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KAPITELWAHL

EIN ZUG FÜR ZWEI HALUNKEN (USA 1973)

von Hasko Baumann

Original Titel. EMPEROR OF THE NORTH POLE
Laufzeit in Minuten. 115

Regie. ROBERT ALDRICH
Drehbuch. CHRISTOPHER KNOPF
Musik. FRANK DEVOL
Kamera. JOSEPH BIROC
Schnitt. MICHAEL LUCIANO
Darsteller. LEE MARVIN . ERNEST BORGNINE . SIMON OAKLAND . KEITH CARRADINE u.a.

Review Datum. 2011-08-26
Erscheinungsdatum. 2011-02-04
Vertrieb. KOCH MEDIA

Bildformat. 1.85:1 (anamorph)
Tonformat. DEUTSCH (DD 2.0) . ENGLISCH (DD 2.0)
Untertitel. keine
Norm. PAL
Regional Code. 2

FILM.
Es gibt ihn. Ja wirklich. Den existenzialistischen Actionfilm. Das ist nicht etwa mein Versuch, mich dem momentan grassierenden Filmgelehrten-Trend anzuhängen, "kompetent fabrizierte Abartigkeiten immer irgendwie ehrenretten oder auf XY-ismus abklopfen oder zum subversiven Meisterwerk hochreflektieren" zu wollen, wie es ein werter Kollege unlängst formulierte. Es gab doch immer wieder Filmemacher, die das vorrangig kinetische Genre des Actionfilms nutzten, um metaphorisch aufgeladene, repräsentative Figuren auf Konfrontationskurs oder auf die Flucht gehen zu lassen. Es gab etwa Joseph Loseys FIGURES IN A LANDSCAPE, Walter Hills DRIVER oder auch Luis Llosas SNIPER. Der hier zu besprechende EMPEROR OF THE NORTH von Robert Aldrich ist ein besonders schönes Beispiel.

Zwar siedelt das einst von Sam Peckinpah als mögliches Projekt favorisierte Drehbuch die Geschehnisse im Amerika der Depression an, im Milieu der Bahnarbeiter und mit dementsprechend alten Klamotten und dampfenden Lokomotiven - aber das spielt kaum eine Rolle, wird doch diese Epoche in keinen übergreifenden, äußeren Zusammenhang gesetzt oder über die Bahnstrecke hinaus abgebildet. Die zwei Hauptfiguren - auf der einen Seite der sadistische Zugdespot Shack, auf der anderen Seite der gewitzte Vagabund A No.1 (in der deutschen Fassung "As Nr.1") - repräsentieren dabei respektive das Establishment und das Anti-Establishment. Shack ist der gnadenlose Brutalo an der Grenze zum Psychopathen, der mit glühenden Augen die Obdachlosen von seinem Zug und damit in den Tod prügelt. A No.1 ist der erfahrene, clevere Rebell, todesmutig und gleichzeitig ehrenhaft, jedoch angesichts des Bewusstseins über die eigene Chancenlosigkeit in einer Welt wie dieser voller Zynismus. Die Konfrontation der beiden ist unvermeidlich.

Es ist ein Geniestreich gewesen, diese zwei erbitterten Antagonisten mit Ernest Borgnine und Lee Marvin zu besetzen. Borgnine, ein in der Tat Zeit seines Lebens Ultrakonservativer, der Hippies hasste, Frauen an den Herd wünschte und sich noch bei BROKEBACK MOUNTAIN schaudernd abwand; und Marvin, der Liberale, der ausgesprochene Gegner von Gewalt und Krieg, der Kennedy-Unterstützer und einer der ersten, der sich als Schauspieler für die Schwulenbewegung stark machte. Um so heftiger, um so glaubwürdiger fällt das Aufeinanderprallen dieser Mimen aus, und der grosse Regisseur Robert Aldrich macht zwei gültige Höhepunkte daraus: Zum einen eine fast traumähnliche Raserei im Nebel kurz vor Morgengrauen, voller Unsicherheiten ob der eingeschränkten Sichtverhältnisse und der geisterhaften Schemen, die plötzlich aufzutauchen scheinen; zum anderen das große Finale, in dem sich Shack und A No.1 bei strahlender Sonne auf dem fahrenden Zug förmlich zerlegen.

Irgendwo zwischen diesen beiden Figuren, die außer ihren Spitznamen keine Einordnung erfahren, steht die Jugend der Nation in Form des jungen Streuners, gespielt von Keith Carradine. Der Junge ist großmäulig, zeigt keinerlei Einsicht, ist ungestüm und letztlich sogar opportunistisch und feige. Was die Jugend letztlich braucht, ist ein Arschtritt vom Anti-Establishment. Das ist vielleicht eine Moral dieses wunderbaren, auch wunderschön anzusehenden Films; das Scheitern der 68er war 1974 schon zu spüren, und die letzten idealistischen harten Knochen zeigen noch einmal, wo der Hammer hängt. Robert Aldrich erzählt all das, ohne die Schauwerte des Genres aus dem Auge zu verlieren - die Stunts sind halsbrecherisch und echt - oder die Ausstrahlung seiner Starpower nicht auszunutzen, wobei insbesondere Marvin mit einer überaus sympathischen und virilen Vorstellung punkten kann. So schön darf ein existenzialistischer Actionfilm sein.

DVD.
Was Koch Media hier - mal wieder - für eine liebevolle Veröffentlichungspolitik an den Tag legt, verdient stehende Ovationen. Der Film, sicherlich kein todsicherer Verkaufserfolg - wird mit hervorragendem Bild und klarem Ton (inkl. wertiger alter deutscher Synchro) präsentiert. Das würde eigentlich schon reichen. Doch Koch bietet darüber hinaus noch einen interessanten Audiokommentar des Filmhistorikers Dana Polan, ein uraltes Making Of (schön markig gesprochen und mit wunderbaren kurzen Einblicken in die Dreharbeiten), die knalligen Teaser und Trailer (im deutschen Trailer wird Marvin als "ausgekocht wie ein Markknochen" angekündigt), eine Bildergalerie mit jeder Menge berückendem Werbematerial und obendrein ein sage und schreibe 28seitiges Booklet mit u.a. einem Interview, das Truffaut mit Aldrich führte, und einem Text von Aldrich selbst. Bravo, Koch Media.








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