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KAPITELWAHL

BERLIN CALLING - DELUXE EDITION (Deutschland 2008)

von Hasko Baumann

Original Titel. BERLIN CALLING
Laufzeit in Minuten. 105

Regie. HANNES STÖHR
Drehbuch. HANNES STÖHR
Musik. PAUL KALKBRENNER
Kamera. ANDREAS DOUB
Schnitt. ANNE FABINI
Darsteller. PAUL KALKBRENNER . CORINNA HARFOUCH . RITA LENGYEL . HENRIETTE MÜLLER u.a.

Review Datum. 2009-11-16
Erscheinungsdatum. 2009-09-07
Vertrieb. MOVIENET FILM/AV VISIONEN

Bildformat. 1.77:1 (anamorph)
Tonformat. DEUTSCH (DD 5.1)
Untertitel. ENGLISCH
Norm. PAL
Regional Code. 2

FILM.
Mit der aktuellen Ausgabe der geschätzten Filmzeitschrift "Der Schnitt" bewirbt sich das Magazin, zu dessen Redaktion ich in seinen Gründerjahren gehören durfte, um den undotierten Preis für den peinlichsten Artikel des Jahres. Schon der Titel "Wir fahren nicht nach Berlin" läßt Böses ahnen, und tatsächlich: Autor Marc Stöhr nimmt das - zugegebenermaßen enttäuschende - Megaprojekt 24 STUNDEN BERLIN zum Anlaß, um von Köln aus mal wieder die abgedroschensten und dümmsten (um nicht zu sagen "jecken") Klischees über die Hauptstadt runterzubeten. Die Hose hängt schon in den Kniekehlen, wenn Stöhr seinen Artikel mit dem Vfl Bochum beginnt, aber so richtig knattert die getippte Flatulenz los, als er konstatiert, Berlin sei eine "Illusion", hier würde "nichts produziert" und, der finale Pups: "Ernst wird anderswo gemacht." Nun, "Ernst" wird offenbar auch nicht in der Schlußredaktion des "Schnitt" gemacht, denn sonst wäre dieser armselige Ausdruck frustrierter Provinzialität, dieser trotzige Lokalpatriotismus, wie man ihn eben nur aus NRW kennt, nie der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden. Es ist okay, wenn Ihr nicht nach Berlin fahrt; Ihr würdet hier eh keine zwei Wochen überleben. Macht mal schön weiter Saufi-Saufi zu Schlagerstampf beim Karneval, liebe Kollegen.

BERLIN CALLING wird zum allgemeinen Kanon der "Berlin-Filme" gezählt, weil er das "Berliner Lebensgefühl" so authentisch an den Zuschauer vermitteln würde. Dabei bekommt man in Hannes Stöhrs Film über den DJ und Musiker Ickarus (DJ und Musiker Paul Kalkbrenner) nur zu Anfang und am Ende etwas von der Berliner Clubszene zu sehen, wenn Ickarus etwa in der Maria und in der Bar 25 auflegt. Tatsächlich ist BERLIN CALLING mehr Charakterstudie als Stadtbild, denn als der ständig zugedrogte Ickarus in eine Nervenklinik eingeliefert wird und seine Freundin, den Plattenvertrag und jeglichen Halt im Leben zu verlieren droht, ist erstmal Essig mit durchtanzten Nächten (und Tagen). Für eine Weile orientiert sich BERLIN CALLING am KUCKUCKSNEST, bis Ickarus wieder auf Spur kommt.

BERLIN CALLING hat Einiges zu bieten. Da ist die erstaunliche Leistung des Laienschauspielers Paul Kalkbrenner, der mit seiner natürlichen, authentischen Darstellung einer Variation seiner selbst die Profis an seiner Seite recht hölzern aussehen läßt. Da sind die zahllosen tollen Bilder, die Hannes Stöhr für die Stadt und ihre Protagonisten findet, etwa, wenn Ickarus in der S-Bahn auf dem Boden sitzt und das Sonnenlicht flackerndes Licht durch die Wagen schickt, das an ihm vorbeirauscht wie seine eigenen Tage. Da ist der exzellente Schnitt von Anne Fabini, die auch die improvisiert wirkenden Sequenzen, in denen Ickarus sich wieder in den Groove der Stadt finden will, zu einem homogenen Ganzen montiert. Und da ist nicht zuletzt der exzellente Soundtrack von Kalkbrenner, der Stöhrs Film zusätzlich Stimmigkeit und Rhythmus verleiht. In einer Schlüsselszene darf Sascha Funke auch noch sein unwiderstehliches "Mango" zum Besten geben.

Leider wird aber auch nicht so recht klar, was uns Stöhr da eigentlich erzählen will. Da sich BERLIN CALLING hauptsächlich mit Ickarus' Absturz befasst, kommt kein DJ- und Clubszene-Gemälde zustande, und für eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem nachtaktiven Drogenwrack legt der Film zu viel Gewicht auf skurrilen Humor. Erschwerend kommt hinzu, daß Ickarus sich tatsächlich aufführt wie der hinterletzte Arsch und auch nie gewillt scheint, sein Verhalten zu hinterfragen, insbesondere, als er gegen seine Freundin Mathilde tätlich wird. Regelrecht peinlich wird es, wenn ausgerechnet die geschaßte Mathilde mit ihrer neuen Freundin zu Ickarus' Plattenfirma marschiert, um die Labelchefin mit den neuen Tracks ("die rocken total") vom neuen Album zu überzeugen. Danach löst sich alles in Wohlgefallen auf, und der Film leider auch.

DVD.
Die "Deluxe Edition" von BERLIN CALLING ist ohne Zweifel die bestmögliche Veröffentlichung, die dieser Film erfahren könnte. Der Film sieht großartig aus und klingt vor allem absolut berauschend; Kalkbrenners Musik knallt so knusprig aus den Boxen, wie man es sich nur wünschen kann. Dazu kommen gefühlte achtzig Tonnen Bonusmaterial, das rundherum sehenswert ist. Ein Making Of, wie man es sich immer wieder erträumt, aber nie bekommt, erfreut auf Disc 1; hier wird wirklich erzählt und gezeigt, wie ein Film entsteht und wie er gemacht wird. Geschnitten wurde diese ausgezeichnete Doku von Anne Fabini selbst. Obendrein bekommt man noch Storyboards und Fotos (und nicht etwa nur Werbestills) zu sehen sowie die Trailer, deren Kampagne ich nach wie vor für zweifelhaft halte: Bei deutschen Filmfirmen scheint man immer wieder davon überzeugt zu sein, eine sinnlose Aneinandereihung schöner Bilder würde die Leute schon ins Kino locken. Die sitzen aber da und sagen "Hä?"

Auf Disc 2 geht es dann so richtig los. Ein ganzer Haufen entfallener Szenen findet sich da, bei denen besonders die Sequenz gefällt, in dem sich Ickarus den Fragen von Musikjournalisten stellt. Es gibt unendlich viel Material von allen Drehorten, das auch immer wieder viel übers Filmemachen erzählt. Hier kann man sich Dutzende Clips ansehen, die auch immer Anekdoten, Pannen oder Interviews zu bieten haben. Und dann kann man sich auch noch Impressionen von Berlin ansehen, gut geschnitten zu Tracks aus dem Film. Als ob das noch nicht reichen würde, gibt es zusätzlich - vielleicht das schönste Feature - alle DJ Sets in eigenen, langen Clips zu sehen.

Das alles in einem formschönen Digipak zum Aufklappen, in dem auch noch das Filmposter liegt. Großartig ist das und ganz sicher eine der schönsten Veröffentlichungen des Jahres.








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