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KAPITELWAHL

MOEBIUS REDUX (Kanada/Deutschland 2007)

von Björn Lahrmann

Original Titel. MOEBIUS REDUX
Laufzeit in Minuten. 70

Regie. HASKO BAUMANN
Drehbuch. HASKO BAUMANN
Musik. KARL BARTOS
Kamera. FREDERIC DOSS
Schnitt. MAXIME-CLAUDE L'ÉCUYER . MARTIN EBERLE
Darsteller. JEAN GIRAUD . ALEJANDRO JODOROWSKY . STAN LEE . H.R. GIGER u.a.

Review Datum. 2010-12-05
Erscheinungsdatum. 2010-11-12
Vertrieb. SALZGEBER

Bildformat. 1.77:1 (anamorph)
Tonformat. DEUTSCH (DD 2.0) . ENGLISCH (DD 2.0) . FRANZÖSISCH (DD 2.0)
Untertitel. ENGLISCH
Norm. PAL
Regional Code. 2

FILM.
Ein Strich kann eine Wüste sein, ein kahler Horizont von links nach rechts. Wie aber sich annähern ans Werk eines Künstlers, dem seit je daran gelegen war, Linien aufzulösen, Rahmen zu sprengen? Vielleicht so: Jean Giraud sitzt in seinem Pariser Studio und bevölkert die Wüste, die das weiße Zeichenblatt vor ihm ist, mit abstruser Flora und Fauna. Die Kamera zirkelt in ruhigen, präzisen Halbmonden um seinen gebeugten Rücken, windet sich durch einsam beleuchtete Utensilien auf dem Tisch; Tintentöpfe stehen, Skizzen liegen da herum wie fürs Museum arrangiert.

Giraud war Gir in den frühen 60ern, zeichnete Westerncomics für Jugendliche, aus denen der knorrige Cowboy Blueberry als nachhaltigste Kreation herausragt. Unter dem Pseudonym Moebius gelangte Giraud in den 70ern zu kultischem Ruhm als Co-Herausgeber des Magazins "Métal Hurlant", ein Science-Fiction-Bildersturm direkt aus dem Unterbewussten. Wie der stumme Drachenflieger Arzach schwebt die Kamera immer wieder über einer Auswahl wildwuchernder Panels, als wären sie die Oberfläche eines fremden Planeten. Ein strenger Blick auf freie Formen: Diesen Widerspruch sucht MOEBIUS REDUX, das ist seine Stärke.

Dabei beschleicht einen anfangs durchaus die Befürchtung, es mit einer profanen Talking-Heads-Doku zu tun zu haben - wiewohl die Köpfe, die da sprechen, schon mächtig Eindruck schinden: Marvel-Guru Stan Lee, ALIEN-Autor Dan O'Bannon, H.R. Giger und so fort. Die Zugkraft des Namens Moebius ist enorm, das beweist nicht zuletzt der Soundtrack von Ex-Kraftwerker Karl Bartos, der den Film mit eisig pumpenden Cyborg-Beats lasiert. Umso ernüchternder, dass in der Nacherzählung Girauds Werdegang dem seit Jahrhunderten gültigen Skript einschlägiger Ausnahme-Biografien zu folgen scheint. "Stop making sense!" will man rufen, wenn brav die Stationen des jungen Genies abgeklappert werden: Vaterlosigkeit, Drogen in Mexiko, Académie des Beaux Arts. Warum so einfach, wenn's kompliziert doch viel interessanter wäre?

Es dauert eine ganze Weile, bis man begreift: es ist Moebius selbst, der den Anschein des Braven bewusst erzeugt und wahrt. Stets freundlich und aufgeschlossen, hält er sein Gegenüber doch auf Distanz, lässt sich bei der Arbeit über die Schulter schauen, aber nicht in die privaten Karten. Die wertvollsten Interviewpartner, auch und gerade deswegen, sind Girauds ehemaliger Weggefährte Philippe Druillet sowie Alejandro Jodorowsky, schamanistischer maître extraordinaire, mit dem Moebius Ende der 70er an einer sagenumwobenen DUNE-Verfilmung bastelte. Beide liefern sie unermüdlich Kontrapunkte zur offiziellen Wahrheit, schelten den Freund für sein zeitweiliges Involvement in der Appel-Guery-Sekte, spucken auf die amerikanische Superhelden-Kultur, der sich Moebius Ende der 80er angedient hatte. Dass sowohl dem hektisch kettenrauchenden Druillet als auch Jodo jene Impulsivität zu eigen ist, die Giraud vornehm bemäntelt, schmälert den Reiz ihrer Beiträge nicht im geringsten.

Die Ungereimtheiten, die zwischen den verschiedenen Perspektiven zuweilen entstehen, werden vom Film grundsätzlich nicht getilgt, die Ellipsen und dunklen Flecken in der Lebensgeschichte nicht gewaltsam gefüllt. Dass MOEBIUS REDUX unvollkommener wird, je weiter er voranschreitet: auch das ist eine seiner Stärken. Stilisierte Übergangssequenzen, in denen z.B. ein digital vervielfachter Moebius brachialgeometrische Pariser Stadtarchitektur durchmisst, unterstreichen noch die Künstlichkeit, die wahrscheinlich jeder Biografie in der Rückschau anhaftet.

Etwas schade ist allein, dass neben den menschlichen Häutungen des Künstlers sein Werk kaum einen rechten Platz findet; so sehr Moebius' Zeichnungen der Dokumentation ihren Stil verleihen, so selten werden sie einem wirklich analytischen Blick unterzogen. Es bleibt wiederum bei einer anregenden Lücke, die klafft zwischen Selbst- und Fremdbeschreibung: Während Moebius seinen Arbeitsstil als "Ejakulation" bezeichnet, wird er von anderen immerzu mit einer Maschine verglichen. Ziemlich exakt zwischen diesen Polen flimmert auch das Porträt, das MOEBIUS REDUX von Jean Giraud zeichnet: ein wechselwarmes Comic-Chamäleon, dessen Metamorphosen, so fruchtbar sie waren, nie ganz schadlos verlaufen sind.

DVD.
Bild und Ton sind vom Feinsten, was nicht zuletzt an der Auslagerung des extensiven Bonusmaterials auf eine Extrascheibe liegen dürfte. Generell ist ja Vorsicht geboten, wenn das Seitenprogramm, wie hier, fast doppelt so umfangreich ausfällt wie der Hauptfilm. Tatsächlich hält sich das Verzichtbare aber in Grenzen: In diversen Rohschnitt-Exzerpten (speziell des DUNE-Kapitels) sind Überschneidungen mit der Endfassung nicht zu vermeiden, und den jungen und alten Meistern über längere Zeit beim Malen zuzugucken ist auch eher eng gefasste Klientelpolitik. Die weggefallenen Interviewsegmente sind hingegen durchweg eine Bereicherung, und die aus dem Kontext gelösten Animationsgrafiken und B-Roll-Aufnahmen (u.a. vom Giger-Anwesen) machen sich bestimmt gut als Partyloop.
Die volle Charme-Breitseite erwischt einen dann beim samtweich gebrummten Audiokommentar des Regisseurs, von dem zumindest dieser Autor nach der letzten besoffenen Karaoke-Session kaum eine solch leichtzüngige Eloquenz erwartet hätte. Darf ich's sagen? Man muss MOEBIUS REDUX allein schon deswegen gesehen haben, um die nicht selten verzweiflungsgetränkte, aber umso beschwingter vorgetragene Geschichte seiner Entstehung angemessen würdigen zu können.








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