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KAPITELWAHL

EVILENKO (Italien 2004)

von Björn Lahrmann

Original Titel. EVILENKO
Laufzeit in Minuten. 111

Regie. DAVID GRIECO
Drehbuch. DAVID GRIECO
Musik. ANGELO BADALAMENTI
Kamera. FABIO ZAMARION
Schnitt. FRANCESCO BILOTTI . MASSIMO FIOCCHI
Darsteller. MALCOLM MCDOWELL . MARTON CSOKAS . RONALD PICKUP . FRANCES BARBER u.a.

Review Datum. 2009-07-19
Erscheinungsdatum. 2008-12-15
Vertrieb. CULT MOVIES ENTERTAINMENT

Bildformat. 1.85:1 (anamorph)
Tonformat. DEUTSCH (DD 5.1/DD 2.0) . ENGLISCH (DD 5.1)
Untertitel. DEUTSCH
Norm. PAL
Regional Code. 2

FILM.
Ich frage mich, welche Alternativtitel hierfür wohl im Gespräch waren. BRUTALOWSKI? DEADIKOFF? KILLOWITSCH? Auf jeden Fall nicht CHIKATILO, der tatsächliche Name des "Monsters von Rostov", dessen Biografie dieser Film (trotz anderslautender Marketingbehauptungen) ganz eindeutig nicht ist (bzw. höchstens in dem Maße wie die zahllosen angeblich von Ed Gein inspirierten Hautabzieh-Slasher). Andrei Chikatilo, der wohl berüchtigtste Massenmörder der russischen Geschichte, hat zwischen 1978 und 1990 über fünfzig Kinder und Frauen vergewaltigt, ermordet und anschließend ein wenig von den Leichen genascht. Der italienische Journalist David Grieco hat 1992 Chikatilos Prozess besucht, der, nach allem was man liest, eine echte Show gewesen sein muss, so mit Hoserunterziehen und spontanen Gesangseinlagen. Seine Eindrücke hat Grieco in dem erheiternd straight betitelten Roman "The Communist Who Ate Children" zur Parabel auf den Niedergang der UdSSR ausgeweitet und ein Jahrzehnt später als EVILENKO eigenhändig verfilmt.

Im Film ist Andrej Evilenko (Malcolm McDowell) ein stramm kommunistischer Grundschullehrer, der über die langsam sich gen Westen öffnende Politik seiner Regierung enttäuscht und verbittert ist. Seine Ehe ist kinderlos, was nicht weiter wundert, wenn man bedenkt, dass er nur im Angesicht von um ihr Leben zitternden Kindern mit Müh' und Not einen hochkriegt. Als er wegen pädophiler Doktorspielchen seinen Job verliert, denunziert er die Schulleitung als Perestroika-Sympathisanten und fällt dadurch ein paar gleichgesinnten alten Kadern auf. Sein Lohn ist eine vom Film nicht näher elaborierte Stelle beim KGB. Von offizieller Seite dergestalt abgesichert, beginnt Evilenko, immer hemmungsloser seiner Mordlust zu frönen.

Der Serienmörder als mythisches Symptom einer überkommenen Ideologie, die sich – wie jeder Mythos – nur in der rituellen Wiederholung immergleicher Taten erhalten kann, kollidiert also mit dem nach Veränderung strebenden Lauf der Realgeschichte, hier repräsentiert durch den progressiven Magistratspolizisten Lesiev (Marton Csokas), der Evilenko auf den Fersen ist. Die beiden Bewegungen schaukeln sich gegenseitig hoch: Je näher der Fall des Eisernen Vorhangs rückt, desto schneller steigt der Bodycount. Und das alles wäre ein fürs Genre durchaus erfrischendes Thesenkonstrukt, würde es dem Film bloß vage unterliegen. Tut es aber nicht: es liegt ihm woanders, und zwar mitten auf der Zunge.

Lesiev beauftragt nämlich einen Psychiater (Ronald Pickup) damit, ein Täterprofil zu erstellen. Fortan hagelt es Traktate vom Katheder, und zwar nicht zu knapp: Von politischer Schizophrenie und Vaterkomplex ist die Rede, von Impotenz als Triebtreibstoff, kurz: von all dem holzschnitthaften Genrehalbwissen, das man spätestens seit dem PSYCHO-Epilog gründlich satt hat. Das schlimmste ist, dass die Hauptfigur diesem Muster gnadenlos angepasst wird. Grieco, der ohnehin kein besonderes Talent für Dialoge besitzt, legt Evilenko eine seelenkundliche Peinlichkeit nach der anderen in den Mund. Dass er beispielsweise ständig über seinen Penis in der dritten Person redet, lädt zum Ernstnehmen nicht eben ein, und wenn ihm dann auch noch hypnotische Zauberkräfte angedichtet werden, die ihn befähigen, seine Opfer mit lugosimäßig gekrümmten Fingern zu dirigieren, gibt Grieco ihn vollends der spekulativen Lächerlichkeit preis.

Das ist schade, denn McDowell spielt Evilenko mit theatralischem Gusto. Obwohl er anfangs eine alberne borschtfarbene Topfschnittperücke tragen muss und aus irgendeinem Grund die Unterlippe recht affig einzieht, erschafft er doch eine komplexe Figur, die zugleich abstoßend, monströs und seltsam tragikomisch wirkt. Als ein KGB-Kollege ihn wegen eines blutigen Hemds befragt und er darauf zynisch deklamiert: "I slaughtered a piiiiig", drängt sich in diesem einen Satz alle Ekelhaftigkeit, aber auch alles böse Charisma Evilenkos zusammen. Die bedrohlich-schwermütige Atmosphäre, die er um sich generiert, wird von Angelo Badalamentis gewohnt erstklassigem Score großzügig unterstützt.

Leider ruht sich der Film etwas zu ausschließlich auf seinem Hauptdarsteller aus, hat also wenig anderes zu bieten. Handwerklich leistet Grieco zwar solide Arbeit, setzt aber in der visuellen Gestaltung arg auf ausgelutschte Ostblockklischees: Lenin-Reliefs waren offenbar im Dutzend billiger, und das stets zonengraue Tageslicht sieht aus wie durch einen Teller Soljanka gefilmt. Schwerer wiegt, dass EVILENKO sich partout nicht für ein Genre entscheiden kann und dadurch von allem zu wenig auftischt: Zum Thriller fehlt es dem Plot, der sich spannungsarm von Mord zu Mord zieht, an Raffinesse; zum Horrorfilm fehlt die Gewalt, die konsequent offscreen stattfindet; und zum Charakterdrama fehlen starke Nebenfiguren, an denen McDowells Glut sich entzünden könnte. Vor allem Marton Csokas bleibt als Antagonist reichlich blass und leiert seine Dialoge in gestelzt-ausdrucksneutralem BBC-Englisch runter. Kein Vergleich zu der von Stephen Rea gespielten gebrochenen Ermittlerfigur aus CITIZEN X, einer Fernsehproduktion von 1995, die das Thema Chikatilo schon einmal behandelt hat – und nach wie vor der deutlich empfehlenswertere Film ist.

DVD.
Das Bild ist leicht verwaschen, der Ton geht in beiden Fassungen in Ordnung. Kapiteleinteilungen erfolgen viertelstündlich, meist mitten in einer Szene. Extras sind bis auf den italienischen Trailer nicht vorhanden.








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