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KAPITELWAHL

ROCKER & BIKER BOX VOL. 1 (USA 1969/1970)

von Björn Lahrmann

Original Titel. ROCKER & BIKER BOX VOL. 1
Laufzeit in Minuten. 361

Regie. LEE MADDEN . JACK STARRETT . BILL BRAME
Drehbuch. diverse
Musik. diverse
Kamera. diverse
Schnitt. diverse
Darsteller. JEREMY SLATE . SONNY BARGER . WILLIAM SMITH . BRUCE DERN . JOCELYN LANE u.a.

Review Datum. 2008-10-10
Erscheinungsdatum. 2008-07-03
Vertrieb. MIG/EUROVIDEO

Bildformat. 1.85:1 (anamorph)
Tonformat. DEUTSCH (DD 1.0) . ENGLISCH (DD 1.0)
Untertitel. keine
Norm. PAL
Regional Code. 2

FILM.
Wer den Text zu Steppenwolfs Born to Be Wild kennt, kennt auch die Genrezutaten für ein klassisches Bikesploitation-Movie: "Get your motor runnin' / Head out on the highway / Lookin' for adventure / And whatever comes our way." Hauptreferenzpunkt für die Ästhetik jener billig runtergekurbelten Motorradfilme aus den späten 60er und frühen 70er Jahren dürften wohl Kenneth Angers SCORPIO RISING – eine campige Fetischfantasie aus Leder, Chrom und Popmusik – sowie Roger Cormans THE WILD ANGELS sein. 1969 erreichte die Welle dank EASY RIDER, der ja eigentlich einen bitteren Abgesang auf jegliche gegenkulturelle Freiheitsträume darstellte, ironischerweise ihren Höhepunkt. MIG versammelt auf ihrer ersten ROCKER & BIKER BOX vier Filme auf zwei Discs, die die benzingetränkten Verheißungen des Genres mal mehr, mal weniger einlösen.
Von solcherlei Filmen grundsätzlich erwarten darf man: a) ausgiebige Harleyfahrten über Wüstenhighways, aufgepeppt mit ein paar Stunts, b) beinhart-behaarte Kerle, die sich hauptsächlich von Dosenbier ernähren & die Kippe am Lötkolben anzünden, c) Spießer und Bullen, die ihnen das Leben schwer machen, und e) zeitgenössische Soundtracks zwischen Beat-Pop, Southern Rock und Tammy-Wynette-Heulern. Zumeist ausgeblendet wird der tatsächliche kriminelle Hintergrund der Motorradgangs: Während die echten Hells Angels eine lange Liste von Gewalt- und sonstige Verbrechen auf dem Kerbholz haben, sind ihre Film-Pendants in der Regel bloß ein Haufen eskapistisch gesinnter Typen, die ein bißchen Bambule machen wollen und sich gegen zugeknöpfte Spaßbremsen aus dem Establishment wehren müssen.

Als Paradeexemplar dieser Spielart (und Sahnestück der vorliegenden Kollektion) darf wohl HELL'S ANGELS '69 gelten, das neben schlagkräftiger Mitwirkung von Angels-Mitbegründer Sonny Barger sogar einen halbwegs manierlichen Plot zu bieten hat: Die beiden rüschenbehemdeten Spießerbrüder Wes (Jeremy Slate) und Chucky (Tom Stern), denen der Silberlöffel bis zum Anschlag im Hintern steckt, infiltrieren incognito eine Gruppe Hells Angels, um sie für einen Raubzug in Vegas zu instrumentalisieren. Anfangs zuckelt man noch vergnügt durch Saubermann-Suburbia, macht Stunk für die unbeschäftigten Provinzbullen und Faxen für die Kinder am Straßenrand und vertreibt sich den Rest der Zeit mit saufen, tanzen und der ein oder anderen Prügelei. Als die Identität der beiden Lacostefreunde allerdings aufzufliegen droht, ist's mit dem Spaß schnell Essig, und am Ende wird das langerwartete Halali zur Spießertreibjagd in der Wüste von Nevada geblasen.
Die Inszenierung des Films gerät technisch überraschend kompetent und narrativ fast so geradlinig und straff wie Bargers Plauze, was beizeiten ein wenig zu Lasten der Motorradszenen geht; neben der erwähnten Stuntshow im Reihenhausviertel, die in ihrer schamlosen Selbstzweckhaftigkeit bester exploitativer Zirkustradition verpflichtet ist, sind höchstens noch eine Parade durch Las Vegas und das dynamisch eingefangene Wüstenfinale erwähnenswert. Einen gewissen Reiz entwickelt der Film aus der Spiegelverkehrung der gesetzlichen Fronten: die Angels mögen sich noch so sehr als Outlaws gerieren – sobald sie von zwei verzogenen Großbürgerbratzen (dem eigentlichen Quell aller Niedertracht) übers Ohr gehauen werden, lassen sie sich gern von der Polizei behilflich sein und versprechen artig, die Strolche den Behörden zu übergeben.
Die allergrößte Freude beschert jedoch die deutsche Synchro von Kodderpaps Rainer Brandt, der das im Original eher pragmatische Skript lustvoll und ohne Rücksicht auf Lippenbewegungen mit 1001 Jahrhundertkalauern zupflastert: So wird "Take my word for it" zu "Mein unheiliges Ehrenwort, Herr Oberförster" und "You can do better than that" zu "Das kannst du nem Pferd erzählen, das ne Tomate an den Schwanz gebunden hat." Auch sonst wimmelt es nur so von Atzen, Kalkleisten, Karbolmäusen und lieben Kokoschinskis. Besonders saftig gelingt die Vertonung von Chucky durch den jungen Arne 'Tom Hanks' Elsholtz, der nahezu jede Konversation mit "Na klarofutzki, Keule!" beendet.

