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FILM.
Ein Film, der zu sein vorgibt, was sein Titel verspricht: "A cocktail they used to drink in the old days… Singapore Sling." Die Kernzutaten des Noir - schwarzweiße Nacht, fatalistischer Voice-Over, Cool Jazz - schmeckt man sofort heraus, auch das Grundrezept ist bekannt: Premingers LAURA, die Geschichte vom Private Dick, der sich hoffnungslos in das tote Mädchen, dem er hinterherjagt, verliebt - ein in klassischer Zubereitung bittersüßer Drink, hier jedoch verklappt mit reichlich dekonstruktivistischen Giftstoffen, queer gequirlt und abgeseiht durch ein extragrobes, blutverkrustetes Sieb. Mix geglückt, muss man sagen: SINGAPORE SLING ist vom ersten bis zum letzten Schluck ungenießbar.
Es war, glaube ich, Alain Badiou, der zu bedenken gab, dass die Postmoderne gar nicht die allseits postulierte Weiterentwicklung künstlerischer Ausdrucksfreiheit sei - im Sinne von "Everything goes, nichts ist mehr heilig" -, sondern ein Rückschritt, weil die Grenzen, die sie frech und wagemutig überschreite, immer schon ex negativo von ihrer eigenen Überschreitung her gedacht worden seien. Anders formuliert: Indem man die herrschenden Zeig- und Denkverbote demonstrativ mit Füßen tritt, zeigt man letztlich nur, was sich insgeheim eh alle vorgestellt haben, spricht aus, was eh alle denken.
Auf den Noir, hinter dessen hartgekochter Chiaroscurofront ein Sumpf aus sado-erotischen Macht- und Gewaltfantasien brodelt, trifft das in verschärftem Maße zu: Seine Hochzeit fällt mit der des Hays-Code zusammen, dem zuliebe Hollywood seine abgründige Imagination dreißig Jahre lang für die Dümmsten der Dummen (sprich: die Zensoren) in notdürftige, hintenrum freilich umso wirksamere Innuendos kleidete. Diesen Subtext brachialstmöglich in Klartext rückzuübersetzen nimmt SINGAPORE SLING sich vor - und was für ein semantisches Verlustgeschäft das ist, zeigt schon der Untertitel: "Der Mann, der eine Leiche liebte", so könnte auch VERTIGO heißen, hätte Hitchcock sein Publikum verarschen wollen.
Was folgt, ist penetrantestes Frühneunziger-Sickoprogramm: Ankotzen, Anpissen, Ekelfleischvöllerei, Bondage. Wie in altbackenen Pornoparodien empfängt ein not- und mordgeiles Mutter-Tochter-Gespann den Detektiv als neues Boytoy im Herrenhaus, wo man von früh bis spät der affirmativen Geschmacksverirrung frönt: Töchterlein lutscht Mütterlein den Strap-on und soliloquiert mit neckischem Augenrollen, wie Daddy sie entjungfert hat. Rückblenden zeigen, wie man aus früheren Opfern ganze Metzgerei-Großbestellungen herausholte - zum Rohverzehr selbstverständlich. Dass bei aller Skandalnudelei mal wieder nicht realiter gekotzt, sondern nur Quarkspeise gespuckt wird und vorgeblich orgiastischer Sex ausschließlich als dry-humping mit geschlossener Hose stattfindet, ist da mehr als nur ein bisschen inkonsequent.
Das Gebot ausgestellter Hemmungslosigkeit nervt auch auf formalästhetischer Ebene: Statt der weiten, leeren Schattenflächen und negative spaces, die den Noir auszeichneten, herrscht Ausstattungs- und Ausleuchtungsmaximalismus. Das Anwesen der Killerladies ist zugerümpelt wie ein explodierter Trödelladen, ständig ragt oder hängt irgendwas ins schlampig komponierte Bild. Generell verwundert die inszenatorische Kunstlosigkeit eines Films, der ja gerade keinen trashigen Low-Fi-Look anstrebt, sondern die überzeugende Aneignung eines zutiefst artifiziellen Stils - nur so, sollte man meinen, wäre dessen gelungene Bastardisierung überhaupt möglich. Nikos Nikolaidis' Poetik dagegen erschöpft sich im stumpfen rechtwinklingen Draufhalten, was beispielsweise der berüchtigten Kiwimasturbationsszene die Betörungs- respektive Verstörungskraft eines verhampelten Sextapes verleiht.
Was man abschließend vielleicht auch noch mal festhalten sollte: Die Sauereien, die SINGAPORE SLING so emsig ausagiert, mögen bei Preminger, Lang, Siodmak et al. tatsächlich "nur" in Latenz vorhanden sein - selbiges gilt aber mitnichten für ihre literarischen Vorlagen und Weggefährten. Was allein Mickey Spillane in seinen Mike-Hammer-Krimis an sensationell kranker Scheiße zusammenfabuliert hat (Beweisstück A: "One Lonely Night"), lässt Nikolaidis' möchtegerntransgressives Vor- und Darstellungsvermögen zugleich infantil und ganz schön alt aussehen.
DVD.
Umfang des wie immer hochklassigen 2-Disc-Pakets: Film in Bestqualität, faktengesättigter Begleitessay und eine Bonus-DVD, die neben einem spielfilmlangen Nikolaidis-Porträt plus Interview auch eine amüsante Auswahl aus seinem Werbeclip-Portfolio enthält (Kaffee, Eis, Wackelpudding).
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