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FILM.
"Wir waren irgendwo in der Gegend von Barstow, am Rande der Wüste, als die Drogen zu wirken begannen…" so beginnt die grandiose Odyssee von Raoul Duke (Johnny Depp) und seinem Anwalt Dr. Gonzo (Benicio Del Toro), basierend auf Hunter S. Thompsons brillantem Roman FEAR AND LOATHING IN LAS VEGAS. Regisseur Terry Gilliam ist durch Arbeiten wie TWELVE MONKEYS und BRAZIL als Inszenator abgedrehter Geschichten etabliert und versuchte richtigerweise erst gar nicht, Thompsons Handlung in einen rationalen Rahmen zu verordnen. Auf welche Reise man sich mit den beiden Hauptfiguren begibt, machen diese gleich zu Beginn deutlich. Ausgerüstet mit 2 Beuteln Gras, 75 Kügelchen Meskalin, 5 Löschblättern mit extra starkem Acid, einem Salzstreuer halb voll mit Kokain, einem ganzen Spektrum vielfarbiger Uppers, Downers, Heuler und Lacher, zwei Dutzend Poppers, sowie jeweils einer Flasche Rum und Tequila, einer Kiste Bier und nicht zu vergessen, einem halben Liter Äther machen sich die beiden Angelitos auf nach Las Vegas. "Nicht dass wir das alles für unsere Tour brauchten, aber wenn man sich erst mal vorgenommen hat, 'ne ernsthafte Drogensammlung anzulegen, dann neigt man dazu, extrem zu werden", erklärt Duke schon fast verteidigend.
Sinn und Zweck der Reise ist Dukes Aufgabe, als Journalist das MINT 400 zu dokumentieren, das "höchstdotierte Wüstenrennen für Motorräder und Strandbuggys". Jenes Rennen ist jedoch nichts anderes, als eine Ausrede, sich des Trips nach Las Vegas anzunehmen. Schon alleine, um sich aus Los Angeles zu verziehen. Als sein Anwalt rät ihm Dr. Gonzo, den redaktionellen Auftrag zu übernehmen. Selbstverständlich kommt Dr. Gonzo, den Duke für einen Samoaner hält, mit. Doch die Drogen beginnen nicht nur zu wirken, sondern überhand zu nehmen. Im Verlaufe des Filmes verlieren Duke und insbesondere Dr. Gonzo immer mehr die Kontrolle, nicht nur über ihr Verhalten, sondern auch ihre Gefühle. So verkommt FEAR AND LOATHING IN LAS VEGAS im Nachhinein zu einer kruden Mischung aus Alice im Wunderland und Dantes Inferno und zugleich zu einem überaus gelungenen Anti-Kriegsfilm, der die US-amerikanischen Einsätze im Vietnam-Krieg verurteilt. Dies wird nicht nur dadurch veranschaulicht, dass Duke sich stets, wenn wohl eher unbewusst, im Fernsehen Berichte über den Krieg ansieht, sondern der Krieg auch Einzug in sein eigenes Leben erhält, sei es durch wahnhafte Erscheinungen oder die ständige Präsenz des Star-Spangled Banner.
In der Mitte des Filmes platziert Gilliam dann einen sehr subtilen Dialog zwischen Duke und Gonzo, der die Anti-Kriegs-Thematik sehr gekonnt akzentuiert. "Ich sag's nur ungern, aber der Schuppen macht mich fertig. So wie's aussieht, krieg ich die Angst", erklärt ein vollkommen aufgelöster Dr. Gonzo an einer zum Karussell umfunktionierten Bar. "Ach, Unsinn!", erwidert Duke. "Wir wollen hier den amerikanischen Traum finden, und jetzt, mitten im Strudel, willst du aussteigen? Verstehst du, Alter? Wir haben den Hauptnerv gefunden." Doch Gonzo lässt sich nicht überzeugen. "Das ist es ja, was mir Angst macht!", antwortet er, bevor er auf ungeschickte Weise vom Karussell zu steigen versucht. Ohnehin waren beide nur nach Las Vegas gekommen, um sich vor der Realität des Alltags von 1971 zu verstecken. Ein Jahr zuvor hatten sich die Kent-State-Vorkommnisse ereignet, als vier Studenten bei einer friedlichen Demonstration gegen den Krieg von den eigenen Soldaten erschossen wurden. Wenn Duke dann an anderer Stelle Sätze spricht wie "Waren wir auf das Niveau dumpfer Kreaturen gesunken?", ist das weniger Ausdruck des eigenen Rausches, als eine Momentaufnahme der amerikanischen Gesellschaft zu Beginn der siebziger Jahre.
