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KAPITELWAHL

SASORI SCORPION VOL. 1-4 (Japan 1972/1973)

von Heiko Hanel

Original Titel. JOSHUU SASORI VOL. 1-4
Laufzeit in Minuten. 352

Regie. SHUNJA ITO . YASUHARU HASEBE
Drehbuch. diverse
Musik. SHUNSUKE KIKUCHI . HAJIME KABURAGI
Kamera. HANJIRO NAKAZAWA
Schnitt. OSAMU TANAKA . TOMIO FUKUDAO
Darsteller. MEIKO KAJI . RIE YOKOYAMA . FUMIO WATANABE . ISAO NATSUYAGI u.a.

Review Datum. 2008-01-13
Erscheinungsdatum. 2007-12-07
Vertrieb. RAPID EYE MOVIES

Bildformat. 2.35:1 (anamorph)
Tonformat. DEUTSCH (DD 2.0) . JAPANISCH (DD 2.0)
Untertitel. DEUTSCH
Norm. PAL
Regional Code. 2

FILM.
Als sich die junge Matsu in einen Drogenfahnder verliebt, ahnt sie nicht, dass Dieser sie nur für seine korrupten Geschäfte benutzt. Und so landet sie, misshandelt und vergewaltigt, im Hauptquartier der Yakuza. Ein unbeholfener Versuch, ihren Peiniger zu erstechen, bringt sie ins Gefängnis. Hier wird alles noch schlimmer. Insassen werden von Gefängniswärtern und Aufseherinnen gedemütigt. Versuche der Gegenwehr scheitern an der straff organisierten Armee von Aufsehern kläglich und werden drakonisch bestraft.
Nach langem Leiden entledigt sich Matsu ihrer Menschlichkeit und beschließt, zu überleben, damit sie Rache an ihren Peinigern nehmen kann. Sie verwandelt sich in Sasori, den Skorpion.

Der japanische Regieassistent Shunya Ito wartete Anfang der 70er Jahre ungeduldig auf seine erste Regiearbeit. Wie alle großen Filmstudios stellte auch TOEI Filmstudenten nach Abschluss ihres Studiums erstmal als Handlanger ein, damit sie bei den alten Hasen was lernen konnten. Erst nach jahrelangem Warten wurde Auserwählten dann ihre erste Regiearbeit zugeteilt. Umgehen konnte man diese Prozedur nur im Sexfilmbereich, wo auch Anfänger praktizieren durften, solange in einem Einstünder die Quote von 3 Sexszenen nicht unterschritten wurde. Der Grund für Itos strapazierte Geduld war aber eher seine langjährige Gewerkschaftszugehörigkeit, die den Aktivisten nicht gerade populär bei seinen Vorgesetzten gemacht hatte. Als dann endlich das Angebot kam, war Ito enttäuscht. Der einem Manga von Tooru Shinohara entnommene Entwurf sollte die weibliche Variante einer damals populären Gefängnisserie werden. Eine echte Auftragsarbeit.

Ito überzeugte die Drehbuchautoren, das simple Drehbuch gegen den Willen des Produzenten nochmal umzuschreiben und mit einem politischen Touch zu versehen. Die Hauptdarstellerin stand auch schon fest. Meiko Kaji, der Star des Konkurrenzstudios Nikkatsu, hatte die Fronten gewechselt, nachdem sie sich vergeblich gegen Rollen in billigen Sexfilmen gewehrt hatte. Da Ito die junge Schauspielerin nicht leiden konnte, versuchte er sie bei einem ersten Treffen gleich zu vergraulen. Beinahe erfolgreich, kommen in SASORI doch zahlreiche Sexszenen vor, denen Meiko Kaji durch den Studiowechsel gerade versucht hatte, zu entkommen. Doch laut Sunya Ito war Meiko genauso störrisch wie er und sie fanden Gefallen aneinander. Der Erfolg gab ihnen Recht. SASORI wurde einer der erfolgreichsten Filme für TOEI und zog 5 Fortsetzungen nach sich, von denen Ito noch zwei inszenierte. Bis heute ist SASORI ein Klassiker des Revengemovies, den nicht nur die üblichen Verdächtigen wie die Tarantinos und Tarantinoesken zu ihren zahlreichen Lieblingsfilmen zählen. Warum, kann man jetzt auf der wunderschönen Box von Rapid Eye Movies sehen, auf der sich die ersten vier Filme mit Meiko Kaji als namensgebende Rächerin befinden.

SASORI übertrifft nicht nur visuell sondern auch inhaltlich konventionelle Genrefilme. Zunächst fällt die Präsenz der Hauptdarstellerin auf. Da fast alle Dialoge aus dem Drehbuch entfernt wurden, bleibt ihr nur ihre ausdrucksstarke Mimik. Und tatsächlich, in Sasori brodelt die Wut. Auch ohne Worte ist diese Frau bedrohlich. Und sie hat allen Grund. Unerträgliche Demütigungen werden von Ito, der als Vorbilder Bunuel und Fellini nennt, zunehmend surrealer inszeniert. Am Anfang noch zurückhaltend, spätestens ab dem zweiten Teil exzessiv, arbeitet der Regisseur mit Überblendungen, suggestiv bunter Lichtsetzung und psychedelischen Soundeffekten. Erst recht als sich Sasori gegen die uniformierte Macht auflehnt. Die Gefängnisaufseher repräsentieren die mit Willkür über ihre Bürger herfallende japanische Staatsmacht und werden von Itos antiautoritärer Heldin ihrem gerechten Ende zugeführt. Der Gewerkschafter fühlte sich damals eher von den Protesten gegen den japanischen Kooperationsvertrag mit den USA inspiriert, den General McArthur nach dem Krieg initiiert hatte, um sich einen asiatischen Verbündeten im Osten der UDSSR und Chinas zu sichern. Doch das Publikum sah in Sasori sich selbst, das geknechtete Volk, das unter einem straff organisierten, kapitalistischen Staat in die Knie ging und sich nun aufbäumte. So bricht Sasori zum Ende des ersten Teils aus, und metzelt gnadenlos, bis keiner ihrer Peiniger mehr übrig ist.