Als zweites Jeremy-Slate-Feature beinhaltet die Box DAS TODESRENNEN DER WILDEN ENGEL (OT: HELL'S BELLES), wo ein eigentlich recht ordinäres Motorrad zum obskuren Objekt der Begierde avanciert: Gleich mehrere Männerparteien wollen unbedingt mal auf der Maschine reiten, klauen sie sich gegenseitig unterm Hintern weg und drücken besorgte Küsse auf den Tank, wenn sie mal umkippt. Mehr Leidenschaft hatte auch Sledge Hammer für seine Susi nicht übrig. Hauptinteressent ist der skrupellose Biker Tampa, der dem rechtmäßigen Besitzer Dan (Slate) sogar seine Frau im Tausch darreicht. Da letzterer allerdings vor lauter Objektfetischismus gegen das handgeschnitzte Modelgesicht und den ultrakurzen Lederrock von Schnuckelchen Jocelyn Lane offenbar immun geworden ist, schlört er sie nur widerwillig mit bei seinem Versuch, den Feuerstuhl seines Herzens zurück zu erobern.
TODESRENNEN ist der schnörkelloseste und zugleich actionreichste Film des Pakets, der wie ein Western mit motorisierten Gäulen daherkommt: man heizt durch die schroffen Canyons des Coronado-Nationalparks, frißt Bohnen aus der Blechpfanne, und der Held trägt dazu Cowboykluft. Die prinzipiell plotfreie Prämisse lässt den Film schnell in einen einzigen unterbrechungsfreien Roadrunner-Cartoon ausarten: Im unwegigen Terrain liefern sich die Konkurrenten vergnügliche Cross-Country-Jagden und stellen sich gegenseitig gar listige Fallen; wie weiland Karl Coyote löst Dan z.B. an einer Stelle per Hebelkraft eine Gerölllawine aus, um seine Rivalen zu zermalmen. Die Sahnehaube auf diesem äußerst kurzweiligen Spaß ist der schmissige Cocktail-Lounge-Soundtrack von Les Baxter, der u.a. auch bei Mario Bavas DIE DREI GESICHTER DER FURCHT die musikalische Federführung inne hatte.

Ein gutes Stück poppiger scheint zunächst RUN, ANGEL, RUN zu Werke zu gehen: Die Geschichte eines Bikers, der für zehntausend Dollar Insider-Informationen über seine Gang an eine Zeitung verhökert und untertauchen muss, startet furios mit einer Highspeed-Verfolgungsjagd, bei der hitzige Parallelmontagen, Splitscreens und treibende Soulmucke zum Einsatz kommen. Leider manövriert sich der Film nach derart gelungenem Auftakt zielstrebig in den Orkus: Angel versteckt sich zusammen mit seiner Geliebten Laurie in einem Häuschen im Grünen, mottet seine Harley ein und träumt von der Rente im Schaukelstuhl. Das Biker Movie verwandelt sich urplötzlich in eine zähe Hillbilly-Schmonzette: Angel, vom debil wirkenden William Smith als infantiler Choleriker mit falschem Schnauzbart dargeboten, zofft sich alle Nase lang mit Laurie, meistens über angebrannte Buletten und sonstige kulinarische Fauxpas, versöhnt sich dann wieder beim Sonnenuntergang am Strand und findet seinen Frieden als Aushilfe beim benachbarten Bauern Dan, mit dem er zusammen Schafe hütet und durchs Gemüse tollt.
Selbstredend sind diese Passagen nicht ohne absurde Komik, aber mit gut zwei Dritteln der Gesamtlaufzeit doch arg großzügig berechnet. Zudem stellt der Rehabilitationsplot die Genrekonventionen gründlich auf den Kopf: Angels ehemalige Bikerfreunde sind keineswegs gutmütige Freigeister, sondern gemeingefährliche Schurken, die das Glück des neugeborenen Spießerhelden bedrohen. Immerhin kommt so noch ein zünftiges Sleaze-Finale zustande, bei dem die rache- und notgeile Motorradgang auf das knospende Bauersmädchen trifft und postwendend den Zorn des flintenschwingenden Herrn Papa auf sich zieht. Unterm Strich ist RUN, ANGEL, RUN somit eine leidlich amüsante Halbgurke, deren Defizite besser unterhalten als ihre spärlich gesäten Vorzüge.

