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KAPITELWAHL

OVERLORD (Großbritannien 1975)

von Björn Lahrmann

Original Titel. OVERLORD
Laufzeit in Minuten. 80

Regie. STUART COOPER
Drehbuch. CHRISTOPHER HUDSON . STUART COOPER
Musik. PAUL GLASS
Kamera. JOHN ALCOTT
Schnitt. JONATHAN GILI
Darsteller. BRIAN STIRNER . DAVYD HARRIES . NICHOLAS BALL . JULIE NEESAM u.a.

Review Datum. 2010-07-13
Erscheinungsdatum. 2010-06-04
Vertrieb. BILDSTÖRUNG

Bildformat. 1.66:1 (anamorph)
Tonformat. DEUTSCH (DD 2.0) . ENGLISCH (DD 2.0)
Untertitel. DEUTSCH
Norm. PAL
Regional Code. 2

FILM.
Die neuesten Movietone-News zeigen tanzende Nazis. Stechschritt vor, Stechschritt zurück, im lust'gen Walzertakte. Die Soldaten im Kinosaal schauen kaum hin, sind beschäftigt mit weiblicher Gesellschaft, ein letztes Mal vielleicht. Immer näher rückt der große Einsatz, D-Day, Landung der Alliierten in der Normandie, Operationsbezeichnung: "Overlord". Natürlich tanzen die Nazis nicht wirklich da auf der Leinwand, es ist ein mechanisches Ballett, ein rhythmisches Vor- und Rückspulen des Films zum Zwecke propagandistischer Erheiterung: Diese hampelnden Clowns besiegen wir doch wohl mit links!

Die Frage der Materialmanipulation steht im Zentrum von Stuart Coopers einzigartigem Kriegsdrama OVERLORD, ein Film, der ohne seine Entstehungsgeschichte kaum zu haben ist. Zu rund einem Drittel besteht er aus Archivaufnahmen, die Cooper in den Katakomben des Imperial War Museum über Jahre gesichtet und ausgewählt hatte. Zusammen mit seinem Kameramann, dem genialischen Kubrick-Mitarbeiter John Alcott, sorgte er für eine möglichst unsichtbare, nahtstellenfreie Einbettung der historischen Bestände in die Spielhandlung, für korrekte Lichtanschlüsse und Körnigkeitsabgleich zwischen altem und neuem Material.

Der fiktive Rahmen erzählt von dem jungen Rekruten Tommy (Brian Stirner), den schon sein Name als generische Figur ausweist, als britischen Soldaten per se. Stellvertretend durchläuft er die archetypische Entwicklung von der Grundausbildung bis zum Kampfeinsatz, deren Verallgemeinerbarkeit bereits den ihr eingeschriebenen Zielpunkt vorwegnimmt: den des totalen Identitätsverlusts. Tommy, ein ursprünglich sanfter Junge, gewinnt im militärischen Stählungsprozess eine fühllose, funktionale Härte. Die Selbstaufgabe im Kriegsapparat wird feierlich zelebriert durch die Verbrennung privater Habseligkeiten und besiegelt mit einem letzten Brief, in dem Tommy seine Eltern auf den eigenen, für sicher gehaltenen Tod vorbereitet.

Das Besondere, das aus der Geschichte vorsätzlich abwest, liegt nun in Verwendung und Anordnung der Archivaufnahmen. Unvermittelt brechen sie immer wieder ein in das fiktive Gerüst, oftmals ohne erkennbares System, willkürlich assoziative Ketten: Feuersbrünste im zerstörten London, Bombenabwürfe über namenlosen Landstrichen, Truppentransporte auf Schienen oder zu Wasser. Manche stehen in keinem klaren Verhältnis zur Handlung, andere wiederum werden als Träume, Fantasien oder Erinnerungssplitter Tommys gekennzeichnet: eine eigentümliche Verschmelzung des Subjektiven mit dem Objektiven. Die unpersönlichen Bilder vom Krieg scheinen das Individuum auszuhöhlen, es taxidermisch zu stopfen und schließlich, wenn es nicht mehr gebraucht wird, im Tod zu verdrängen.

Coopers Materialcollage ist bis heute ohne Gleichen, nicht nur wegen des zunehmend deliranten Zusammenschnitts der Bilder, sondern vor allem der Dinge wegen, die sie zeigen. Vom Staub nachgezeichnete Druckwellen am Boden besitzen eine abstrakte geometrische Reinheit, nächtliche Dogfights über den Wolken lösen sich auf in frivol ästhetische Stahlgewitter. Geradezu surreal fremd wirkt vergessenes Kriegsgerät, Räumpanzer etwa, die mit wirbelnden Schreddertentakeln durch Stacheldraht pflügen; oder von Raketendüsen getriebene Doppelwalzen, die über die Brandung jagen. Der Mensch ist aus diesen Bildern verbannt, es bleiben nur Maschinen, die den Krieg an seiner Stelle ausfechten. Maschinen, zu denen nicht zuletzt – das macht OVERLORD mehr als deutlich – auch die Filmkamera zählt.

DVD.
Bildstörung hat den Bogen raus: OVERLORD, die inzwischen siebte Veröffentlichung des Labels, wartet erneut mit technischer Exzellenz und höchst ansprechendem Drumherum auf. Das üppige Bonusmaterial ist deckungsgleich mit der Edition des großen amerikanischen Vorbilds, Criterion. Neben diversen Interviews, die Dreharbeiten, Kameratechnik und Recherche des Films beleuchten, enthält die DVD u.a. einen experimentellen Kurzfilm von Regisseur Cooper sowie die Propaganda-Doku CAMERAMEN AT WAR von 1943. Weniger parteiischen Aufschluss über die Herkunft des verwendeten Archivmaterials gibt Coopers Audiokommentar. Ein schön gestaltetes Begleitbuch mit vielfältigen Essays liegt ebenfalls bei.








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