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UNENDLICHE TIEFEN

Essay.
"Du Sau, DU!"
von Claudia Siefen

Du Sau, DU!

Kino wider die Tabus - Das Österreichische Filmmuseum in Wien zeigt vom 14. März bis zum 06. April kleine filmische Prachtstücke zur "sexuellen Befreiung", die angeblich im Zeitraum um 1968 stattgefunden hat.

Die Filmauswahl entbehrt natürlich nicht der wissenschaftlichen Grundlage: über die Avantgarde bis zum Autorenfilm gibt es Sexploitation aus Japan, den USA, aus Frankreich und Italien, Serbien und Schweden anzuschauen. Wie ein roter Faden zieht sich hier die Arbeit des Filmtheoretikers Amos Vogel (1921) und jene des Sexualforschers Wilhelm Reich (1898-1957). Sie verstehen Sex als Alltagskultur, als Alltagsproblematik und kritisieren mit der filmischen Sichtbarkeit des ausgeführten Aktes die gleichzeitige Vermarktung der Sexualität. Vermarktung führt unweigerlich zu Politisierung; Sex wird zum sozialen "Problem" und schon zeigt sich der "moralische" Zeigefinger, wie denn Sex eigentlich vonstatten zu gehen hat. Zu der Moral gesellt sich die Frage nach einer "gesunden" Sexualität: was darf scharfmachen, was nicht? Der Akt als eine Entfremdung des Geistes statt kurzzeitiger Zusammenführung. Das Sich-Hingeben als Zuspitzung bis zur Todessehnsucht und vorangegangener Verzweiflung. Der Akt ist nicht mehr nur Sache der daran in dieser Sekunde Beteiligten. Wie man Sex hat - dies wird zur Wertung innerhalb der eigenen sozialen Schicht. Wobei man, lesenderweise, Brücken zu Georges Bataille (1897-1962) schlagen kann, der den Geschlechtsakt eh ablehnt, da er zur weiteren Kontrolleinheit des Staates verkommt (Geburtenrate). Doch jeder ist seine eigene (sexuelle) Welt: Es würde allen besser gehen, wenn wir nur gutgelaunt miteinander onanieren würden, denn das gegenseitige körperliche Erkunden (und Verstehen!) bis zum Orgasmus sind die eigentliche Befreiung. Der Penetration wird eine Beachtung geschenkt, die alles weitere verbunden mit "dem Akt" und wie es dazu kommt zur blossen Garnitur verkommen lässt. Sex ist Sehnsucht und immer auch ein wenig Ironie...

Vergesst Orwells ANIMAL FARM! VASE DE NOCES von Thierry Zéno bringt es auf den Punkt: ein Bauer liebt seine Sau im wahrsten Sinne des Wortes und hat drei kleine Schweine mit ihr, deren ewiges Gequietsche ihm den letzten Nerv raubt. Vorbei mit der Romantik, und nachdem er die drei eigenhändig umgebracht hat stürzt sich die Muttersau in den Freitod. Der Bauer in seiner zurückgekehrten Einsamkeit nimmt sich ebenfalls das Leben. Die schwarz-weiss Produktion mit nervenreissender Tonspur aus dem Jahr 1974 setzt heute noch diverse Festivalbetreiber in den Wahnsinn, während der Belgier Zéno freundlich-bebrillt nur die Schultern zuckt: er findet zum radikalen "Was wäre wenn" mitsamt Bestürzung im hell erleuchteten Kinosaal.
Bei Sex mit sich selbst findet man sich wieder auf der etwas weniger verstörenden Seite, etwa in PINK NARCISSUS des legendären Fotografen James Bidgood: wir schwelgen in Farborgien des schwulen Narziss, der in steter Kommunikation mit sich selbst zur Auslebung seiner sexuellen Wünsche findet. Mal als Torero, mal als Sklave, immer zeitgleich als Objekt und Schöpfer sexueller Spannungsbögen. Die Wohnung dient als Zufluchtsort, eine Beziehung zur Aussenwelt ist unnötig.
Ein Ausbund an Männerfeindlichkeit, wenn es diesen Begriff denn geben sollte: Russ Meyers Klassiker FASTER, PUSSYCAT! KILL! KILL! aus dem Jahr 1965 begleitet drei dralle Damen mit schnellen Autos, die sich mordend über jene Herren hermachen, welche ihre weiblichen sexuellen Gelüste nicht befriedigen können. Wenn schon, dann richtig! Zum Schluss siegt dann doch wieder das "Gute", das brave entführte Mädchen wird gerettet, natürlich von einem Mann, aber bis dahin bekommt man jede Menge weibliche Kurven zu sehen und Meyer fröhnt gewohnterweise seiner Vorliebe für alles, was über Körbchengrösse D hinausgeht.
Sex und Kunstfilm, da kommt man an Warhol nicht vorbei, beziehungsweise seiner Factory. Paul Morrisey gibt mit FLESH aus dem Jahr 1968 nicht nur wunderschöne Körperstudien des Darstellers Joe Dallessandro: um die für seine Frau anstehende Abtreibung bezahlen zu können macht sich der junge Prostituierte auf den Weg durch New Yorks übelste Ecken, um mit schnellem Sex ebenso schnelles Geld zu verdienen. Ein trauriger Abgesang auf den Körper und seine Vergänglichkeit mit jeder Sekunde, Minute und Stunde.
Die Zeit und ihre Erlösung: Joe Sarno gibt gerne widersprüchliche Antworten auf ungestellte Fragen. In ABIGAIL LESLEY IS BACK IN TOWN aus dem Jahr 1975 begleiten wir Abigail bei ihrer Rückkehr in ihr Heimatstädtchen und der von ihr vollzogenen Rettung aller Bekannter und Freunde. Eros eben als Retter in jeder Not, aber mit ein wenig Hoffnung, es in Zukunft besser zu machen. In aller Explizitheit auch zärtlich und sanft, denn Sarno vergisst bei aller rauen Menschlichkeit nie den Moment der Ruhe nach dem Sturm.
Eine hübsche Auseinandersetzung zur eingenisteten Verklemmtheit bietet THE LICKERISH QUARTET von Radley Metzger. Eine reiche Familie glaubt in einer Motoradartistin die Darstellerin eines stag-movie wieder zu erkennen. Familienmitglieder mitsamt ihren wildesten Fantasien beginnen langsam aber sicher durchzudrehen. Wie weit kann man gehen, wenn man sich seinen Fantasien überlässt? Das eigene Begehren und die Identität: schliessen sie sich aus oder bilden sie eine radikale Einheit? Für all dies muss es doch eine Erklärung geben, nur wenn ja, wo?

Es gibt also eine wilde Mischung zu sehen, deren Schönheit sich vor allem auch darin zeigt, dass es nicht nur um heterosexuelle Welten geht. Sex ist und bleibt vielseitig und jeder mag sich immer wieder aufs Neue seiner eigenen Befreiung widmen.


Die 120 Tage von Sodom
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