel zu ausgewalzten Fake-Doku TOP KNOT DETECTIVE über eine fiktive, japanische Serie und dessen extravaganten Hauptdarsteller trifft ein Samurai auf Außerirdische und Penis-Monster; nicht ohne Reiz, aber auch einer der Filme, bei denen die Macher genau EINE Idee hatten. Für 87 Minuten definitiv zu wenig.

COLD GROUND lässt sich am besten als BLAIR WITCH PROJECT im Eis mit leichtem Lovecraft-Touch beschreiben, wer immer noch nicht die Schnauze von found footage voll hat, wird hier ganz gut bedient. Ganz gut bedient, aber leider auch echt nicht mehr, wurde das Publikum ebenso von den drei Filmen des Kanadiers Chad Archibald, der mit BITE, THE HERETICS und THE DROWNSMAN vertreten war - man hätte allen Dreien allein schon aufgrund des sympathischen, humorvollen Auftretens des anwesenden Regisseurs gerne mehr Liebe entgegengebracht, aber über sicherlich solide gefertigten, dennoch wenig originellen Zeitvertreib kam das Trio leider nicht hinaus.

5. Hard:Line Festival

Als unverständlicher Mini-Hype entpuppte sich der derzeit in Genrekreisen heftig gefeierte, spanische NIGHT OF THE VIRGIN. Erzählt wird von Nico, der endlich seine Jungfräulichkeit verlieren will, aber die gruselige Medea entpuppt sich da nicht unbedingt als richtige Wahl, denn die deutlich ältere und ganz schön bizarre Frau, die in einer völlig versifften Bude haust, steht mit finsteren Kräften im Bunde... natürlich, Hauptdarsteller Javier Bódalo ist allein schon aufgrund seiner speziellen Physiognomie ein Gewinn und es gibt eine Handvoll wunderschöne Ekel-Effekte, aber Regisseur Robert San Sebastián begeht den klassischen Fehler vieler Debütanten und ist so dermaßen begeistert von seinem Film, dass er sich von nichts trennen kann und seinen dünnen Plot auf sagenhafte 116 Minuten streckt, was die Horrorfarce schon nach kurzer Zeit zur Geduldsprobe werden lässt. Ganz anders hingegen COMPULSION, ebenfalls aus Spanien, ebenfalls ein Debüt, allerdings wurde der ebenso dünne Plot (Ehefrau vermutet eine Affäre, entdeckt aber, dass ihr Ehemann ein Serienkiller ist) auf knappe 71 Minuten zugespitzt und die sind beeindruckend gefilmt, gut gespielt, hart und sehr, sehr spannend.

Als regelrechter Horror-Kunstfilm entpuppte sich der gleichfalls reduzierte und bildgewaltige DEATH ON SCENIC DRIVE von Gabriel Carrer, der 2015 bereits mit THE DEMOLISHER punkten konnte und hier eine extrem eigenwillige, sperrige Quasi-Giallo-Variante über eine junge Frau, die auf ein abgelegenes Haus aufpassen soll und dabei langsam aber sicher in den Wahnsinn abgleitet, vorlegt, die sicherlich die Gemüter spalten, aber in beiden Lagern bleibenden Eindruck hinterlassen wird. Carrer ist jedenfalls ein Name, den man sich vormerken sollte, der Mann ist auf dem besten Weg zur kanadischen Ausgabe von Nicolas Winding Refn.

Eine echte Offenbarung für Science-Fiction-Fans ist der Low-Budget-Knaller DOMAIN, der eine Besprechung ohne heftige Spoiler allerdings extrem schwer macht. Anfänglich klingt das jedenfalls erstmal wie eine Billarde Mal da gewesene Durchschnittskost, macht allerdings im letzten Drittel einen smarten Schlenker, der einen am besten völlig unvorbereitet treffen sollte, deswegen jetzt mal nur ganz oberflächlich: Ein Virus hat nahezu alle Menschen ausgelöscht, eine kleine Anzahl wurde allerdings rechtzeitig in unterirdische, bestens ausgestattete Bunker untergebracht um das Fortbestehen der Menschheit zu sichern. Immer sieben sind mit einem Skype-artigen Kommunikationssystem namens "Domain" verbunden um aufeinander zu achten, doch eines Tages kommt das soziale Gefüge ins wanken, als einer aus der Gruppe, von der der Film handelt, eine finstere Vergangenheit offenbart, zudem scheint das System immer mehr Störungen zu haben...

