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UNENDLICHE TIEFEN

Essay.
Cultural Rape oder Wie George Lucas weiter unsere Erinnerungen zerstört
von Florian Lieb

Cultural Rape oder Wie George Lucas weiter unsere Erinnerungen zerstört

Liebe-Hass-Beziehungen sind nichts Alltägliches, da natürlich irgendwie widersprüchlich. Wie kann man hassen, was man liebt? Wer nach einem treffenden Beispiel sucht, dürfte es in Person von George Lucas finden. Der Mann, der uns von 1977 bis 1983 eine der tollsten, großartigsten und popkulturell wichtigsten Filmtrilogien aller Zeiten bescherte: STAR WARS. Lucas verdanken wir Obi-Wan Kenobi, Yoda und Darth "Luke, ich bin dein Vater" Vader. Und Lucas verdankt uns wiederum sein Vermögen. Das sind Stand 2011 mal wieder (die Summe variiert jährlich) 3,2 Milliarden Dollar. Insgesamt spielten alle sechs STAR WARS-Filme gut 4,3 Milliarden Dollar ein, was Peanuts sind im Vergleich zu den Merchandise-Einnahmen. Die belaufen sich nämlich fünf Mal so hoch.

Der dumm-dreiste Konsument kauft also seit 1977 alles, wo "Star Wars" draufsteht. Von der Bettwäsche über Comics, Bücher, Poster, T-Shirts und wer weiß, vielleicht sogar Lichtschwert-Kondome? Möge die Macht mit dir sein. Die Menschen lieben eben STAR WARS, seines Zeichens der zweiterfolgreichste Film aller Zeiten nach der Liebes-Schmonzette GONE WITH THE WIND (Inflation einberechnet). Viele von uns wurden mit STAR WARS groß, die Trilogie ist nicht nur Film, sondern Erinnerung. Oder gar Kollektiverinnerung. Umso größer war die Freude, als die Filme 1997 als Special Edition erschienen. Umso größer war die Enttäuschung, als man die Filme dann sah. Denn was auf DVD erschien, waren nicht die Filme, mit denen man aufgewachsen ist.

Plötzlich wird der Bildhintergrund auf Mos Eisley vollgestopft mit digitalem Gedöns und Greedo schießt in Chalmuns Cantina zuerst auf Han. Änderungen, mit denen die Fans nicht leben wollten. George Lucas war das egal. Es sind seine Filme, er kann mit ihnen machen, was er will. Darunter auch, sie digital so zu verändern und zu verfeinern, wie er es am liebsten hat. "A hundred years from now, the only version of the movie that anyone will remember will be the DVD version [of the Special Edition]", sprach der Meister damals. Inzwischen hat er sein eigenes Statement selbst überholt. Die Original-Trilogie gab es irgendwann auch noch auf DVD - als Limited Release mit der neuen Fassung. Allerdings unbearbeitet, also mit altem Bildformat und nicht remastertem Ton.

Es folgte eine neue Version für die DVD-Box von 2004, die wiederum Änderungen aufwies, unter anderem auch in Hans Begegnung mit Greedo. Wieder murrten die Fans, wieder wurden sie ignoriert. Nun kommen die Blu-rays heraus. Natürlich mit neuerlichen Änderungen. Jetzt können die Ewoks aus THE RETURN OF THE JEDI blinzeln, da ihre Augen digital eingefügt werden. Genauso wie Yoda in THE PHANTOM MENACE, wo er sein Puppen-Alter-Ego ersetzt. Lukes Lichtschwert kriegt eine neue Farbe, R2-D2 wird physikalisch unmöglich in der Tusken-Szene in eine Felswand versteckt und, klar, auch Hans Begegnung mit Greedo wurde, mal wieder, digital bearbeitet. Am kontroversesten ist jedoch die Entscheidung, Vader am Ende von JEDI emotional aufheulen zu lassen.

Wir kennen die Szene: Der Imperator foltert Luke, der nicht zur dunklen Seite der Macht wechseln will. Er ist im Begriff Skywalker zu töten, da schnappt sich Vader plötzlich seinen Mentor und wirft ihn einen Reaktorschacht. Die gute Seite und die Liebe zu seinem Sohn obsiegt. Und damit auch Anakin über Vader. Ende gut, alles gut. Sollte man glauben. Aber Lucas wollte nun wohl die Emotionalität der Szene verstärken. Weshalb Vader ein schmerzerfülltes "Noooooo!" herauspressen darf, als Luke gefoltert wird. Eine Replik seines ebenso schmerzerfüllten "Noooooo!" aus THE REVENGE OF THE SITH. Man weiß nicht, ob man lachen oder weinen soll. STAR WARS-Fan und Schauspieler Simon Pegg entschied sich auf Twitter für eine andere Reaktion: "What a fucking shame”.

