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FILM.
Südamerikanische rechtsradikale Militärs haben ihn zur Vorbereitung auf die "schmutzigen Kriege" als Lehrfilm eingesetzt. Andreas Baaders angeblicher Lieblingsfilm inspirierte aber auch städtische Guerilla-Gruppen wie die Schwarzen Panther oder die IRA. Auf die Vergabe des goldenen Löwen in Venedig an diesen Film reagierten die Franzosen, die an einer Thematisierung französischer Kriegsverbrechen kein Interesse hatten, empört. Jahrzehnte lang wurde der Film in Frankreich boykottiert. Kurz gesagt: nur wenige Filme haben eine Rezeptionsgeschichte wie SCHLACHT UM ALGIER. Heutzutage jedoch taucht der Film regelmäßig in Bestenlisten auf. Trotz der antiquiert wirkenden grobkörnigen Schwarzweiß-Photographie hat der Film weder an Wirkungskraft noch an Aktualität verloren. Doch die Ära der Zweckentfremdung des Films als "Lehrmaterial" ist leider nicht vorbei: im Zuge des Einmarsches in den Irak 2003 wurde der Film in US-amerikanischen Armee-Kreisen "wiederentdeckt", als Denkanstoß zu Taktiken der "counter-insurgency".
Algier 1956-57. Die Nationale Befreiungsfront Algeriens (FLN) beginnt in Algier mit einem bewaffneten Kampf gegen die Kolonialmacht. Die harschen und diskriminierenden Reaktionen der französischen Polizei führen zu einer Eskalation des Konfliktes, im Zuge derer der FLN auch zum Mittel von Bombenanschlägen greift. Eine Eliteeinheit der französischen Armee unter Oberst Mathieu wird schliesslich beauftragt, den Aufstand niederzuschlagen. Mit jeglichen Mitteln!
"Die Menschen machen ihre eigene Geschichte, aber sie machen sie nicht aus freien Stücken, nicht unter selbstgewählten, sondern unter unmittelbar vorgefundenen, gegebenen und überlieferten Umständen." Der italienische Regisseur Gillo Pontecorvo, Widerstandskämpfer im Zweiten Weltkrieg und Marxist, hat SCHLACHT UM ALGIER durchaus im Geiste dieses Marx-Zitats gedreht. In seinem Film geht es nicht so sehr um die Handlungen einzelner individueller Akteure, als vielmehr um den Kampf zwischen zwei abstrakten Größen: dem französischen Kolonialismus und der algerischen Unabhängigkeitsbewegung. Diese Herangehensweise schlägt sich im oftmals zu Recht gelobten "dokumentarischen" Stil nieder. Der Film hat zwar zwei, vielleicht auch drei Hauptfiguren vorzuweisen, die die Handlung im engeren Sinne vorantreiben, doch lebt SCHLACHT UM ALGIER vor allem auch von den Szenen, die die Lebenswelt Algiers im Unabhängigkeitskampf episodenartig "dokumentieren". Am eindringlichsten ist sicherlich die rassistische Lynch-Stimmung der französischen Kolonisten eingefangen: ein älterer algerischer Arbeiter, der ganz offensichtlich harmlos ist, wird von einer aufgebrachten Menge von Franzosen mit beleidigenden und rassistischen Rufen durch die Strassen gejagt. Während seiner panischen Flucht wird er schliesslich von einer Armee-Patrouille verhaftet und weggeführt. Der Einsatz der Handkamera und das oft intendiert grobkörnige Bild steigern die Eindringlichkeit des Films und machen jegliche Sentimentalität und romantische Verklärung so überflüssig wie auch sinnlos. Die stilistische Anlehnung an den italienischen Neorealismus liegt auf der Hand, treibt jedoch dessen "dokumentarischen Stil" sogar noch auf die Spitze.
Pontecorvo macht keinen Hehl daraus, für welche Seite sein Herz schlägt. Nichtsdestotrotz findet sich in SCHLACHT UM ALGIER keinerlei dramatische Überhöhung einzelner Figuren oder des FLN. Die Unabhängigkeitskämpfer werden keineswegs als Heilige dargestellt. Der stellvertretende FLN-Führer Algiers, Ali La Pointe (eine historische Figur, gespielt vom Laiendarsteller Brahim Hadjadj), ist ein geläuterter Kleinkrimineller mit nur wenig politischem Sachverstand, dafür einer umso größeren Handlungs- und Gewaltbereitschaft. Sein Vorgesetzter Djafar (fiktiver Filmname für die historische Figur Saadi Yacef, der sich selbst spielt), ist politisch umsichtiger und will die Weltöffentlichkeit durch einen Generalstreik auf die algerische Sache aufmerksam machen. Doch eben er ordnet auch die Terroranschläge an, die in sehr drastischen Bildern gezeigt werden: die Bilder der Café-Besucher kurz vor den Explosionen zeigen einfache Zivilisten und sogar eisschleckende Kleinkinder.
Wenn die algerischen Freiheitskämpfer nicht als Heilige dargestellt werden, so zeigt Pontecorvo die französischen Militärs ebenso wenig als reine Dämonen. Der fiktive Oberst Mathieu, der vom einzigen Profi-Schauspieler des Films Jean Martin hervorragend dargestellt wird, ist kein perverser Sadist, sondern ein pedantischer Berufssoldat. Trotzdem ordnet auch er "Verhöre" (sprich: Folterungen) als legitime und zentrale Mittel der Aufstandsbekämpfung an. Seine moralische Integrität sieht er durch seine eigene Biographie gesichert: wie viele andere Militärs in Algerien war er Résistant und hat im besetzten Frankreich gegen die Nazis gekämpft. Die ethische Widersprüchlichkeit seines eigenen Handelns (man kann annehmen, dass Mathieu selbst durch die Gestapo gefoltert worden ist) fällt ihm tragischerweise nicht auf. Und so foltert die französische Armee jenseits des Völker- und Kriegsrechts Dutzende Verdächtige: Waterboarding, Elektroschocks und Aufhängen an verrenkten Gliedmassen gehören genauso dazu wie simples und dumpfes Verprügeln. Es sind Bilder, die die französischen Debatten über die "Wohltaten des Kolonialismus" unter Präsident Sarkozy zynisch erscheinen lassen.
Die Frage, ob ein mit algerischen Mitteln mitfinanzierter Schwarz-Weiss-Film aus dem Jahre 1966 über die Anfänge des Algerienkriegs heute noch interessant oder relevant ist, ist für jeden Filmliebhaber selbstverständlich absurd und falsch formuliert. Als ästhetisches Experiment ist der Film bis heute noch keine Spur älter geworden. Als Mahnmal, das Kriegsverbrechen thematisiert und anprangert, wird der Film (leider) noch lange aktuell bleiben: die schockierenden Bilder aus Abu-Ghraib zeigen einen Aspekt der "Aufstands- und Terrorbekämpfung", der in Algerien eingeübt worden ist.
DVD.
Die Bildqualität entspricht der Intention des Regisseurs: die Grobkörnigkeit steigert den beklemmenden Realismus des Films. Die deutschen Untertitel sind leider den französischen Passagen nach zu beurteilen teils völlig sinnverzerrend. Das Bonusmaterial ist etwas mager: ein informatives, wenngleich nicht bahnbrechendes Interview mit dem Regisseur Gillo Pontecorvo und ein sehr viel interessanteres und ambivalenteres Gespräch mit dem Produzenten, Darsteller und ehemaligen FLN-Kämpfer Saadi Yacef.
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