DOMAIN verzichtet auf Krawall, sondern ist ein minimalistisches, gut gespieltes Kammerspiel mit Mysteryeinschlag, das sämtliche Klischee-Stolpersteine, die Dystopien so mit sich bringen, elegant umsegelt (im Mittelpunkt steht die Bedeutung von Kommunikation und Kontakt, nicht das Ringen um Lebensmittel oder Benzin) und weiterhin mit einer zauberhaften Optik im 70er-/80er-Jahre-Stil plus einem fulminanten Soundtrack fleißig Publikumsherzen sammelt - da vergisst man schnell, dass der größte Teil des zudem ziemlich geschickt inszenierten Films eigentlich nur in einem Raum spielt. Ein hell schillernder Diamant in pechschwarzer Finsternis, der in nächster Zeit sicherlich zum ehrfurchtsvoll weitergemurmelten Geheimtipp mutiert!

Das Gleiche gilt auch für SAVING SALLY, der allerdings in eine komplett andere Richtung steuert und trotz aller vertretenen Monster, Psychokiller und Kannibalinnen bei der Abstimmung nicht nur zur Überraschung der Veranstalter zum absoluten Publikumsfavoriten mutierte - es handelt sich hierbei nämlich um eine Liebesgeschichte! Marty und Sally sind klassische "Nerds", die in einem futuristischen Manila leben. Er ist Comic-Zeichner und Autor, der so versunken in seiner Welt ist, dass er seine Umgebung regelrecht aus Comic-Augen sieht, vor allem unliebsame Mitmenschen nimmt Marty als verschiedenartige Monster war. Sie ist Apparaturenerfinderin und hat Marty einst vor einem fiesen High-School-Tyrannen gerettet. Seitdem sind die beiden besten Freunde. Wenn da nur nicht die Liebe wäre. Der Comic-Träumer hat sich schwer in Sally verknallt, traut sich's aber nicht ihr zu sagen. Doch gerade als er endlich den Mut fasst, erfährt er, dass seine Angebetete mit dem arroganten Nick angebandelt hat, ein weiteres Problem offenbart sich zudem noch in Form von Sallys monströsen Adoptiveltern...

5. Hard:Line Festival

Natürlich, originell geht anders, das Entscheidende an der philippinischen Produktion ist aber nicht das was, sondern das wie: SAVING SALLY dreht das ROGER RABBIT-Prinzip um und versetzt seine reale Akteure in eine kunterbunte 2D-Comicwelt, in der alles möglich ist. Und es ist gerade die wunderbare, herrlich verspielte Optik, die plausibel macht, wieso sich Regisseur Avid Liongoren für eine simple Liebesgeschichte mit unheimlich charismatischen, wirklich süßen Darstellern entschieden hat, denn es ist gerade dieser lebensnahe (alle "Up- and Downs" mit inbegriffen) Kern, der dem bunten Treiben Bodenhaftung gibt, der dafür sorgt, dass das Geschehen am Zuschauer nicht vorbeirennt, es ist aber auch gerade die fantasievolle Gestaltung, die die alltägliche Geschichte ungemein intensiviert - wenn Marty sich in seinen Tagträumen in einen unbesiegbaren Superhelden verwandelt, der sein Mädel retten will, dabei in der Realität aber von seinem Mädel vor einem herannahenden Bus gerettet wird, ist das visuell bezaubernd umgesetzt und nicht unkomisch, allerdings auch nicht flach oder gar diffamierend, man kann Gefühle dieser Art wohl ohne Probleme nachvollziehen. SAVING SALLY liebt seine Protagonisten von ganzen Herzen und es ist gerade diese ehrlich, aufrichtige Natur des Films, der sich auch nie in Zynismus und Obszönitäten flüchtet, um über die Runden zu kommen, die ihn einfach so wahnsinnig sympathisch macht.

Beendet wurde das Festival mit Trent Haagas Gauner-Klamotte 68 KILL, die in ihrem Post-Tarantino-Modus mindestens 20 Jahre zu spät kommt, dank toller Darsteller, guter Gags und einen klitzekleinem Schuss Dramatik - ein bisschen Bodenhaftung ist gerade in so einem überdrehten Umfeld nie verkehrt - überraschenderweise trotzdem ziemlich gut bei Laune hält.

Jedenfalls: War toll! Das Hard:Line Festival ist ein angenehm uriges, von echten Enthusiasten perfekt organisiertes Filmfestival mit stark familiären Touch, auf dem man auch abseits vom Filmegucken viel Spaß haben kann!

Mehr auf hardline-festival.de

 



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