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KAPITELWAHL

SUPERMARKT (Deutschland 1973)

von Björn Lahrmann

Original Titel. SUPERMARKT
Laufzeit in Minuten. 80

Regie. ROLAND KLICK
Drehbuch. ROLAND KLICK
Musik. PETER HESSLEIN . UDO LINDENBERG
Kamera. JOST VACANO
Schnitt. JANE SEITZ
Darsteller. CHARLY WIERCZEJEWSKI . EVA MATTES . MICHAEL DEGEN . WALTER KOHUT u.a.

Review Datum. 2010-04-26
Erscheinungsdatum. 2010-02-05
Vertrieb. ALIVE

Bildformat. 1.85:1
Tonformat. DEUTSCH (DD 2.0)
Untertitel. keine
Norm. PAL
Regional Code. 0

FILM.
"Wir wer'n das Kind schon schaukeln", näselt überfordert der Sozialarbeiter. Das Kind aber will sich nicht schaukeln lassen. Willi (Charly Wierczejewski), siebzehn und ein Ebenbild verschwendeter Jugend, türmt aus dem Büro des Erziehungsamtes, nicht zum ersten Mal und garantiert nicht zum letzten. Weit kommen tut er nie auf seinen Fluchten, sie sind ein Kreiseln in engen Grenzen – Hamburg, St. Pauli –, ein Taumeln zwischen den immergleichen Parteien.

Kurzzeitig kommt Willi unter bei Frank (Michael Degen), einem wohlmeinenden Journalisten, der mit rührigen Straßenkinder-Stories schwanger geht. Dem läuft die Frau nackt in der Bude herum, und im Stammlokal regnet es fürs soziale Engagement Lob und Beaujolais. Will sagen: Lange hält Willi es mit Frank nicht aus. Es verschlägt ihn ins Bahnhofsviertel, wo ihm der windige Ganove Theo (Walter Kohut) ein Bier ausgibt. Vom eigenen Glas säbelt Theo mit der Handkante den Schaum, eine von vielen unbezahlbar exakten Gesten in diesem Film.

Im Durchgangstunnel markiert Willi mit blauem Halstuch den Stricher, der reiche Schwule herbeilocken und zum Ausrauben durch Theo präparieren soll. Der erste Teil des Plans funktioniert. Der zweite nicht. In der Vorstadtvilla des glitschigen Freiers gibt es einen echten Modigliani und eine schwarze Badewanne, Art Déco des Grauens, wie im Haus der Katzenlady aus UHRWERK ORANGE. Am nächsten Morgen macht Willi sich heimlich aus dem Staub, zurück zu Frank, hinein in den nächsten Kreislauf.

Von dieser (aus narratologischer Sicht: völlig disziplinlosen) Zirkelstruktur wird SUPERMARKT angetrieben wie eine Zentrifuge. Ein Bewegungsfilm, der alles, was nach sozialkritischer Agenda aussieht, mit Wucht beiseite schleudert. Nicht nur gibt es für Willis Problem keine Lösung – es gibt nicht mal ein klar artikuliertes Problem. Dem Willi ist nicht zu helfen, Punkt. Allen Formungsversuchen der selbsterwählten Mentoren entzieht er sich radikal bis zum Schluss, lässt sich höchstens einkleiden mit der Gleichgültigkeit einer Anziehpuppe und ist für gute Worte taub. Er hat keinen Willen, keine Richtung, kein Ziel. Erst, als ihm eines Nachts eine Prostituierte (Eva Mattes) vor die Füße kotzt, formt sich leise ein Traum: ein Ding drehen, Kohle machen, gemeinsam durchbrennen. Aber man weiß ja, wie solche Träume in solchen Filmen enden.

Roland Klick umweht die Legende, das Gegengift zum Neuen Deutschen Kino zu sein, Genre-Maverick vs. Autorenfilmer. Das ist natürlich ein schiefer Gegensatz; hinlänglich bekannt ja die glühende Affinität Fassbinders und Wenders' zu Hollywoods goldener Ära. Klicks Film dagegen hat erstaunlich wenig Amerikanisches an sich. Sein Hamburg sieht nicht aus wie die Bronx, sondern erstrahlt in nasskaltem Hanseatengrau und nordischem Geplapper (so toll durcheinander gequatscht wird sonst nur bei Altman). Eine Zeitkapsel sind diese Bilder, deren Knäckebrottextur das Dokumentenhafte alter Super-8-Aufnahmen evoziert: Überall Werbeschilder in Schreibschrift, schlammige Hinterhöfe, Pez-Automaten. Einmal werden auf dem Markt ein paar Orangen verkippt, da überfällt einen schockartig, wie farblos die deutschen 70er gewesen sein müssen.

Die entfesselte Kameraarbeit von Jost Vacano – dem späteren DP von Paul Verhoeven – ergänzt perfekt Klicks frei-assoziatives Drehbuch und ist noch heute eine Schau: Wie ein manischer Jäger scheucht sie die Figuren vor sich her, vermeidet Kollisionen nur um Haaresbreite. Ähnliche Triebkräfte entwickelt der endlos wiederholte Titelsong, eine vom blutjungen Westernhagen geschmetterte Powerballade, die einen durch die Handlung navigiert wie eine Sirene in Spandex. Um solche Tricks nicht verlegen zu sein, zeichnet das Kino des Roland Klick aus: ein Kino der Unmittelbarkeit, der blanken Reize und Affekte. Es hat nicht viele gegeben von dieser Sorte in Deutschland. Umso dankbarer darf man sein für einen Film wie SUPERMARKT.

DVD.
Technisch gibt es an der Scheibe, die in der FAZ-Edition "Momente des deutschen Films" erscheint, nichts zu Mäkeln: Sie reproduziert den Film in seiner ganzen dreckigen Pracht. Cover-Design und eingeheftetes Booklet sind ebenfalls ansprechend. Das "exklusive Bonusmaterial" allerdings ist ein deutlicher Minuspunkt gegenüber der bei Filmgalerie 451 erschienenen DVD: Gab es dort noch einen Audiokommentar von Klick sowie ein Gespräch zwischen ihm und Jost Vacano zu bewundern, darf man hier bloß den mal mehr, mal weniger anregenden Gedanken des Feuilletonisten Claudius Seidl lauschen.








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