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KAPITELWAHL

55 TAGE IN PEKING (USA 1963)

von David Leuenberger

Original Titel. 55 DAYS AT PEKING
Laufzeit in Minuten. 155

Regie. NICHOLAS RAY
Drehbuch. PHILIP YORDAN . BERNARD GORDON
Musik. DIMITRI TIOMKIN
Kamera. JACK HILDYARD
Schnitt. ROBERT LAWRENCE
Darsteller. CHARLTON HESTON . AVA GARDNER . DAVID NIVEN . JOHN IRELAND u.a.

Review Datum. 2017-09-13
Erscheinungsdatum. 2014-10-23
Vertrieb. KOCH MEDIA

Bildformat. 2.35:1 (anamorph)
Tonformat. DEUTSCH (DD 2.0) . ENGLISCH (DD 5.1/DD 2.0)
Untertitel. keine
Norm. PAL
Regional Code. 2

FILM.
Auch große Regisseure haben das Recht, ab und zu mal Bockmist zu verzapfen, aber muss es denn gleich so ein mieser kolonialistischer Kitschbolzen à la 55 TAGE IN PEKING sein? In den frühen 1960er Jahren war Nicholas Ray bereits eine Legende, zumindest in Frankreich, wo die jungen Wilden der nouvelle vague ihn quasi zu ihrem heiligen Schutzpatron erklärt hatten und Jean-Luc Godard ihm sogar bescheinigte, das Kino zu sein. In den USA sah es natürlich etwas anders aus: da galt der bisexuelle Mann mit linksradikalem Hintergrund und einer skandalösen Neigung zu Alkohol und Drogen als unzuverlässige Größe und zudem als Regisseur, der auch mal einen Film nicht zu Ende drehte (z. B. als Produzent Budd Schulberg ihn 1958 noch vor Drehschluss von SUMPF UNTER DEN FÜßEN feuerte). Vielleicht wollte Ray sein Standing in Hollywood verbessern und sich als fähiger Regisseur für monumentale Blockbuster zeigen, was ganz gehörig in die Hose ging, da er auch hier den Film aufgrund eines Kollapses nicht zu Ende drehte (seine Second-Unit-Directors Andrew Marton und Guy Green sprangen ein). Vielleicht lockte ihn das hohe Honorar. Vielleicht erwischte das Fieber des Bibel-, Sandalen- oder Period-Epos nun nach Kubrick, Aldrich und Mann auch ihn.

Der sogenannte Boxeraufstand also, chinesische Geschichte, verarbeitet (um nicht "verwurstet" zu sagen) zu einem Zweieinhalbstundenepos in Technicolor und 70mm mit großer Starriege. Da ist Matt Lewis (Charlton Heston at his most negatively hestonesque), ein US-Offizier, der sich rasend empört, wenn die gemeinen Boxer einen westlichen Missionar hinrichten und der am liebsten den ganzen Chinesen gleich jetzt ein paar aufs Maul hauen möchte. Der britische Diplomat Arthur Robinson (David Niven, so souverän wie immer) hingegen agiert in seiner Funktion ganz so, wie es sich gehört, nämlich diplomatisch: irgendwie soll die chinesische Regierung nicht verärgert, aber irgendwie auch britische Stärke gezeigt werden. Nebenbei lässt sich eine verarmte russische Adelige (Ava Gardner, so melodramatisch, dass es kracht) auf eine Affäre mit dem ungehobelten Lewis ein, wenn sie nicht gerade ihren letzten Schatz, eine überteure Halskette, bei prunkvollen Empfängen zum Neid anderer anwesender Damen spazieren führt. In der Zwischenzeit spinnen die Chinesen (diverse angelsächsische Darsteller in Yellowface und Fantasiekostümen) ihre Intrigen.

