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FILM.
Mit seinen Filmen DER BLICK DES ODYSSEUS und DIE EWIGKEIT UND EIN TAG fungierte Regisseur Theo Angelopoulos als "kulturelles Gedächtnis", als Chronist der europäischen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Zwischen der Verarbeitung der griechischen Filmgeschichte und der Selbstreflexion des Filmemachens, dem Zerfall des Balkans durch den Bosnienkrieg oder der Suche nach der inneren Heimat durch Krieg entwurzelte, einsame Protagonisten oszillieren seine bedächtigen, melancholischen Werke. Vergangenheit und Gegenwart ließ er in den beiden genannten Werken ebenso miteinander verschmelzen wie Subjektivität und Objektivität, Traum und Wirklichkeit.
THE DUST OF TIME kann gewissermaßen als Schlusspunkt angesehen werden. Das 20. Jahrhundert steht an Silvester 1999 vor seinem unmittelbaren Ende und somit auch das Leben der Protagonisten Jacob (BRUNO GANZ) und Eleni (IRÈNE JACOB). Zusammen haben sie die Internierung in sowjetischen Lagern in den 50er Jahren er- und überlebt und den Fall der Berliner Mauer. Es ist die Familiengeschichte eines Regisseurs namens A (WILLEM DAFOE), der sich schon in DER BLICK DES ODYSSEUS auf historische Spurensuche begab und Angelopoulos' alter Ego darstellt. A ist ein Heimatloser: Als er drei Jahre alt war, wurde er von seiner Mutter in den Zug gesetzt Richtung Moskau, von dort verschlug es ihn in die USA. Diese Entwurzelung legt Angelopoulos ihm an einer Stelle in den Mund: "Mein einziges Zuhause sind die Geschichten, die ich erzähle". Und selbst in ihnen spiegeln sich die Verlorenheit und Leerstellen seiner Biografie wider, die er teils mit Zeitdokumenten (Briefe) und den Erinnerungen seiner Eltern füllen kann, teils erfinden muss.
Die Trennung des Films im Film, den A inszeniert (also der innerdiegetischen Fiktion), und der "wahren" Geschehnisse (also der innerdiegetischen Realität) scheint zunächst klar, wenn A bei der Orchestrierung seines Films Anweisungen gibt und die Szenen der poststalinistischen Internierung selbige Musikuntermalung erhalten. Diese Grenze wird jedoch zunehmend aufgeweicht - wie die Wahrheit in den Erinnerungen aufgrund des "Staubs der Zeit", der sich genauso auf sie legt wie verschlingt. Die Gleichzeitigkeit von Gegenwart und Vergangenheit wird spätestens dann deutlich, wenn sich die vermisste Tochter von A und seine Mutter - die beide Eleni heißen - in den Armen liegen und A selbst Protagonist in dem "Film" seines eigenen Lebens wird.
Angelopoulos springt zwischen Raum und Zeit hin und her, löst die Grenzen auf, was auch den Zuschauer zunehmend zumindest mit Orientierungsschwierigkeiten, wenn nicht ganz verloren zurück lässt. Er reichert seinen gewohnt kühl inszenierten Film, der wieder einmal beachtliche Einstellungslängen aufweist, mit allerlei ikonographischen Bildern an, die den politischen Umbruch ebenso in sich aufnehmen wie den Aufbruch in die Zukunft und den Abschluss mit der Vergangenheit. Dies wird spätestens gegen Ende klar, wenn die junge Eleni der alten (also Enkelin der Großmutter) auf dem Sterbebett die Hand hält, in einem Zimmer, welches von Postern mit verstorbenen Ikonen des 20. Jahrhunderts nur so gesäumt ist. Dann entfesselt THE DUST OF TIME jene Kraft, die die man zuvor zwischen wirren Zeitsprüngen und offenen Storyfäden über weite Strecken vergeblich suchte.
DVD.
Die Dialoge wirken zum Teil etwas zu leise im Vergleich zu den anderen Tonspuren abgemischt, allerdings nur minimal. Die DVD hat als Extra leider nur einen Trailer zu bieten, das ist bei einem diskussionswürdigen Film mit dieser Schwere leider zu wenig.
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