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FILM.
LA PIOVRA, Der Krake, nennt sich die Serie im Original. Erklärt wird das nie, das Wort kommt abseits der Titeleinblendung im Sprachschatz der Figuren nicht vor. Vage Assoziationen, die man damit haben mag, reichen vollkommen aus, passen tun sie alle irgendwie. Um eine diffuse Bedrohung geht es, die viele Fangarme hat, deren Saugnäpfe überall kleben bleiben, deren Berührung todgefährlich ist. Wer da an Monsterhorror denkt, liegt gar nicht mal so falsch: Hier wie dort ist die "Kreatur", um die sich alles dreht, die längste Zeit nur in winzigen Ausschnitten sichtbar, ihre ständige Präsenz höchstens als böse Ahnung, als Kribbeln im Nacken zu spüren.
Der deutsche Titel freilich ist rustikaler. Plump benannt werden Thema und Struktur der Serie: Recht vs. Unrecht, einer gegen eine als Einheit begriffene Vielheit. Antipoden statt Oktopoden. Der eine ist Corrado Cattani (lodernd: Michele Placido), ambitionierter Kriminalpolizist mit zerrütteter Ehe, der in einer sizilianischen Kleinstadt den ermordeten Hauptkommissar ersetzen soll. Die Vielheit, mit der er es dort zu tun bekommt - die Mafia, auch dies ein Wort, das der Serie nur selten über die Lippen rutscht - präsentiert sich elusiv und opak, jeder kann dazu gehören. Cattanis Aufgabe ist der eines neuen Nachbarn daher nicht unähnlich: sich unters Volk mischen, Schwingungen aufschnappen, bestehende Grüppchen sondieren und auf mögliche Allianzen abklopfen. Socializing als investigativer Akt.
ALLEIN GEGEN DIE MAFIA war die europäische Fernsehsensation der frühen 80er. Dem deutschen Ko-Finanzier ZDF bescherte die sechsteilige Reihe einen veritablen Straßenfeger; in der italienischen Heimat schlug sie buchstäblich ein wie ein Sprengstoffattentat der Cosa Nostra selbst. Die enormen Einschaltquoten, kommentierte hellsichtig La Republicca, seien nur noch mit dem Besuch der Sonntagsmesse vergleichbar. Tatsächlich rührte die Serie am kollektiven Unterbewussten der Nation, wie es sonst vielleicht nur eine flammende Predigt vermag. Obwohl ganz offensichtlich erlesen recherchiert, gewährt sie gerade keinen aktenkundigen Überblick mafiöser Strukturen, sondern erzeugt eine Atmosphäre diffuser, allgegenwärtiger Angst, die bis ins Private ausstrahlt.
Weniger soziologisch als psychologisch wird das Nervennetz der namenlosen Stadt aufgezogen, in dem Cattani sich zusehends verstrickt. Frauenfiguren spielen eine zentrale Rolle dabei und profitieren, wie überhaupt ein Gros des Personals, von inspiriertem Casting: etwa Barbara de Rossi als heroinsüchtige, hinfällig schöne Aristokratentochter, oder Fulci-Muse Florinda Bolkan, die als zwielichtige Baumogulin ihren Schwarzewitwencharme ausspielen darf. Mehr noch als das Aufdecken krimineller Machenschaften sind es die zerstörerischen Auswirkungen derselben auf Cattanis Familie, die den stärksten Eindruck hinterlassen: die Beziehung zu seiner Frau, die von Unausgesprochenem ähnlich vergiftet ist wie die administrativen Organe; und das behutsam gezeichnete Verhältnis Corrados zu seiner pubertierenden Tochter, die ganz unwillkürlich in den örtlichen Sog aus Schmutz und Intrige hineingezogen wird. Dass ein Vater nicht mehr in der Lage ist, sein eigenes Kind vor dem Bösen zu schützen, muss damals wie eine dunkle Prophezeiung geklungen haben.
Der Name des Propheten - denn es gibt hier, im Gegensatz zu den meisten Serien, tatsächlich nur einen - lautet Damiano Damiani, Veteran des italienischen Polizeithrillers, der schon immer gern politisch Brisantes mit exploitativer Energie auflud (siehe z.B. DER TERROR FÜHRT REGIE). Für seine einzige Fernseharbeit presst er Großformatiges ins kleine Format mit beträchtlichem Erfolg: Anhand schwelgerischer Zooms lotet er die morbide, schattengetränkte Opulenz barocker Palazzi aus, die unter argusäugigen Brennweiten deutlich geräumiger wirken als die engen Gassen der Stadt, wo das poröse Tageslicht die Figuren wie heißer Nebel umhüllt. Obwohl das Drehbuch ein strammes Erzähltempo vorgibt, wo knappe Szene hart auf knappe Szene stößt, ist ALLEIN GEGEN DIE MAFIA unter Damianis Führung eher Melodram als emsiger TV-Krimi, sämig glasiert noch von Riz Ortolanis fantastischem Soundtrack, der einen von der Pilotfolge an in den Fängen hält.
Wiewohl als abgeschlossene Mini-Serie geplant, zog der exorbitante Erfolg des Formats bis 2001 neun weitere Staffeln nach sich, an denen Damiani und Ortolani jedoch nicht mehr beteiligt waren. Was an konkreter Aufklärungsarbeit über die Sicilian Connection die Nachfolger zu leisten unternehmen, ist im Erstling aus gutem Grund bloß vage Implikation: Das sogenannte "organisierte" Verbrechen tritt als solches überhaupt nicht in Erscheinung, weil es sich nicht vom Rest des gesellschaftlichen Lebens isolieren lässt. Das soziale System selbst ist mafiös und macht jeden, der in ihm ruhig und zufrieden lebt, zum Komplizen. Die unaushaltbare Spannung zwischen verbrecherischem Schweigen und selbstmörderischer Aufbegehr hängt wie eine Dunstglocke über der Stadt, liegt wie ein Schmierfilz über den Bildern, hält umschlungen wie die Arme eines Kraken.
DVD.
Eine Edition für Nostalgiker, schmeichelhaft gesagt. Deutsche Credits, deutsche Tonfassung: Näher kann man der TV-Erstausstrahlung im DVD-Zeitalter nicht kommen, ohne mit Eiern beworfen zu werden. Die Synchro ist zwar gelungen, hängt aber des Öfteren blechern im luftleeren Raum; auch ist Michele Placidos gepresstes Hochdruckitalienisch ein echter Verlust. Das Bild ist dafür gerade so sauber, wie es sein darf (bzw. so schäbig, wie es muss), und die derben Gewaltszenen sind ungeschnitten.
Das brennend relevante Bonusmaterial versammelt die Pilotfolgen von HIGH CHAPARRAL, THE LONE RANGER und MIT SCHIRM, CHARME UND MELONE. Ja, genau: ???
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