Es wäre ein leichtes, 55 TAGE IN PEKING ideologiekritisch in kleine Stücke zu reissen. Schließlich ist der Film unerträglich rassistisch: nationale Zuschreibungen reichen für die Charakterisierung stets aus (US-amerikanisch: hart und tapfer; britisch: Gentlemen, zurückhaltend, etwas weich; französisch: theatralisch und ständig "Marseillaise"-gröhlend; chinesisch: hinterhältig, sind die Bösen; russisch: dekadente und melodramatische Adelige, können nicht richtig Englisch sprechen). Des weiteren ist der Blickwinkel auf die Ereignisse um die Boxerbewegung fast ausschließlich westlich. Doch wer so gütig ist, die Ideologiekritik beiseite zu lassen, wird auch so in 55 TAGE IN PEKING nur maßlos aufgeblasenes Ausstattungskino ohne Sinn für Spannungsaufbau und vor allem ohne Seele entdecken.

Dabei gibt es besonders im ersten Drittel immer wieder nette kleine Akzente, die erahnen lassen, was aus dem Film hätte werden können. Etwa die kakophonische Vermischung der Hymnen in den ersten Minuten. Wenn sich Heston breitbeinig vor der Gardner mit einem Bier in der einen und einem Whiskey in der anderen Hand hinstellt und rasch abwechselnd aus beiden Gläsern trinkt, dann werden Prolligkeit und Raffinesse in einem fast klassischen Ray‘schen Moment miteinander konfrontiert. Der größte "kleine" Moment ist fast schon unscheinbar: David Niven führt Charlton Heston durch eine aufgebrachte chinesische Menge, bekommt einen Stein an den Kopf geschmissen, fasst sich ein wenig später an den Nacken, begutachtet kurz den Blutfleck am weißen Handschuh und geht völlig ungerührt weiter.

Wenn doch der ganze Film so souverän wäre wie David Niven in dieser Szene! Doch zum einen verliert sich 55 TAGE IN PEKING gerade in der zweiten Hälfte in ambitionierten, aber letztlich völlig kraftlosen und dramaturgisch holperigen Schlachtenszenen, deren Hauptattraktion darin besteht, dass Charlton Heston mit einem grünen Bandana durch die Gegend rennt. Zum anderen hängt ihm ebendieser Hauptdarsteller einfach zu sehr wie ein Klotz am Bein. Unser liebster späterer NRA-Posterboy schmiert sich nämlich mit einer ungemeinen Penetranz durch den Film, dass es eine schiere Qual ist. Wenn er zu schauspielern beginnt (sprich: seinen Unterkiefer nach vorne bewegt) oder Ava Gardner solche Sätze wie "I‘ve been in tight places before!" entgegen schmettert, dann fällt die Entscheidung zwischen Kichern und Würgen ziemlich schwer.

Übrig bleibt nur Frustration, Langeweile, Ärger, und natürlich auch Enttäuschung: Nicholas Ray soll der gleiche Mann sein, der den vielleicht besten Western aller Zeiten (JOHNNY GUITAR), den ultimativen Bogart-noir (EIN EINSAMER ORT), den expressivsten Halbstarkenfilm überhaupt (...DENN SIE WISSEN NICHT, WAS SIE TUN), den erschütterndsten Horrorfilm über eine bürgerliche Kernfamilie (EINE HANDVOLL HOFFNUNG) und den Prototyp des Backwoods-Exploiters (SUMPF UNTER DEN FÜßEN) inszenierte? Ja, er ist es. Leider.

DVD.
Ein Vergleich zu den vier oder fünf bisher schon in Deutschland veröffentlichten Editionen des Films ist spontan nicht möglich, so dass die Redundanz dieser DVD zumindest für den Verfasser dahingestellt bleiben muss. Es handelt sich aber zumindest die erste Edition mit HD-Remasterung, und das Bild erstrahlt in praktisch makelloser (vielleicht zu makelloser?) Qualität. Beim Ton gibt es ebenfalls kaum etwas zu meckern, auch wenn Untertitel ganz schön gewesen wären. Die Extras (Trailer, Bildergalerie) sind nicht der Rede wert.







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