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FILM.
Über diesen Film reden, heißt, über die Farbe blau reden. In sämtliche Abstufungen sind seine Bilder getunkt, vom sämig-matten Pastellblau alter Melodramen bis zu nass glänzendem Tintenblau, das von der Leinwand zu tropfen droht. Blau wie die Lippen von Erdrosselten, blau wie die Kälte und das Eis und der Tod. Stimmungen werden damit eingefangen, Zustände emuliert: der Rausch, wenn man blau, und der Kummer, wenn man blue ist. Andere blaue Filme ruft er ins Gedächtnis: die blauen Schatten der Blindheit aus Sirks MAGNIFICENT OBSESSION, der blaue Samt, auf dem Dennis Hopper herumkaut, während er Isabella Rossellini vergewaltigt ("Baby wants to fuck! Baby wants blue velvet!"), Mario Bavas blaublütige Mördergruben der frühen Sechziger (wobei ein bisschen giallo und profondo rosso als Kontrastfarben freilich nicht fehlen dürfen) und schließlich die blau viragierten Nächte aus NOSFERATU, dem thematisch nächstliegenden Film dieser Auswahl: Im Grunde nämlich behandelt IM GLASKÄFIG eine Form von Vampirismus.
Der Vampir heißt, wenig klangvoll, Klaus (Günter Meisner), ein pädophiler Naziarzt, der im spanischen Exil eine karge Villa bewohnt. Während der NS-Zeit hatte er Experimente an Kindern durchgeführt, um der Medizin weniger als einer sado-erotischen Lust am Quälen willen. Jahre später kehren die dunklen Triebe, trotz gewissenhaft bürgerlicher Deckbiografie samt Frau und Tochter, zu ihm zurück: Ein Kind stirbt, Klaus ist gelähmt vor Schreck und, nach einem verzweifelten Sturz vom Dach, auch von Kopf bis Fuß. Fortan vegetiert er in der Horizontalen dahin, ein Untoter in einem sargartiger Tubus aus Glas und Stahl, der für seine Beatmung sorgt. Als ein Krankenpfleger gesucht wird, drängt sich der dämonisch attraktive Jüngling Angelo (David Sust) auf und wird, trotz mangelnder Referenzen – eine Probespritze in den Arsch der Haushälterin geht buchstäblich daneben –, eingestellt.
Dieser Angelo nun entpuppt sich als gleichsam blauer wie eiskalter Engel, als lasziver Verführer und williger Mordknecht, der Klaus bei früheren Gräueltaten bespitzelt hatte und selbige jetzt, auf Basis alter Tagebücher, vor den Augen des Gelähmten reinszenieren will. Vampirisch-epidemisch überträgt sich vom Lehrer auf den Schüler die Gewalt, deren psychosexuelle Komponente alsbald zutage tritt; des Nachts schleicht sich Angelo in Klaus' Zimmer, befreit ihn aus der Eisernen Lunge und beatmet ihn mit schmolllippigen Küssen und Blowjobs. (Von einem Liebesfilm hatte Agustí Villaronga während der Berlinalepremiere gesprochen und dafür von einem wütenden Zuschauer was aufs Maul bekommen: Gewaltübertragung in actu.) Erst als sich das Gefängnis der Impotenz, in das sich der klaustrophile Klaus verklausuliert hat, als selbstgewähltes und somit das Idol sich als Schlappschwanz erweist, dreht Angelo den Spieß, der ihm von seinen früheren Observationen her noch in Herz und Augen steckt, um.
Die Dynamik des Rollentauschs von Täter und Opfer, die IM GLASKÄFIG vorschlägt, ist nicht unbedingt originell (man denke etwa an Liliana Cavanis DER NACHTPORTIER) und fragwürdig noch dazu: Allzu schematisch wandelt sich Angelo zum Todesautodidakten, dessen Morde hedonistischen Foltergenuß mit einem Element der Rache an Klaus koppeln. Villarongas diesbezügliche Blaupausen sind zwei Texte, wie es unvereinbarere kaum geben kann: Georges Batailles Porträt des Jeanne D'Arc-Mitstreiters und berüchtigten Kinderschänders Gilles de Rais sowie Stephen Kings Novelle "Der Musterschüler". Analog dazu verknüpft IM GLASKÄFIG die Kälte einer psychologischen Versuchsanordnung, für die der historische Kontext bloß noch illustrative Funktion besitzt, mit der Glut klassischer Horrorfilme, deren expressive Lichtsetzung, Zoomstöße und spiralförmige Kamerafahrten Villaronga höchst effektiv einzusetzen versteht. Das Ergebnis ist ein verstörend schöner Film, dessen ästhetische wie moralische Grenzüberschreitungen ein fundamentales Rezeptionsunbehagen erzeugen: Im beständigen Schwanken zwischen Anziehung und Abstoßung, Lust und Entsetzen nämlich gerät der Zuschauer in fatale Nähe zu Angelo.
Insofern wundert es nicht, dass IM GLASKÄFIG auch als hoch artifizielles Meta-Kino funktioniert. Schon die erste Einstellung zeigt ein Auge in Nahaufnahme und gibt so das Thema theatraler Blickkonfigurationen vor, die immer auch Konstellationen von Macht und Begierde sind. Der unwillens in die Voyeursposition gedrängte Klaus – gefangen in einem Gerät, das, gleich einem Kinematografen, Totes zum Leben erweckt – nimmt seine Umgebung durch einen schräg über ihm angebrachten Spiegel wahr, der seinen Blick wie eine Leinwand rahmt. Auf dieser nun inszeniert Angelo ein Drehbuch, das Klaus zwar geschrieben hat, das er, Angelo, Regisseur und Hauptdarsteller in Personalunion, jedoch zunehmend für sich vereinnahmt (gestelzt könnte man sagen: Angelo fabriziert appropriation art).
In einer boshaften Umkehrung der Ludovico-Therapie aus UHRWERK ORANGE muss Klaus mit ansehen, wie seine sadistische Neigung nicht wegkonditioniert, sondern auf die Folgegeneration projiziert und dort in Dauerschleife reproduziert wird. Die schrecklichen Erinnerungen haben sich infektiös in Angelo verbissen, wie Vampirzähne, ihn zu einem Wiedergänger gemacht, dessen minutiöse Nachstellung des Ges(ch)ehenen über bloße Imitation hinaus geht: Der sich exponentiell verschärfende Gewaltrausch wird zu einem Teil seiner Natur, zu einem Teil auch des Films, der die Ordnungsstrukturen des Narrativen bald abstreift und zunehmend ins Surreale driftet. Die Villa verfällt, das Blau flutet sämtliche Ritzen und sogar das Weiße im Auge der Figuren. Am Ende verschließt sich der Glaskäfig wieder den Blicken; was bleibt, ist die Gewissheit, dass der Kreislauf in seinem Innern noch lange nicht abgeschlossen ist.
DVD.
Das glasklare, farbintensive Bild und der messerscharfe Ton können sich sehen bzw. hören lassen, und gäb's die Untertitel nicht nur auf Deutsch, wäre die Scheibe wohl internationale Referenzfassung. Sonderausrüstung neben dem exquisiten, von Marcus Stiglegger verfassten Booklet: Zwei Storyboard-Filmvergleiche, eine kommentierte Bildergalerie, ein Interview mit Agustí Villaronga (viel Anekdotisches, einiges Kluges, leichte Tendenz zur Selbstverliebtheit) sowie ein lebhafter Audiokommentar desselben (dito).
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