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UNENDLICHE TIEFEN

Reportage.
33. Filmfest München 2015
von Lutz Granert

33. Filmfest München 2015

Marc O'Polo mag vielleicht eine durchaus respektable Designermarke sein, doch ein stilvolles Accessoire für akkreditierte Besucher des 33. Filmfest München ist dem Label nicht gelungen. In dem "Festivalsack" hätte man nicht nur Film-Kataloge oder einen ganzen Sechserpack an Sprudel in die Kinos schmuggeln können, sondern auch ganze Pamphlete in doppelter Ausführung zur Festivalpolitik. Der gerade einmal 55-jährige Rupert Everett wurde in diesem Jahr mit dem "CineMerit"-Award für sein filmisches Gesamtwerk geadelt, auch weil er "für eine große Hollywood-Karriere zu unangepasst und offen schwul" sei. Dieser O-Ton in der Einführung des träumerisch bebilderten Thrillers DER TROST VON FREMDEN im Filmmuseum stellt freilich mehr Fragen nach den Kriterien, wie diese Auszeichnung zustande kommt, als dass sie zur Erklärung beiträgt. Der im Oktober anstehende Kinostart zur altmodischen und angestaubt wirkenden Komödie A ROYAL NIGHT - EIN KÖNIGLICHES VERGNÜGEN um die spätere Queen Elizabeth II. in Feierlaune nach Kriegsgewinn 1945, in dem ein stark geschminkter Rupert Everett dem stotternden Monarchen King George in einer kleinen Nebenrolle (!) zum Leben erweckt, hat dabei vermutlich ebenso eine Rolle gespielt wie seine Verfügbarkeit.

Zum Vergleich: Udo Kier wurde letztes Jahr ausgezeichnet - und als 69-Jähriger kann er nicht nur mehr Filme vorweisen, in denen er schauspielerisch mitwirkte, sondern auch auf ein differenzierteres Rollenspektrum verweisen. Schon in den Warhol-Filmen der 60er Jahre war Kier dabei - und in diesem Jahr widmete das Filmfest dem Pop-Art-Künstler eine Hommage. Auch hier wieder ein paar Fragezeichen: Was hat William Friedkins Klassiker CRUISING (1980) in der Reihe "Beyond Warhol" tiefergehend mit dem Schaffen des Künstlers zu tun? Kuratorin Katja Eichinger - Witwe von der Produzentenlegende Bernd Eichinger - hätte es vermutlich beantworten können, war aber leider bei der Vorführung in der HFF nicht anwesend.

Doch bevor nun wieder die Hymne vom schnöseligen und verwöhnten Filmkritiker angestimmt wird, an dieser Stelle auch ein paar lobende Worte. Der zweite "CineMerit"-Award ging dieses Jahr an Regisseur Jean-Jacques Annaud, der auch gleich seinen neuen Film DER LETZTE WOLF mitbrachte. Sein aufwändiger Tierfilm DER BÄR bleibt zwar durch massig CGI-Wolf-Animationen und mangelndem Tiefgang unerreicht, doch wurde zur feierlichen Verleihung immerhin DER NAME DER ROSE gezeigt - nur einer seiner zahlreichen Filme, die verdeutlichen, welch Kinovisionär er einst war - und leider inzwischen nicht mehr ist. Aber sei's drum, die Ehrung vom vielfältigen Lebenswerk des 71-Jährigen geht tatsächlich in Ordnung. Lohnenswert seitens des Festival übrigens auch, dass DER LETZTE WOLF als 3D-Produktion allein auf weiter Flur stand. Großes Kino braucht nämlich nur selten große Brillen.

Auch die Filmauswahl auf dem Festival war insgesamt gelungen: Zu weitgehend unbekannten kleinen Retro-Perlen wie DER TROST VON FREMDEN und CRUISING gesellte sich einmal mehr eine große Bandbreite an hervorragenden deutschen Beiträgen. Insbesondere die leise und einfühlsam erzählte Coming-of-Age-Tragikomödie COCONUT HERO von Florian Cossen um einen todessehnsüchtigen Teenager hat vermutlich inzwischen die witzigste Referenz der Filmgeschichte an Kubricks CLOCKWORK ORANGE vorzuweisen. Und in der Reihe "Neues Deutsches Fernsehen" brilliert ein hochkarätiges Ensemble u.a. mit Hannelore Elsner und Lars Eidinger in FAMILIENFEST, einem zunächst x-beliebig wirkendem Familiendrama, das jedoch schnell seine eigene, sehr ausgewogene Balance zwischen giftiger und pointierter Abrechnung mit dem "alten Herren" und sensiblen Drama um Familienzusammenhalt findet.

Kleiner, ganz privater Wehmutstropfen: In meinem nunmehr dritten Mal auf dem Filmfest München habe ich es immer noch nicht geschafft, einmal einen Film im ARRI-Kino und Filmtheater Sendlinger Tor zu schauen. So ging es unverrichteter Dinge für mich leider schon nach nicht mal ganz vier Tagen wieder zurück nach Jena. Ohne riesige "Männerhandtasche" übrigens.

Mehr Informationen gibt's auf filmfest-muenchen.de.




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