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KAPITELWAHL

DER TODESKING - SPECIAL EUROPEAN EDITION (Deutschland 1990)

von Björn Lahrmann

Original Titel. DER TODESKING
Laufzeit in Minuten. 75

Regie. JÖRG BUTTGEREIT
Drehbuch. JÖRG BUTTGEREIT . FRANZ RODENKIRCHEN
Musik. HERMANN KOPP . DAKTARI LORENZ
Kamera. MANFRED JELINSKI
Schnitt. JÖRG BUTTGEREIT . MANFRED JELINSKI . FRANZ RODENKIRCHEN
Darsteller. HERMANN KOPP . MICHAEL KRAUSE . EVA-MARIA KURZ . ANGELIKA HOCH u.a.

Review Datum. 2009-04-05
Erscheinungsdatum. 2006-06-29
Vertrieb. MEDIA TARGET

Bildformat. 1.33:1
Tonformat. DEUTSCH (DD 2.0)
Untertitel. ENGLISCH . FRANZÖSISCH . SPANISCH . ITALIENISCH . SCHWEDISCH . FINNISCH
Norm. PAL
Regional Code. 0

FILM.
Rund und rund fährt die Kamera, immer langsam um die eigene Achse, wie ein Fisch im Aquarium. Mit Fischen übersät ist auch die Wohnung, die sie zeigt: Fischposter, Fischmuster, Fischmesser. Auf dem Nachtschrank: ein Goldfisch, im Kühlschrank: Dosenfisch. Ein Fischmann, der hier lebt: Horst heißt er, aber das erfahren wir erst später, nachdem er sich umgebracht hat, in der Badewanne, wie ein Fisch. Minutiös und gewissenhaft bereitet er seinen Abgang vor, der Job wird gekündigt, die Poster abgehängt, die Wohnung aufgeräumt, alles schlüsselfertig, nur, dass wir den Schlüssel für seine Tat nicht nachgereicht bekommen. DER TODESKING – Jörg Buttgereits siebenteilige Selbstmordanthologie, an deren Anfang die Fischmann-Episode steht – erklärt nicht, urteilt nicht, stellt Figuren nicht vor und Verbindungen nicht her. Er beschränkt sich aufs Zeigen: sieben Existenzen, die sich auslöschen, einfach so. Im stoischen Kreisen der Kamera verbildlicht sich zwar die Unausweichlichkeit ihrer Taten, die so routinemäßig ablaufen wie die Tage der Woche, an denen sie geschehen – aber die Teufelskreise in den Köpfen der Figuren bleiben dem Filmblick fremd.

Das heißt nun aber nicht, dass DER TODESKING sich an der Quadratur bzw. Kadrierung dieser Teufelskreise nicht wenigstens versuchen würde. Er tut dies einmal, relativ zu Anfang, fast überdeutlich in Form eines dicken runden Blutklatschers, über den jemand einen viel zu kleinen Bilderrahmen hängt. Suizide, mag das vielleicht heißen, sprengen die Kapazitäten des bloß äußerlich Darstellbaren und treiben den Film ein ums andere Mal an den Rand der Selbstkonsumption: Der Kamerablick zittert und bebt bei den brutalen Stößen, mit denen ein Kopf gegen die Wand gedroschen wird; erlischt im White-out, als jemand direkt in die Linse schießt; schwingt sich über die Brüstung einer gigantischen Autobahnbrücke, von der schon zahllose Menschen heruntergestürzt sind; und während sich ein Mann direkt vorm Mundschuss in einen letzten rasenden Monolog hineinsteigert, flackert und springt das Bild gänzlich aus der Führung, als könne es die Spannung des nahenden Todes nicht mehr aushalten.

