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KAPITELWAHL

LA BÊTE - DIE BESTIE (Frankreich 1975)

von Björn Lahrmann

Original Titel. LA BÊTE
Laufzeit in Minuten. 94

Regie. WALERIAN BOROWCZYK
Drehbuch. WALERIAN BOROWCZYK
Musik. DOMENICO SCARLATTI
Kamera. NOËL VÉRY
Schnitt. WALERIAN BOROWCZYK
Darsteller. SIRPA LANE . LISBETH HUMMEL . PIERRE BENEDETTI . GUY TRÉJAN u.a.

Review Datum. 2009-10-10
Erscheinungsdatum. 2009-08-14
Vertrieb. BILDSTÖRUNG

Bildformat. 1.66:1 (anamorph)
Tonformat. DEUTSCH (DD 2.0) . FRANZÖSISCH (DD 2.0)
Untertitel. DEUTSCH . ENGLISCH keine
Norm. PAL
Regional Code. 2

FILM.
LA BÊTE: ein halber Titel. Keine Schöne, bloß das Biest. Aber auch: ein doppelter Titel, der die Schöne wie das Biest gleichermaßen umschreibt, die bestialische Lust der Schönen, die schöne Lust der Bestie, die bestialische Schönheit der Lust. Wobei "umschreiben" das falsche Wort ist für einen Film, der seine Vorlage – die alte französische Mär von der Kaufmannstochter, die mit der Reinheit ihrer Tränen einen verwunschenen Prinzen erlöst – zwar durchaus einer Umschrift unterzieht, dies aber mit einer solch phallusgeraden Direktheit tut, dass man aus dem Staunen und Stöhnen kaum rauskommt: Fickende Pferde, pädophile Priester, wollüstige Wölfe, sprudelndes Sperma, kurzum: eine erotische Fantasie, die nichts der Fantasie überlässt.

Reden ist Silber, Zeigen ist Gold in der Welt des Walerian Borowczyk, dessen freudianisch durchsexualisiertes Hauptwerk LA BÊTE ihm auch im libertären Kinoklima der 70er – immerhin der Dekade von DEEP THROAT und EMMANUELLE – viel Knatsch mit der Zensur einbrachte. Ein Bärendienst, denn bekanntlich ist der Genuß am Amoralischen ja desto größer, je hysterischer die Moral deswegen auf die Stühle springt. In Deutschland vermottete der Film jahrzehntelang in der Notorietätenkiste des Jugendschutzes, bis der Fernsehsender Arte im Jahr 2000 ein rechtliches Schlupfloch nutzte, um die ungeschnittene Version zu senden. Jetzt also die üppige DVD-Edition von Bildstörung, die sich an der amerikanischen Referenzfassung von Cult Epics orientiert und LA BÊTE endlich auch Region-2-weit die Ehre erweist, die ihm gebührt.

Ein im Wortsinne perverses Vergnügen ist dieser Film, eine Spiegelverkehrung des zuvor von Cocteau, später gar von Disney kindgerecht verfilmten Märchenstoffs zum feuchten Traum. Statt reicher Prinzen und armer Töchter zeichnet Borowczyk das Buñuel'sche Zerrbild eines desolaten französischen Landadels, dessen Verwandtschaftsgeflechte so undurchdringlich scheinen wie die Wälder, die den barocken Herrensitz umgeben: Da gibt es einen Marquis, der zwecks Finanzaufbesserung seinen Sohn an die Tochter eines wohlhabenden amerikanischen Freundes verheiraten will, was allerdings beim Onkel des Marquis – einem verbitterten alten Frauenhasser im Rollstuhl – auf wenig Gegenliebe stößt, nicht zuletzt wegen eines legendären Ahnenfluchs, dem zufolge der junge Mann in der Hochzeitsnacht das Zeitliche segnen muss. Zusätzliche Scherereien macht der Bruder des Onkels, seines Zeichens römischer Kardinal, der die Hochzeit auf Wunsch der Brauteltern durchführen soll, allerdings Anstoß daran nimmt, dass der Bräutigam nicht getauft ist.

