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Man hörte bei ruhigen Filmen in den kleineren Sälen draußen die Autos vorbeifahren, die veralteten sanitären Anlagen wirkten wie ein Feuchtbiotop und ein neuer Anstrich tut bei abblätterndem Putz auch Not. Das Capitol, ein 1927 eröffnetes Kino in Jena, dem innen eine Retrospektive zur eigenen bewegten Geschichte gewidmet ist, stand ein Jahr leer – bis das Kurzfilmfestival "Cellu l'art" seine Pforten vom 15. bis 18. April 2010 wieder öffnete. Bespielt wurde mit Kino 1 der größte Saal, welcher insgesamt ca. 340 Plätze umfasst. Doch richtig gute und abwechslungsreiche Filme ließen dabei auch die Kälte im Saal vergessen, welche dank der von den Stadtwerken abgestellten Heizung bis in die obersten Reihen kroch.
Der Eindruck einer Kulturveranstaltung in Hausbesetzertradition, wie man anhand dieser Umstände vermuten könnte, kam jedoch auch beim "Tanzvergnügen" nach der Preisverleihung am Samstagabend nie auf. Diese bis zu den ersten Sonnenstrahlen andauernde Party wurde von zahlreichen Zuschauern und Beteiligten der vorgestellten Kurzfilme gut besucht. Das Festival wurde von der Eröffnung am Mittwoch, den 14. April durch ein leider mit Nieselwetter geschlagenes Open-Air am Johannestor bis zur wiederholten Vorführung der Preisträgerfilme am Sonntagabend gut durchorganisiert. Dazwischen wurden verteilt auf drei Tage 35 internationale Filme im Wettbewerb und 20 Filme aus dem diesjährigen Länderschwerpunkt Indien gezeigt, bei denen die Techniker ab und an mit Kompatibilitätsproblemen von verschiedenen Abspielformaten und deren Auswirkungen auf den Ton zu kämpfen hatten.
Im Länderschwerpunkt wurde deutlich, dass Produktionen vom indischen Subkontinent mehr zu bieten haben als das Klischee vom singenden, klingenden Bollywood-Filmchen. Insbesondere die von Kuratorin Ulrike Mothes vorgestellten studentischen Kurzfilme von der Srishti School of Art, Design & Technology hinterließen einen bleibenden Eindruck. In diesen ging es um das problematische Verhältnis eines Jungen zu seinem abwesenden Vater (ALTAMASH), einen Taxifahrer, welcher einen Querschnitt der indischen Gesellschaft vom Bauarbeiter bis zum Geschäftsmann transportiert (STASIS) oder um ein Mädchen, welches versucht, ihrem Schwarm Shah-Rukh Khan nahe zu kommen, obwohl das Liebesglück in ihrer unmittelbaren Umgebung wartet (TUMSE MILKE). Hier kommt stellvertretend die Ambivalenz aller im Länderschwerpunkt gezeigten indischen Filme zu tragen. Soziale Probleme im Alltag und gesellschaftlicher wie wirtschaftlicher Auf- und Umbruch sind die Themen dieses faszinierenden Independent-Kinos, welches auch vor experimentellen Kurzformen nicht zurückschreckt. Die unter schwierigen technischen Bedingungen entstandenen Kurzfilme spielen auf der Straße und in den Häusern der Stadt, in der Realität, fernab des farbenfrohen Bollywood-Eskapismus.
Doch auch der Wettbewerb hielt einige großartige Werke bereit. Neben der surrealen spanischen Tragikomödie MARTINA Y LA LUNA und der russischen Dokumentation NASDROWJE stach insbesondere schauspielerisch das Drama FLIEGEN um einen illegalen, kriminellen Einwanderer und sein Verhältnis zu einer deutschen Studentin heraus. Hauptdarsteller Jakob Matschenz und das Drehbuch wurden dabei folgerichtig auch vom Filmfest ausgezeichnet. Den mit 1000 Euro dotierten Hauptpreis als Bester Film erhielt indes die in Erfurt aufgewachsene Regisseurin Lena Liberta mit ihrem Vater-Sohn-Drama STILLER SEE, welche auf dem "Cellu l'art" im letzten Jahr für ihren Film HUNDESÖHNE bereits mit dem Publikumspreis ausgezeichnet wurde. Der Hauptpreis blieb also quasi in Thüringen, doch die Weltoffenheit des 11. Jenaer Kurzfilmfests Cellu l'art, welches dieses Jahr mit – nach eigenen Angaben - 1500 Besuchern einen neuen Rekord verbuchen konnte, ist vorbildlich.
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