Der markig betitelte ROCKER KENNEN KEIN ERBARMEN (OT: THE CYCLE SAVAGES) entpuppt sich indes als kompletter Rohrkrepierer: Auch hier sind die Biker ein genreuntypisch schikanöses Pack, das nichts besseres im Sinn hat, als eine brave Kleinstadt mit Drogen, Diebstahl und Mädchenhandel zu tyrannisieren. Blöderweise hält ihr krimineller Elan sie über weite Strecken davon ab, sich zwischendurch auch mal auf ihre Räder zu schwingen. Statt dessen hängen sie ständig in ihrem Clubhaus ab (dessen lachhafte Inneneinrichtung inklusive John-Lennon-Starschnitt und bunten Polka-Dot-Aufklebern offenbar von einem Zwölfjährigen designt wurde) und legen sich mit einem Maler an, dessen Bleistiftporträts der Gangmitglieder aus unerfindlichen Gründen eine gigantische Bedrohung darstellen; jedenfalls folgert der offensichtlich geistesgestörte Anführer der Bande: "If the police see them, we'll all go straight to jail!" Tatsächlich offeriert der Film ein Dutzend solcher Dialogschoten, deren Bräsigkeitsquotient in natürlichen Zahlen kaum mehr fassbar ist: u.a. erfahren wir, dass dicke Mädchen sich am besten für Aktstudien eignen, weil man da beim Zeichnen nicht geil wird! Der ganze Quark lohnt sich allenfalls für ein paar passable Keilereien und Bruce Derns Darstellung des übergeschnappten Gangleaders, der streckenweise herzhaft drauflos improvisiert, rumgeifert und viel mit den Augen rollt.

Trotz eines eher mediokren und eines mißratenen Beitrags bereitet die ROCKER & BIKER BOX VOL. 1 insgesamt mehr bierseligen Spaß als Katerstimmung, und angesichts der Tatsache, dass Bikesploitation auf dem deutschen DVD-Markt bisher ein weitgehend unbeackertes Feld ist, sei sie (bei zivilem Preis) dem geneigten Genrefreund empfohlen. Einsteiger sollten sich vielleicht zunächst an den oben erwähnten THE WILD ANGELS halten, der im Oktober ebenfalls hierzulande erscheinen wird.

DVD.
Die Covergestaltung ist von liebloser Billigsoftware-Schlampigkeit, vielleicht in dem Glauben, das sei der allgemeinen Ästhetik angemessen. Besonders peinlich: Zwei von vier Inhaltsangaben auf der Rückseite beschreiben gänzlich andere Filme (namentlich ANGEL UNCHAINED sowie Tarantino-Favorit THE SAVAGE SEVEN), die hoffentlich in der angekündigten zweiten Box nachgeliefert werden. Im Innencover gibt es eine extraknappe Einführung ins Genre sowie Kurzbiografien von Sonny Barger und William Smith zu lesen, die allerdings unter den DVD-Halterungen versteckt sind.
Die Bildqualität reicht von farbintensiv und ansehnlich (HELL'S ANGELS '69) bis videokassettenmiserabel (RUN, ANGEL, RUN). Der Ton ist im Original muffig und teils schwer verständlich; in den Synchronfassungen hört man z.T. deutliches Hintergrundrauschen, die Stimmen sind extrem weit in den Vordergrund gemischt. Bei ROCKER... wird die englische Tonspur sonderbarerweise immer mal wieder von einzelnen deutschen Sätzen unterbrochen. Untertitel sind bei keinem der vier Filme vorhanden, wenn man mal von TODESRENNEN absieht, wo im letzten Drittel aus heiterem Himmel zwei völlig willkürliche Sätze untertitelt werden.
Extras beschränken sich auf die Originaltrailer und eine ziemlich sinnfreie Screenshot-Galerie zu TODESRENNEN.








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