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KAPITELWAHL

FANTASIA (USA 1940)

von Michel Opdenplatz

Original Titel. FANTASIA
Laufzeit in Minuten. 119

Regie. JAMES ALGAR . SAMUEL ARMSTRONG u.a.
Drehbuch. JOE GRANT . DICK HUEMER
Musik. JOHANN SEBASTIAN BACH . PJOTR ILJITSCH TSCHAIKOWSKI u.a.
Kamera. JAMES WONG HOWE
Schnitt. JOHN CARNOCHAN
Darsteller. LEOPOLD STOKOWSKI . DEEMS TAYLOR . THE PHILADELPHIA ORCHESTRA u.a.

Review Datum. 2011-03-02
Erscheinungsdatum. 2010-11-04
Vertrieb. WALT DISNEY

Bildformat. 1.33:1
Tonformat. DEUTSCH (DD 5.1) . ENGLISCH (DD 5.1) . TÜRKISCH (DD 5.1)
Untertitel. DEUTSCH . ENGLISCH . TÜRKISCH
Norm. PAL
Regional Code. 2

FILM.
Ein einzigartiger Disney-Film und ein durchaus gewagtes Experiment: nach SCHNEEWITTCHEN UND DIE SIEBEN ZWERGE und PINOCCHIO der dritte große Kinofilm des Studios, unmittelbar vor DUMBO, widersetzt sich FANTASIA der Erzähltradition einer durchgängig kohärenten Geschichte (bis heute eines der Markenzeichen Disneys) und präsentierte acht animierte Sequenzen zu Orchestermusik von Bach, Tschaikowski, Beethoven und anderen, gespielt vom Philadelphia Orchestra unter der Leitung von Leopold Stokowski.

Dieser Schachzug mutet in der Tat verblüffend an, denn die Animationen in diesem Film probieren unterschiedliche Stile durch und scheinen dem Zuschauer zuzurufen: "Seht mal, was wir mit Zeichentrick alles können!" Eine kuriose Entscheidung, die eigentlich zu Beginn einer erfolgreichen Produktionsgeschichte zu erwarten gewesen wäre und nicht erst, nachdem eine definitive Formel bereits gefunden war. Trotzdem: Worüber man damals wohl als Innovation staunte, staunt man heute immer noch, wenn vielleicht auch mit dem Hintergedanken: "So was konnten die 1940 schon?"

Gerade dem Spiel von Licht und Schatten gelingt in der (wohl bekanntesten) Zauberlehrlingsszene sowie im letzten Segment beim Tanz der Dämonen die feine Konturierung und die Hervorhebung selbst kleinster Details. Auch der Animation von Wasser (wo sich übrigens bereits starke Anklänge an DUMBO und ARIELLE, DIE MEERJUNGFRAU finden lassen), Erdbeben und anderen Naturgewalten ist die mühe- und liebevolle Kleinstarbeit anzusehen. Interessant ist hierbei allerdings, wie Disney immer wieder einen Spagat zwischen getreuer Realitätsabbildung und selbstreflexivem Zeichentrick versucht: So bekommen Stürme ein comicartig weißgestricheltes Eigenleben, und das tierische Ensemble der meisten Sequenzen wird in typischer Disney-Manier anthropomorphisiert. Am wenigsten stark übrigens im Falle der Dinosaurier, deren Herrschaft Igor Strawinskis "Frühlingsweihe" untermalt.

"Die Wissenschaft", erklärt uns Deems Taylor in seiner Ankündigung zu diesem Segment, "schrieb das Drehbuch zu dieser Geschichte, nicht die Kunst." Und da merkt man dem Film sein Alter dann doch an: Die Wissenschaft nämlich weiß, dass Dinosaurier grob, brutal und dumm sind und durch eine regelrechte Ver-Wüstung der Landmassen ausgestorben sind. Schmunzelt man drüber und freut sich, dass die Evolution es bei allem Kreationismus in der US-amerikanischen Kultur überhaupt in diesen Film geschafft hat.

