|
FILM.
Joseph Rubens THE STEPFATHER ist der Urknall des amerikanischen Rezessionsthrillers, der in den frühen 90er Jahren in mannigfaltigster Form die Kinosäle eroberte. Bedrohungen in jeder menschlichen Form und Spielart gefährdeten mittelständische Paare und Familien - Cops, Babysitter, Mitbewohnerinnen und und und; das Böse hatte viele Gesichter. Doch THE STEPFATHER war nicht nur die frühe Initialzündung dieses Subgenres, er bot auch gleich die extremste Form des Angriffs: Hier steckt die Gefahr direkt in der Familie. Schon mit dem ersten Bild verortet sich THE STEPFATHER in vermeintlich idyllischer Umgebung, wenn der Zeitungsjunge durch die vorstädtischen Straßen radelt und die Zeitung auf den gemähten Rasen wirft. Doch die Kamera fährt daran vorbei, hinauf zum ersten Stock des Hauses, wo jemand gerade die Jalousien blickdicht verschließt. Dahinter steht ein Mann, das Gesicht blutverschmiert, vorm Spiegel und beginnt sich seiner Identität zu entledigen. Der Vollbart wird abrasiert, die Haare geschnitten, die rustikale Kleidung wird in einen Koffer gestopft und gegen die Uniform eines biederen Immobilienmaklers getauscht. Er geht die Treppe zum Wohnzimmer hinab, an der Wand ist ein blutiger Händeabdruck zu sehen, das enervierende Tuten eines nicht aufgelegten Telefonhörers schallt durch den Raum; am Fuß der Treppe bietet sich ein Bild des Grauens: Die Familie liegt tot am Boden, Mutter und Kinder viehisch abgeschlachtet. Der Mann legt den Hörer auf und verläßt das Haus. Wir haben soeben einen der stärksten Filmanfänge der 80er gesehen.
Es ist Zeit vergangen; der Mann nennt sich jetzt Jerry Blake und hat eine neue Familie gefunden. Er ist fürsorglich, freundlich, sehr gepflegt und immer um das Wohlergehen von Frau und Tochter bemüht. Das Wort "wertkonservativ" hätte für diesen Mann erfunden werden müssen; seine Vorstellung der "perfekten Familie" geht ihm über alles. Terry O'Quinn spielt ihn am Rande der Parodie, was zunächst gewöhnungsbedürftig ist - bis man begreift, daß Jerry Blake ja selbst diese Rolle nur spielt; wie die verquere Interpretation der amerikanischen Ikone James Stewart kommt dieser zwanghafte Spießer daher, wenn er schnulzige Reden schwingt und Phrasen drischt. Doch Jerry Blake ist nicht lustig. Wenn es nicht so läuft, wie er das will, wütet er durch den Heimwerkerkeller, führt schizoide Selbstgespräche und wiegt schon mal probeweise nominelle Mordwerkzeuge in der Hand. Wir haben es hier mit einem reinrassigen Psychopathen zu tun, der bei Provokationen einen Schädel mit der Holzbohle zertrümmert oder in seiner Raserei Türen mit den Fäusten kaputthämmert. Jerry Blake will der perfekten Familie vorstehen, doch sein Ideal aus Filmen der 50er gibt es nicht. Und wenn die Familie nicht funktioniert, muß sie getötet werden. O'Quinns sagenhafte Darstellung und Rubens Regie sorgen für wirkungsvolles Frösteln: Beim Sex mit seiner neuen Frau (Shelley Hack) ist Blake teilnahmslos, er starrt mit leerem Blick ins Nichts; Lust hat mit seinem Gedankenmodell nichts zu tun. Das Mißtrauen seiner Stieftochter (überraschend gut: Jill Schoelen) bringt schließlich sein Kartenhaus zum Einstürzen, wieder bleibt seine Sehnsucht unerfüllt. Als er sich schon in der Transitionsphase zur nächsten Identität befindet, rutscht ihm vor seiner Frau der falsche Name raus, was diese irritiert. "Wait a minute", zögert er dann. "Who am I here?"
Regisseur Joseph Ruben hält es dankenswerterweise nicht für nötig, das Böse zu erklären. Im ursprünglichen Drehbuch (an dem auch Brian DEATH WISH Garfield beteiligt war) gab es noch Rückblenden, die Jerry Blakes Hintergrund erzählten. Im fertigen Film wird er nur einmal gefragt, ob er eine schlimme Kindheit gehabt habe. Blake antwortet mit starrem Blick: "You could say that." (In der deutschen Fassung sagt er, etwas zu wertend, "Das kann man wohl sagen".) Dieser Hinweis ist völlig ausreichend, THE STEPFATHER entstand lange vor dem heute so inflationären Erklärbär-Kino. All das macht THE STEPFATHER zu einem außerordentlich wirkungsvollen, originellen Thriller, dessen Einfluß nicht zu unterschätzen ist und der mit seinen für Ruben so typischen Herbstfarben in den kanadischen Locations stilvolles Spannungskino bietet. Das Einzige, was dem Film heftig schadet, ist die grausige Musik von Patrick Moraz. Die klingt nämlich wirklich so, wie der Film einst in Deutschland vermarktet wurde (als SPUR IN DEN TOD 2 im Kino versenkt, als KILL DADDY KILL auf Video verramscht): Moraz wütet sich mit fiesen Synthi-Sounds als Westentaschen-Manfredini durch einen nicht vorhanden Billigslasher. Sehr schade.
DVD.
Es wurde eine deutsche Kinokopie abgetastet, wie der Titel SPUR IN DEN TOD 2 verrät; die Bildqualität ist allerdings brillant, da staunt man wirklich. Der in Sachen Stereo recht undynamische Ton geht bei der Originalspur in Ordnung, in der deutschen, sehr ordentlich synchronisierten Fassung klirrt es manchmal ein wenig. Als Extras gibt es den Originaltrailer (der "Who am I here" als Tagline verbrät) und die deutsche Version davon, als KILL DADDY KILL! Natürlich wäre eine retrospektive Doku schön gewesen; Ruben hat ja nach den schönen Anfängen mit DREAMSCAPE, THE GOOD SON und TRUE BELIEVER nicht nachlegen können, während der immer gern gesehen O'Quinn dank LOST zum späten Star wurde. Die beiden hätte man schon nochmal zusammensetzen können. Aber was soll's, der Film zählt, und der sieht super aus.
|
|
|