In der zweiten Hälfte des Filmes nimmt sich dann die subtile Kritik an der staatlichen Politik etwas zurück, wenn die Drogeneskapaden rund um Dukes Überdosis von Adrenochrom und die Panik vor einer gesetzlichen Verfolgung bezüglich der jungen Lucy (Christina Ricci) und ihres durch Gonzo induzierten Drogenrausches zunehmen. Letztlich ist der Film jedoch ein wunderbares Bild von zwei Männern, die erfolglos versuchen, dem heimatlichen Wahnsinn durch Drogen zu entfliehen und dabei grandios scheitern. Denn im Grund ist überall "Fledermausland", was Duke am Ende schließlich einsieht, wenn er sich selbst nur als "weiteren Freak im Freak-Königreich" bezeichnet. Dass es Thompson und Gilliam gelingt, die politische Kritik in ihre ansonsten durchgeknallte Odyssee derart gelungen einzubetten, macht FEAR AND LOATHING IN LAS VEGAS zu einem der besten Beiträge des Anti-Kriegsfilm-Genres, auch wenn man es dem Film wohl wegen seiner kranken Aufmachung nicht unbedingt ansehen möchte.
Seine Ursprünge fand FEAR AND LOATHING IN LAS VEGAS, welches zuerst als Titelgeschichte am 20. Oktober 1971 in einer Ausgabe des Rolling Stone Magazins erschienen war, gut ein halbes Jahr zuvor. Im April 1971 hatten sich Hunter S. Thompson und sein Chicano-Anwalt Oscar Zeta Acosta nach Las Vegas aufgemacht, wo Thompson das MINT 400 Wüstenrennen dokumentieren sollte. Herausgekommen war ein weiteres Gonzo-Werk des Journalisten, welches durch Satire und Überspitzung die tatsächlichen Ereignisse zu verweben versuchte. Entstanden nach William Faulkners Zitat, dass Fiktion meist realer sei als die Wirklichkeit, war der Gonzo-Journalismus seiner Zeit dadurch begründet worden, weil Thompson aus zeitlichen Gründen den Redaktionsschluss nicht einhalten konnte und einfach seine Notizen abdrucken ließ. Während Thompsons Geschichte sehr zeitnahe erschien, kam Gilliams Film sicherlich zwanzig Jahre zu spät, wenn man alleine von seiner politischen Botschaft ausgeht, selbst wenn Thompsons Roman Mitte der Siebziger zweifellos - zumindest als Realfilm - nicht umsetzbar gewesen wäre.
Was den Film abseits seiner Gesellschafts- und Politikkritik besonders hervorhebt, sind einerseits seine schrulligen Gastauftritte (u.a. Tobey Maguire, Cameron Diaz und Ellen Barkin), aber vor allem der durch die Drogen evozierte Humor. Allein Del Toros Dr. Gonzo ist ein kleines Kunstwerk für sich, wenn er mit seiner Paranoia überall Verschwörer wittert und mit seinem Kultzitat "Als dein Anwalt rate ich dir ..." einen der besten Running Gags der Geschichte erschafft. Aber auch Depp spielt wunderbar auf, als schrulliges Alter Ego von Thompson, dessen Originalkleider er aufträgt und den er monatelang vor den Dreharbeiten studiert hat. Es ist der Freundschaft dieser beiden Männer zu verdanken, dass sich Thompson dann auch für einen großartigen Cameo überreden ließ ("Da war ich. Mutter Gottes! Da bin ich!"). Somit ist FEAR AND LOATHING IN LAS VEGAS zu Recht ein Kultfilm, der auch zehn Jahre nach Kinostart immer noch zu gefallen weiß und, bedenkt man die Bush-Politik im Irak und deren Nachwirkungen, vielleicht doch aktueller ist, als man denken möchte.
DVD.
Die Bildauflösung der DVD ist hinsichtlich des Alters des Filmes gelungen, ähnlich auch die Tonabmischung. Der Director's Cut unterscheidet sich von der Kinofassung nur minimal, wenn sich Duke nach seinem Adrenochrom-Rausch an weitere Einzelheiten erinnert. Die Extras der DVD sind dagegen ziemlich dürftig ausgefallen. Neben dem deutschen und zwei amerikanischen Trailern verfügt die DVD noch über eine dreiminütige B-Roll und Hintergrundinfos zum Gonzo-Journalismus, den im Film verwendeten Drogen und dem historischen Jahr 1971. Des Weiteren sind 11 Minuten an geschnittenen Szenen enthalten, von denen jedoch lediglich eine Verballhornung eines Staatsbeamten durch Duke und Gonzo interessant ist. Einen Audiokommentar oder ein Making Of sucht man vergebens.
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