Einiges an Komik schlägt Borowczyk aus den Versuchen dieses hochneurotischen Männerhaushalts, eine längst eingestürzte Fassade bürgerlich-katholischer Solidität zu wahren. Ständig kämmt sich der Marquis die widerspenstigen Haare in den Nacken, wenn er nicht gerade seinem Sohn Mathurin – der die Geschlechtsreife zwar im Namen trägt, sich unterm Diktat der Triebkontrolle aber wie ein Kleinkind aufführt – den wild wuchernden Bart stutzt oder das Tabakrauchen verbietet. Der cholerische Onkel wird in sein Zimmer gesperrt und gerät damit zwar aus dem Sinn, nicht aber aus den Augen der Kamera, die stets wie ein ungebetener Gast durch halb geschlossene Vorhänge und Türritzen linst und dabei rasch enthüllt, dass das alte Geschlecht längst nicht mehr Herr im eigenen Haus ist: Da treibt's der schwarze Kammerdiener mit der Tochter des Marquis, die mit Dreadlocks und Blue Jeans eine moderne Weiblichkeit ins mumifizierte Ancien Régime einbrechen lässt.

Noch mehr ungebetenes Licht ins Dunkel bringt die Ankunft der Braut, sinnigerweise Lucy geheißen: Neugierig durchstreift das Mädchen den dichten Wald, knipst Polaroids von erigierten Hengstschläuchen, zu denen sie sich's später besorgt, und dreht in den signalrot gestrichenen Zimmern des Anwesens Bilder um, hinter denen andere Bilder zum Vorschein kommen: eine Frau, die Beine gespreizt, lässt sich von einem haarigen Ungetüm vergenußferkeln. All diese Eindrücke wird Lucy in der Hochzeitsnacht zu einem Traum verarbeiten, in dem der Film nach langem Vorspiel in jeder Hinsicht – erzählerisch, ästhetisch, hermeneutisch – zum Höhepunkt kommt.

Zu Cembaloklängen wandelt sich da ein Akt gewalttätiger Sodomie zur weiblichen Ermächtigungsphantasie, die keines männlichen Beistands mehr bedarf: Während Mathurin in Fötalposition vor sich hinschnarcht, stimuliert sich die diskrete Scham der Bourgeoisie mit Rosen und Bettpfosten selbst. Per Parallelmontage werden Rahmenhandlung und Traum, die eigentlich Vorder- und Rückseite ein und desselben Sittengemäldes sind, auf der Zeitachse ineinander geschoben, wird die unbewältigte Geilheit der Bestie, die von Anfang an hinter allen Bildern gewütet hat, bis zum letzten Tropfen ausgemolken. Vergleichbar allenfalls mit den fröhlichen Körperentsaftungen eines Wenzel Storch, markiert diese in Blut und Sperma getauchte Sequenz den Triumph eines Matriarchats, das ökonomisch wie sexuell das Zepter übernommen hat. Am Ende wirft sogar Freud das Handtuch: Statt Triebkräfte zu verschlüsseln, hat Lucys Traum selbige erst recht entfesselt und bis in die Erzählrealität ausgestrahlt. Der Fluch, der eigentlich ein Segen ist, hat sich erfüllt. Der eintreffende Klerus kann nur noch entsetzt das Kreuz schlagen, während die Frauen aus den Trümmern der Männerwelt fliehen. Sie haben ganze Arbeit geleistet.

DVD.
Das Bild ist farblich, der Ton klanglich etwas matt, altersgemäß aber absolut ordentlich. Wie bislang sämtliche Veröffentlichungen des Labels, wartet auch LA BÊTE mit allerlei Extras auf: Die fünf Filmminuten, die Borowczyk aus der Urfassung herausgeschnitten hatte, werden im Kontext rekonstruiert (und erweisen sich als verzichtbar). Aus einem lange verschollenen 16mm-Film über die Dreharbeiten sind drei kleine Ausschnitte zu sehen, die ob der Tonlosigkeit in der Tat ausreichen, und der ebenfalls parallel zum Dreh entstandene Kurzfilm L'ESCARGOT DE VÉNUS ist eine Abfolge surreal-erotischer Bilder von Schneckenwesen. Interessanter sind eine kurze Doku, die um LA BÊTE einen kulturgeschichtlichen Rahmen zieht, sowie Interviews mit Borowcyzk und seinem Kameramann Noël Véry, der sich über die Egomanie des ersteren unverhohlen das Maul zerreißt. Die eigentliche Krönung des ästhetisch ansprechenden Pakets ist allerdings das 52 Seiten starke Begleitbuch mit opulenten Farbfotos und Texten von Chris Marker bis Jörg Hackfurth, das man mit festerer Bindung auch solo vermarkten könnte.








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