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KAPITELWAHL

DER LANGE HEISSE SOMMER (USA 1958)

von David Leuenberger

Original Titel. THE LONG, HOT SUMMER
Laufzeit in Minuten. 112

Regie. MARTIN RITT
Drehbuch. IRVING RAVETCH . HARRIET FRANK JR.
Musik. ALEX NORTH
Kamera. JOSEPH LA SHELLE
Schnitt. LOUIS R. LOEFFLER
Darsteller. PAUL NEWMAN . JOANNE WOODWARD . ANTHONY FRANCIOSA . ORSON WELLES u.a.

Review Datum. 2013-01-27
Erscheinungsdatum. 2012-08-03
Vertrieb. KOCH MEDIA

Bildformat. 2.35:1 (anamorph)
Tonformat. DEUTSCH (DD 2.0) . ENGLISCH (DD 2.0)
Untertitel. ENGLISCH
Norm. PAL
Regional Code. 2

FILM.
- No, Alan, there's no sense in pretending that girls don't think about sex. They do. You oughta hear some of the conversations between Agnes and me.
- Oh, I'd like to.
- Well, there's nothing wrong with being anxious about your love life. I am about mine [betretenes Schweigen] This is certainly not the way I expected this conversation to be going. I thought we were gonna sit here on the front porch and let the moon shine down on us and, just like those boys in the bushes, let nature take its course.
- Why, Clara, nature is taking its course. You're not the kind of girl to be howled at and dragged off the porch into the bushes. You're a nice, quiet, self-contained girl. You'll see. Everything you want's gonna happen to you.

So lang, so hart, so dick, so genüsslich, so verschmitzt, so sexy und so gut hat ein ausgestreckter Mittelfinger an die Adresse des Production Code Office selten ausgesehen. DER LANGE HEISSE SOMMER sieht auf dem Cover ein bisschen wie ein lauer Aufguss von ENDSTATION SEHNSUCHT aus: ein verführerisch dreinblickender Paul Newman in einem verdreckten Unterhemd will Marlon Brando anscheinend den Publikumspreis für den besten Sexappeal-Schweiß entreißen. Mit seinen freudianischen Familienkonflikten, sexuellen Leidenschaften und der brütenden Südstaaten-Atmosphäre voller Schweiß und Alkohol wirkt Martin Ritts erster Filmerfolg, sehr frei nach einer Kurzgeschichte William Faulkners adaptiert, wie das im gleichen Jahr erschienene DIE KATZE AUF DEM HEISSEN BLECHDACH auf Speed. Der Vergleich mit den Elia Kazans und Richard Brooks' wesentlich bekannteren Südstaaten-Melodramen ist hier durchaus angebracht: was die schiere Lust an der Freude (und Freude an der Lust), an seinen Schauspielern und an Orson Welles in einem scharlachroten Morgenmantel betrifft, ist DER LANGE HEISSE SOMMER seinen Konkurrenten sogar bei weitem überlegen.

Eine Scheune geht in Flammen auf. Der Brandstifter scheint ausgemacht: Landstreicher Ben Quick (Paul Newman). Nach administrativer Verbannung zieht Ben durch die Lande, hält den Daumen hoch und wird prompt von zwei hübschen jungen Damen in die nächste Stadt mitgenommen, wo anscheinend alles einem gewissen Varner gehört - Grund und Boden, die Tankstelle, der Lebensmittelladen, die Bank, die Baumwollfabrik. Ben sieht sich hier nach Arbeit um und landet - wer hätte es ahnen können - bei Varners Villa. Hier geht alles drunter und drüber. Der Patriarch Will Varner (Orson Welles) regiert von hier aus mit eiserner Hand über sein kleines Imperium. Sohn Jody (Anthony Franciosa) soll sein Erbe werden, aber der ist etwas faul und vögelt lieber den ganzen Tag lang mit seiner Ehefrau (Lee Remick) rum. Die Tochter Clara arbeitet hingegen als Lehrerin und ist mit Alan (Richard Anderson) etwas unglücklich liiert: sie hätte gerne mehr von ihm (na, wovon wohl?), aber er will nicht, auch wenn er sie mag und ihr helfen möchte. Der Witwer-Patriarch Varner selbst kommt auch ins Straucheln, wenn seine Nachbarin-Liebhaberin (eine herrliche Angela Lansbury) ihn gerne zur Hochzeit drängen möchte - und dies auch noch aus sentimentalen und nicht pekuniären Motiven! Als Ben also mit seinem Ruf als Brandstifter da ankommt, wird er mit einem Hilfsjob abgespeist, damit er die Streichholz-Schachtel schön in der Hosentasche stecken lässt. Doch rasch erlebt der ehemalige Landstreicher dank seiner direkten Art einen fulminanten Aufstieg: er verständigt sich mit dem Big Daddy, löst Jody als Wirtschafter des Varner'schen Imperiums ab, und macht sich auch noch dran, Clara mit dem Einverständnis ihres von Enkelkindern schwärmenden Vaters zu verführen.