Deems Taylor übrigens, der als eine Art Showmaster fungiert und zu der Aufmachung beiträgt, es handle sich bei FANTASIA eigentlich um ein kulturelles Live-Event, einen Theater- oder Konzertbesuch, ist das einzige, was einem die ganze Zeit über wirklich auf den Keks geht. Offenbar hat sich Disney nicht getraut, Musik und Orchester für sich sprechen zu lassen. Und leider drängt sich auch der Gedanke auf, dass er sein Publikum nicht für sonderlich intelligent gehalten haben kann. Minutiös führt Taylor im schwarzen Frack aus, was Kunst ist, was Musik ist, was dieser Film ist; man wartet nur noch darauf, dass er erklärt, was eine Blockflöte ist und welches Ende davon in welche Körperöffnung zu stecken sei. FANTASIA erzähle drei Arten von Geschichten: Geschichten (aha), konkrete Bilder ohne distinktive Handlung (oho) und "absolute Musik um ihrer selbst willen" (mhm). Da haben wir aber gerade noch mal Glück gehabt, sonst hätten wir am Ende wohlmöglich noch versucht, die psychedelischen Striche, Kreise und Linien im ersten Teil des Films (ein bisschen Springbrunnen, ein bisschen Nordlicht) zu interpretieren.

An diese Stelle schließt sich auch der oft aufkommende Kitschvorwurf an: FANTASIA beruft sich nun einmal deutlich auf Kunst und erhebt dadurch den Anspruch, sich an den Musikstücken messen lassen zu können, die er ergänzt. Aber bei aller Unterhaltung, die von den erzählenden Sequenzen geboten wird (und die zur Befriedigung des Zuschauers auch problemlos ausreicht!), lässt sich einfach nicht leugnen, dass beispielsweise die pseudogriechischantike Landschaft zu Beethovens sechster Symphonie in ihrem bunten Farbmischmasch mit pinkfarbenen Flügelpferden auf Blumenwiesen nun einmal aussieht wie ein gut gemachter Werbefilm für den nächsten Christopher Street Day (von Tschaikowskis androgynen Glitzerelfen ganz zu schweigen). Am Ende gelingt Disney auch hier trotz allem programmatischen Gegenstreben das, was er am besten kann: Geschichten erzählen, und seien sie noch so kurz.

Das wiederum bringt alles mit sich, was man von Disney kennt und was man ja auch nicht anders will, wenn man eine Disney-DVD einlegt: von allem etwas, damit alle Altersstufen von fünf bis neunzig zufriedengestellt sind. Ein bisschen Liebe. Ein bisschen Micky Maus. Ein bisschen Spannung. Ein bisschen perfekt getarnte Sexualmetaphorik. Und sogar der Kampf zwischen Gut und Böse bleibt nicht ausgespart (um auf alles andere einzugehen, was in seiner Bildhaftigkeit diese Polarität vorbereitet und zementiert, würde der Platz hier bei Weitem nicht ausreichen): Am Ende darf Satan zu Modest Mussorgski seine Dämonen entfesseln, bevor er vom nahenden Tageslicht verbannt wird, und zu Franz Schuberts "Ave Maria" werden die Seelen Verstorbener erlöst, was dann auch wieder die Evolution und die Dinosaurier entschuldigt. Effektiv. Kitschig. Schön.

Wer FANTASIA nicht gesehen hat, der weiß nicht, was Disney alles kann - und was Disney alles nicht kann. Mein Lieblingsstück ist und bleibt Micky Maus als Zauberlehrling. Es ist nicht umsonst das bekannteste Segment. Die Armee von wandelnden Besen macht einem wirklich Angst, und hey: Es ist Micky Maus.

DVD.
Special Edition? Nicht wirklich, oder? "Disneys Familien-Museum" und der Audiokommentar eines Historikers bleiben die einzigen Extras und laden nicht wirklich (oder wirklich nicht) dazu ein, die Menütaste zu bemühen. Die Bildqualität ist exzellent: Alles Bunte schillert disneywürdig, Dunkles ist scharf konturiert. Problem: der Sound. Wer keine vernünftige Anlage besitzt, dessen Trommelfell wird sich bei der einen oder anderen hochtonigen Geigenpassage durchaus beschweren. Es ist nun einmal ein Film über Orchestermusik, und die macht eben nur in angemessener Soundqualität wirklich Spaß.








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