Die Frage ist: Kam das überraschend? Was hat man von einem Mann erwartet, der Han nicht mehr zuerst schießen lässt, der Mos Eisley mit digitalem Gedöns vollstopft, der die Prequel-Trilogie mit all ihrer christlichen Symbolik und Midichlorians an die Wand fährt und der es tatsächlich fertig brachte, Hayden Christensen am Ende von JEDI an die Stelle von Sebastian Shaw zu setzen? Apropos: Eine Szene, die mich weitaus mehr aufregt, als jedes "Noooooo!" von Vader. Ein junger Anakin erscheint seinem Sohn, der noch nie einen jungen Anakin gesehen hat. Woher soll Luke wissen, dass das Anakin ist? Warum ist Anakin jung? Wird Yodas Geist in der Blu-ray-Version auch verjüngt? Und digitalisiert, wie in PHANTOM MENACE? Wird Alec Guiness Ewan McGregor weichen müssen?

Dank der Zuschauer, der Fans, brachte die STAR WARS-Reihe fast 25 Milliarden Dollar ein. Wie wenig Respekt muss man vor ihnen haben, wenn man ihnen eine hochauflösende DVD oder Blu-ray der Original-Trilogie verweigert? Alle sieben Jahre (97-04-11) erscheint nun eine neue Version der Filme. Mit neuen digitalen Figuren, die im Hintergrund eingefügt werden. Und natürlich mit einer neuen Darstellung der Han-Greedo-Szene. Alle sieben Jahre heißt es von Lucasfilm, dass man Bonusmaterial präsentiert "that you haven't seen yet”. Tolldreister geht es kaum noch. Alle sieben Jahre bittet man die Menschen zur Kasse, um ihnen noch mehr Geld aus der Tasche zu ziehen, dafür, dass sie eine weitere, verlorene geglaubte Szene oder ein x-beliebiges Featurette sehen können.

Natürlich wird Lucas nie eine Blu-ray der Original-Trilogie liefern. Warum auch? Gäbe es die Kinofassungen auf Blu-ray, in einer Box, ohne die Prequels, würden die Fans diese kaufen. Und anschließend keine weiteren Boxen, mit weiterem Bonusmaterial, das man gerade erst entdeckte, als handele es sich um das x-te Tupac-Album nach seinem Tod. Warum ein Mal abkassieren, wenn man mehrmals abkassieren kann? Die Blu-rays sind nur der vorläufige Gipfel des Eisbergs. Welcher Fan sie sich trotzdem kauft, ist letztlich selber schuld. Denn irgendwann bewahrheitet sich Lucas' Äußerung, dass die Kinofassungen, die ihn selbst reich und zu dem gemacht haben, der er ist, vergessen werden. Aber für viele ist ein bisschen STAR WARS leider besser als gar kein STAR WARS.

Erschreckend ist jedoch, dass Lucas nicht begreift, was er eigentlich tut. Dass er die Hand beißt, die ihn gefüttert hat. Er hat es den Kinofassungen zu verdanken, dass er 3 Milliarden Dollar schwer ist. Alle Menschen, außer Lucas, lieben diese Fassungen. Er liebt nur seine aktuelle Fassung von STAR WARS. Die, die er alle sieben Jahre neu veröffentlichen kann. Unzählige Reaktionen im Internet oder in Filmen über das Thema interessieren ihn nicht. Für Lucas zählt nur Geld, nicht, dem/seinem pop-kulturellen Erbe gerecht zu werden. Die Menschen sollen nicht ihre, die kollektive Fassung der Filme auf DVD besitzen, sondern seine, Lucas' Fassung erhalten. "The other versions will disappear", so sein Urteil zu jeder Fassung vor der Aktuellen.

Nun gibt es Menschen, die sagen, es sind Lucas' Filme, er hat das Recht mit ihnen zu machen, was er will. Ich sage: Nein, das hat er nicht. STAR WARS ist über 30 Jahre alt, Filmgeschichte und fest verankert in den Erinnerungen vieler Menschen. Diese Tatsache, unsere Liebe für Lucas' Produkt, hat die Kuh fett gemacht. Und Lucas damit eine pop-kulturelle, eine cineastische Verantwortung. Kein Mensch will Hayden Christensen in THE RETURN OF THE JEDI sehen. Kein Mensch will Polizisten, die mit Walkie-Talkies bewaffnet sind, in E.T. sehen. Und kein Mensch würde sehen wollen, wie Matte Paintings in THE WIZARD OF OZ oder GONE WITH THE WIND durch CGI ausgetauscht werden. Nur weil das aus heutiger Sicht vielleicht mehr der Idee ihrer Regisseure entsprechen könnte.

Dass es zu viel verlangt scheint, einen Film aus seiner Kindheit nicht einmal zwingend auf Blu-ray, aber in ansprechender Form zumindest auf DVD kaufen zu können, für einen erschwinglichen, der Marktlage entsprechenden, Preis, ist bedauernswert. Genauso wie ein Mann, der kontinuierlich das Werk zerstört, das ihn zu einem der reichsten Männer seiner Branche machte. Zur Räson könnte man Lucas wohl nur bringen, wenn man den Kauf der Blu-ray boykottiert. Was die meisten Fans nicht tun werden. Lieber ein bisschen Kindheitserinnerung in HD als gar keine. Ich jedenfalls such nun in meinem Keller nach meiner alten Pro-Sieben-TV-Ausstrahlung der Kinofassungen. Mit Werbung und deutscher Synchronisation. Aber wenigstens, unangetastete cineastische Kindheitserinnerung.




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