DER LANGE HEISSE SOMMER ist die wahrscheinlich anspruchsvollste, witzigste, intelligenteste und erotischste Sexkomödie aller Zeiten. In seiner rücksichtslosen Verachtung der Selbstzensur-Bestimmungen Hollywoods war er auch wirklich mutig. Sicherlich hatten Regisseure wie Otto Preminger die Grundfesten des Production Codes schon seit den frühen 1950er Jahren erschüttert und damit schon Vorarbeit geleistet. Aber hier jagen sich sexuell zweideutige Anspielungen teilweise so schnell, dass einem die Kinnlade fast runterfällt. Und um dem noch die Krone aufzusetzen, wird auch noch Homosexualität thematisiert - die am weitesten entfernte "frontier" aller Tabuthemen: Alan liebt Clara als gute Freundin, wird sie aber nicht heiraten und nicht mit ihr Kinder zeugen, weil er ganz einfach homosexuell ist.

Die "Schlüpfigkeiten" sind nicht nur mutige Transgressionen, sondern verstärken die exaltierte Atmosphäre des ganzen Films: so schwül, heiß, und schwitzend ohne Ende sind in der Tat nur wenige Filme. Nicht zuletzt tragen aber auch die großartigen Darsteller ganz entscheidend zum Gelingen des Films bei. Paul Newman hält das Versprechen des Filmplakats und gewinnt tatsächlich den Publikumspreis für den schmierigsten Sexappeal-Schweiß. Joanne Woodward, mit der Paul Newman vom Ende des Drehs bis zu seinem Tod 50 Jahre später verheiratet war, spielt die eher ruhige Clara perfekt, während Lee Remick ihre Schwägerin passend als nuttig-verdorbenes Partygirl verkörpert. Anthony Franciosas neurotische Jody-Darstellung hingegen taugt fast zur James-Dean-Gedenk-Performance. Mehr als alle anderen jedoch rast Orson Welles wie ein Tornado durch das Cinemascope-Bild. Der Regisseur, der hier eigentlich nur ein bisschen Geld für seine immer wieder scheiternden Filmprojekte zusammenkratzen wollte, hätte einen Spezialoscar für Overacting verdient. Mit dicker, schmieriger Schminke und einer falschen Nase ausgestattet, die ihm beim Dreh immer wieder herunter rutschte, spielt der damals 42-Jährige den 61-jährigen Patriarchen Varner, als gäbe es kein Morgen. Wie er in einem Fantasie-Südstaatenakzent vollkommen unverständlich und wie betrunken seine Repliken brabbelt, seine dicken Zigarren raucht und nebenbei gläserne Tischplatten zertrümmert, ist ganz ganz ganz großes Theater! Das ist kein Schauspielern, das ist die Materialisierung barocker Überdrehtheit... in einem scharlachroten Morgenmantel!

- Well, your friend left early, without even firing a shot.
- I was kissed good night, Mr. Quick.
- Kissed and left. That'd been me, I'd have stayed till sunup.

DVD.
Die Bildqualität ist für einen Film dieses Alters exzellent, winzige Bildverschmutzungen hier und da erhöhen sogar seinen Charme. Der Originalton ist hier natürlich der Synchronfassung vorzuziehen, die die sexuell sehr würzigen Dialoge zu dem reduziert hat, was in Adenauers Deutschland als "dirty talk" akzeptabel war. Enthalten sind ansonsten eine kurze Newsreel der Premiere, eine ganz nette und kurzweilige Doku zum Film (22 Minuten) und ein kleines Booklet mit Filmessay und schönen Bildern.








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