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FILM.
Der große mexikanische Filmemacher Emilio Fernández hatte nach eigenem Bekunden bereits zwei Menschen umgebracht, als er 1968 auf dem Festival von Acapulco eine weitere Morddrohung aussprach: Für den surrealistischen Sakrilegienreigen FANDO UND LIS, dessen Uraufführung am Vorabend in Krawallen gemündet war, habe sein junger Kollege Alejandro Jodorowsky den Tod verdient. Ein gemeinsames nächtliches Saufgelage später jedoch entbot sich Fernández vor versammelter Presse, bei Jodos nächstem Film als Regieassistent zu dienen.
Eine Anekdote, die Bände spricht über den Magnetismus, das Charisma, wahlweise auch: die bullshit artistry, mit der Jodorowsky Fans wie Gegner seit je um den Finger zu wickeln wusste. Sein durch Werkschlankheit begünstigter Film- hat sich längst zum internetweiten Personenkult ausgewachsen; dass sein Name noch nicht per "-esk"-Suffigierung verschlagwortet wurde, liegt allenfalls am unvorteilhaften Vokalzusammenprall. Wie sehr derlei undifferenzierte Fremd- und Selbstdarstellung mit der Zeit auch nerven kann, bewiesen zuletzt die Reaktionen auf Frank Pavichs Doku-Hagiographie "Jodorowsky's Dune"; der stets lesenswerte Letterboxd-Beiträger Andreas Stoehr etwa, losing his cool wie selten, ätzte: "After 90 minutes of his pontificating, this supposed Great Visionary of Our Time just sounds like a self-aggrandizing blowhard asshole."
Was sich nun im Vergleich bei drei spielfilmlangen Audiokommentaren, mit denen die Bildstörungsbox aufwartet, an Pontifikatszeit zusammenläppert: you do the math. Durchgehalten habe ich trotzdem, nicht immer sans Zähneknirschen, aber doch engagierter als beim Rohmaterial selbst, dem ich, da muss ich ehrlich sein, mit den Jahren schlichtweg entwachsen bin. Einzig DER HEILIGE BERG lässt sich noch problemlos goutieren als aufwändig ausstaffiertes und in Bewegung versetztes Hipgnosis-Plattencover - was ja auch blendend zum Sujet der "spirituellen Reise" passt, das zeitgleich mit Jodorowsky so ziemlich jedes bildsprachlich verwandte Prog-Album der Ära beackerte (wer mal den Gipfel der diesbezüglichen Uncoolness erklimmen möchte, lese sich die Liner Notes zu Genesis' "The Lamb Lies Down On Broadway" durch).
Was den beiden früheren Werken an Ausstattungsmitteln fehlt, machen sie mit dem Charme des geldlos Improvisierten wett: An Kostümen wurde genommen, was der Verleih gerade da hatte, die Requisiten bestehen aus Industriemüll und Supermarkteinkäufen (besonders schön: die riesigen Pfirsichdosen, um die in FANDO ein paar Omas pokern), als Nebendarsteller wurden anonyme Junkies von der Straße weggecastet. Bei aller Sympathie für Jodos entspannten Umgang mit seinen doch recht hehren Erleuchtungsambitionen (Zitat: "Das Kino macht die Menschen dumm - ich wollte sie wachrütteln") bleiben die Filme aber doch absurdes Schmalspurtheater, das die existenzielle Leere Beckett'scher Atomwüsten mit allerhand Psychedelika, Krüppelzwergen und sonstwie wohlfeilen Bürgerschreckeffekten aufpeppt; häufigster Tenor auf der Kommentarspur: "Das war damals verboten." Speziell EL TOPO gerät so zur ermüdenden Abfolge mal abstrakter, mal konkreter Exekutionen und sexueller Demütigungen, die summa summarum im Dienste einer stunksitzungsplumpen Kirchen-, Staats- und Patriarchatskritik stehen.
Wenn Jesus mit Nuttenentourage und schwulen Soldaten auf die Walz geht, hört man förmlich das Empörungsraunen des imaginierten Konservativenpublikums, das Jodorowskys Filme abseits publicityträchtig lancierter Skandale freilich kaum je wahrgenommen haben dürfte. Tatsächlich kam nicht mal die Underground-Sensation, als die EL TOPO bis heute verklärt wird, aus dem Nichts, sondern verdankte sich, wie J. Hoberman und Jonathan Rosenbaum in "Through the Wasteland of the Counterculture" ausführen, dem Geschäftssinn eines New Yorker Kinobesitzers: "He figured that the midnight showings would attract hipsters, encourage a sense of 'personal discovery,' and stimulate word of mouth." Da klingen Jodos vollmundige Proklamationen seines radikal antikommerziellen Künstlertums ohne vorkalkuliertes Zielpublikum gleich mehrere Nummern zu dick aufgetragen.
Womit nun keine Zweifel an seiner Integrität und Inbrunst angemeldet sein sollen, im Gegenteil: Wenn die Audiokommentare eines klar machen, dann, dass es in Jodorowskys Werk keinen einzigen undurchdachten Frame gibt. Jedes Film- ist bei ihm zum privatmystischen Weltbild verdichtet, zum Glaubensbekenntnis aus autobiografischen Splittern, Philosophien und Sutren, Zen, Tarot und LSD. Beizeiten kommt er selbst kaum mit der Symbolaufschlüsselung hinterher; immer wieder fallen Sätze wie "Schweinefett steht für das Ego" oder "Das hier hat alles mit Hoden zu tun", die in ihrer deutungshoheitlichen Willkür eher Befremden denn Erkenntnis stiften. Vielleicht hat mich das beim Wiedersehen mit Jodorowskys frühen Filmen am meisten gestört: dass sie trotz sprudelnder Imaginationslust nicht die Öffnung des Bedeutungsraums wollen, sondern sich kopfschüttelnd vor all jenen verschließen, die im Kino Schnöderes suchen als die Errettung von ihrer blinden, falschen Existenz.
DVD.
Reden, reden, reden darf Jodorowsky auch auf der Bonus-DVD bis zum Umfallen: über Cut Scenes aus DER HEILIGE BERG, auf dem Münchner Filmfest, mit Superjünger Nicolas Winding Refn und allein, über sein halbes Leben und künstlerisches wie therapeutisches Schaffen im 94er Porträtfilm DIE KONSTELLATION JODOROWSKY. Selbst das Booklet besteht weitgehend aus einem abgedruckten Interview. Angenehm wortlos sind allein die beiliegenden Soundtracks zu EL TOPO und DER HEILIGE BERG. Sonst noch? Der frühe Bastelstuben-Short DIE KRAWATTE, in dem Jodo nicht bloß figurativ, sondern tatsächlich Köpfe verschraubt. Die Filme, wie sollte es anders sein, liegen in Höchstqualität vor. Eine weitere dicke Kerbe im Holz des besten deutschen DVD-Labels.
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