Der idiotischste Vorwurf, den man Buttgereit zur Uraufführung vor beinahe 20 Jahren gemacht hat, war, dass sein Film dem Zuschauer keine Identifikationsfigur anbietet. Wäre ja auch noch schöner!, könnte man darauf mit einigem Recht kontern. Tatsächlich aber ist es so, dass Identifikation, also Empathie mit den Figuren, vom Film selbst schon geleistet wird, indem er sich bis in die eigene Materialität von ihrem Schicksal affizieren lässt. Die Zerbrechlichkeit des filmischen Bildes findet eine körperliche Entsprechung in der anonymen Leiche, die als einziges Bindeglied zwischen den Episoden im Zeitraffer vor sich hin verwest.

DER TODESKING ist – wie vor ihm der oftmals sträflich auf seinen Gore-Gehalt reduzierte NEKROMANTIK – ein weitgehend ernsthafter, beizeiten fast elegischer Film, dessen Geschichten in einem Nirvana beklemmender Einsamkeit spielen. Seine wenigen Gewaltszenen sind gedämpft und niemals spektakulär, nicht mal in jener Episode, wo sich eine Amokläuferin mit vor die Brust geschnallter Kamera durch einen Konzertsaal ballert; zur Chips-und-Biertauglichkeit fehlt der Szene der Ton, einzig das geisterhafte Rauschen des Projektors ist zu hören. Zugleich trägt der Einsatz des wie schon im Vorgänger absolut fantastischen Soundtracks, irgendwo zwischen verträumter Musikkästchenmelodie und Doom Jazz à la Bohren & der Club of Gore, eminent zur morbid-melancholischen Grundstimmung bei.

In seiner stilistischen Vielgestaltigkeit – jeder Episode liegt ein eigenständiges Konzept zugrunde – ist der Film fast zwangsläufig auch eine Reflexion übers eigene Medium, die vor großen und kleinen Zitaten nur so überquillt: Neben allseits herumhängenden Filmplakaten und einer liebkosenden Kamerafahrt durch die Auslage einer grandios unsortierten Videothek (Audrey Hepburn neben Godzilla!) gibt es eine eingebaute Nazisploitation-Hommage (in der sich Buttgereit persönlich von einer ILSA-mäßigen Gestapodomina den Schwanz abschneiden lässt) sowie ein komplettes Segment, das als Variation auf DAS FENSTER ZUM HOF aus der Perspektive von Miss Lonelyhearts daherkommt.

Zur Schnitzeljagd für Nerds verkommt der Film dennoch nie, im Gegenteil: Je weiter er voranschreitet, desto diffuser und entkernter werden seine Szenarien, bis am Ende nichts mehr übrig bleibt als ein leerer weißer Raum, in dem ein halbnackter Mensch unter hysterischen Weinkrämpfen verendet. Wieder verfällt die Kamera ins Kreisen, diesmal über ihm, wie ein Geier. In dieser letzten Geschichte, die keine mehr ist, steckt auf unerklärliche Weise der ganze Überdruss des Lebens angesichts einer erstickenden Ungeliebtheit von der Welt.

DVD.
Die (gemäß dem nicht gerade HD-tauglichen Ursprungsmaterial) in Bild und Ton ordentliche Special Edition kommt mit einer Fülle an sehenswerten Extras daher. Neben einem viertelstündigen Making-of, das sich auf die Bewerkstelligung des Kameraflugs übers Brückengeländer sowie die Leichenbastelei aus Tiergedärm und Himbeerpudding beschränkt, enthält die DVD zwei kurze Interviews von 2005, in denen Buttgereit u.a. über seine Hörspiel- und Theaterarbeit spricht. Dazu noch der frühe, niedliche Kurzfilm OGAR DER HÄSSLICHE, ein Musikvideo, diverse Trailer und als Krönung gleich zwei launige Audiokommentare des Duos Buttgereit / Rodenkirchen - einer berlinerisch, einer denglisch -, in denen sie sich über das Drehen mit unbezahlten Freunden, die Einflüsse von Greenaway und Godard sowie ihre panische Angst vor Klischees auslassen. Ein 16-seitiges englisches Booklet, das zu jeder Episode kurze Interviewauszüge parat hält, rundet das gelungene Paket ab.








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