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KAPITELWAHL

ALLES, WAS WIR GEBEN MUSSTEN (Großbritannien/USA 2010)

von Björn Lahrmann

Original Titel. NEVER LET ME GO
Laufzeit in Minuten. 99

Regie. MARK ROMANEK
Drehbuch. ALEX GARLAND
Musik. RACHEL PORTMAN
Kamera. ADAM KIMMEL
Schnitt. BARNEY PILLING
Darsteller. CAREY MULLIGAN . ANDREW GARFIELD . KEIRA KNIGHTLEY . CHARLOTTE RAMPLING u.a.

Review Datum. 2011-10-30
Erscheinungsdatum. 2011-08-12
Vertrieb. 20TH CENTURY FOX

Bildformat. 2.35:1 (anamorph)
Tonformat. DEUTSCH (DD 5.1) . ENGLISCH (DD 5.1) . ITALIENISCH (DD 5.1)
Untertitel. DEUTSCH . ENGLISCH . GRIECHISCH . ITALIENISCH
Norm. PAL
Regional Code. 2

FILM.
Zu den wichtigsten Etappen einer (oder wenigstens meiner) knospenden Kinoleidenschaft gehört es, Bullshitfilme erkennen zu lernen. Bullshitfilme sind, kurz gesagt, Edelkonfektionen plus Relevanzgehabe. Sie meinen es und nehmen sich wahnsinnig ernst, besonders, wenn es sich um Satiren handelt (Reizwort: bissig). Sie tun so, als gehörten sie keinem Genre an, sind zumeist aber sorgfältig getarnte Melodramen (womit absolut nichts gegen Melodramen gesagt sein soll, sondern gegen Tarnung). Gern geben sie sich themen- oder problemorientiert (Reizwort: mutig), manövrieren jedoch mehr oder minder aufwändig ums Hirn herum mitten ins Herz (Reizwort: berührend). In der Regel sind sie auf eine von zwei Zuschauerreaktionen aus: empörtes Kopfschütteln oder heftiges Nicken. Anfang der 90er sorgte ihre Schwemme dafür, dass in Fernsehzeitschriften mit albernen Wertungssystemen eine Sonderkategorie - neben Spaß, Spannung etc. - eingeführt wurde: Anspruch. Filme mit hoher Anspruchspunktzahl sind fast immer lupenreiner Bullshit.

ALLES, WAS WIR GEBEN MUSSTEN ist ein vergleichsweise harmloser Vertreter des Bullshitfilms, insofern er zwar voll falscher Bilder, Töne, Gefühle steckt, damit aber immerhin nicht lautstark hausieren geht. Mark Romanek verfilmt Kazuo Ishiguros Bestseller vielmehr so, wie es sich für Qualitätsadaptionen britischer Qualitätsliteratur in jüngeren Jahren eingebürgert hat: in gedämpftem Moll. Als handelsübliche Internatsschmonzette mit feiner dystopischer Note entfaltet sich die Geschichte dreier Klonkinder im mehr passiv als aggressiven Hader miteinander und ihrer Existenz. Kathy (super: Carey Mulligan) mag Tommy (super: Andrew Garfield), aber Ruth (Keira Knightley) fährt dazwischen: Herzensangelegenheiten as usual, zählte nicht jede Minute doppelt in ihrem Leben, das mit spätestens 30 in der Organspendensackgasse münden wird.

Lediglich im sprachlichen Inventar schlägt sich diese Sci-Fi-Komponente nieder; Moden und Dekors hingegen mimen detailwütig die muffigen 70er bis 90er nach, in denen der Alternate-History-Stoff angesiedelt ist. Konsequent betreiben Buch wie Film dabei die Ausblendung alles Gesellschaftspolitischen, den Kreis der traurigen Klone verlassen wir nie. Wo Ishiguro anhand dieser Reduktion aufs Private jedoch fragt, inwiefern die emotional nicht selten grausamen Entscheidungen seiner Figuren den unsichtbaren Umständen entspringen, nutzt Romanek selbige allein als verschärfende Bedingung für die Dreiecks-Romanze. Besonders sauer stößt das auf, wenn Kathy sich später zur Todesbegleiterin für ihre Schicksalsgenossen ausbilden lässt und der Film darin, statt ihre unerhört gleichmütige Professionalität herauszustreichen, bloß eine weitere Gelegenheit zur Mitleidsproduktion wittert.

Überraschend ehrlich formuliert Romanek - Clip-Regisseur vormals für Sonic Youth, mittlerweile für Coldplay - auf der DVD sein ästhetisches Programm: Er habe Bilder produzieren wollen, die "unashamedly beautiful" sind. Das immerhin ist ihm gelungen, man weiß vor lauter geschmackvoll hinter verregneten Fenstern arrangierten Trockenblumen gar nicht, welche das beste Oktoberkalenderblatt abgäbe. Kaputtes Kinderspielzeug, Stofffetzen im Maschendraht: So wechseln sich in eleganter Leblosigkeit die Vergänglichkeitsmotive ab, überzogen von Rachel Portmans bittersüßem Violinendicksaft, der in seinem An- und Abschwellen immerzu haarscharf den Kipppunkt zur Zuckergärung verfehlt. Nicht, dass ein klareres Bekenntnis zum lauernden Kitsch dem Material ernsthaft gut getan hätte: In dessen Abwesenheit bleibt von ALLES, WAS WIR GEBEN MUSSTEN allerdings nichts als eine versierte Übung in kultiviertem Ach und dezentem Weh.

DVD.
Bild und Ton: Gehobener Standard. Extras: Trailer, diverse Fotogalerien (guckt die wer?) sowie ein halbstündiges Making of, das anfangs interessante Einblicke in den Adaptionsprozess verspricht, sich dann aber doch als das immergleiche Tollster-Dreh-aller-Zeiten-Gelaber entpuppt.








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