Im zweiten Teil wird Ito noch deutlicher. Sieben Insassen brechen mit Sasoris Hilfe aus dem Gefängnis aus und scheitern am Traum von einer bürgerlichen Existenz, die den nicht gesellschaftskonformen Frauen nicht vergönnt ist. Auf der Suche nach ihrem Sohn wird eine Gefangene von der Polizei gestellt. Eine andere endet tot unter einem Wasserfall, nachdem sie von den männlichen Teilnehmern einer Reisegruppe vergewaltigt wurde. Ein Kriegsveteran hat Mitleid mit den Vergewaltigern, da sich diese nicht in China austoben konnten. Ein böser Kommentar auf das Massaker von Nanking, bei dem die japanische Armee die chinesische Zivilbevölkerung systematisch vergewaltigte und abschlachtete. Mittlerweile sind diese Kriegsverbrechen aus den japanischen Schulbüchern gestrichen und japanische Regierungschefs lösen jedesmal einen internationalen Konflikt aus, wenn sie ausgerechnet den Schrein besuchen, der auch die Seele des für dieses Massaker verantwortlichen Generals beherbergt. Auch die gewalttätige Reisegruppe möchte nichts mehr vom Krieg hören. Doch die Strafe folgt. Der Veteran wird später mit einem verkrampften Lächeln auf den Lippen laut "BANZAI" schreien, um die Anführerin der Ausbrecherinnen daran zu hindern, seine Genitalien wegzuschießen. Doch auch die Rächerinnen werden nicht erlöst. Eine nach der Anderen wird von ihrer Vergangenheit eingeholt. Nur Sasori, die ihre Seele längst abgegeben hat, überlebt alle Mordversuche. Im Gegensatz zu ihren Peinigern. Das aus ihnen herausfließende Blut hat die Farbe der Sonne auf der japanischen Flagge.

Im dritten Teil wird Sasori von einem Polizisten in der U-Bahn gestellt, dem sie nur entkommt, indem sie dessen Arm abtrennt. Auf einem Friedhof trifft sie eine ehemalige Mitgefangene, die sich prostituiert, damit sie ihren behinderten Bruder ernähren kann, von dem sie ein Kind erwartet. Auf der Flucht vor dem rachsüchtigen, einarmigen Polizisten, gerät sie in die Fänge der Mafia, die mal wieder sadistisches mit ihr vorhat. Auch hier weiß sich Sasori zu wehren.

Im vierten Teil der Serie, den statt Ito Yasuharu Hasebe inszenierte, kommt Sasori bei einem ehemaligen politischen Gefangenen unter. Als dieser sie unter Folter doch verrät, steht auch er auf ihrer Todesliste. Hasebe reduziert die surrealen Elemente deutlich, zeigt ein heruntergekommenes Tokyo voller Rotlichtbezirke und ein wenig Verständnis für einige Protagonisten, die durch Notlagen zu Tätern werden. Umso unmenschlicher wirkt Sasori, die auf Gründe keine Rücksicht mehr nimmt.

Nach dem vierten Teil stieg auch Meiko Kaji aus der Serie aus. 1976 und 77 inszenierte Yutaka Kohira noch zwei weitere Teile, die in der DVD-Box nicht enthalten sind.
Macht nichts, diese vier Filme zeugen von einer Zeit des japanischen Kinos, als noch schnell gedreht, schnell inszeniert, unterhalten, Kunst geschaffen und mit Fingern in Wunden rumgebohrt wurde, ohne dass das Publikum weglief. Und wieder mal ist es Rapid Eye Movies zu verdanken, dass man daran auch bei uns teilhaben kann.

DVD.
Rapid Eye Movies hat die ersten beiden Sasoris bereits als Einzel-DVDs veröffentlicht. Nun sind alle vier Filme mit Meiko Kaji in einer Box vereint. Auf eine Synchronfassung der letzten beiden Teile wurde verzichtet. Die Box ist, wie immer bei REM, sehr stylisch gestaltet und beinhaltet ebenso schöne Postkarten. Die Bildqualität ist angesichts des alten Filmmaterials ziemlich gut, wenn auch zum Teil ein wenig kontrastarm. Neben den sehr cool reisserischen Originaltrailern und Bildergalerien hat Tom Mes von Midnight Eye sehr aufschlussreiche Interviews mit den beiden Regisseuren geführt. Vor allem Shunya Ito hat sehr Interessantes zu Politik und Filmemachen in einer Zeit der Unruhen zu erzählen. Gerade die Anspielungen auf japanische Kriegsverbrechen sieht er allerdings als reines Produkt der damaligen, politisierten Zeit. Als europäischer Zuschauer sieht man da eher einen Zusammenhang mit dem aktuellen (nicht nur japanischen) Zeitgeschehen. Aber wenn selbst dezidiert politische Regisseure wie Koji Wakamatsu universell politisch erscheinende Botschaften seiner alten Filme als nicht in die heutige Zeit übertragbar ansehen, dann kann man das Ito auch nicht vorwerfen. Trotzdem, mit der dunklen Vergangenheit hammses nicht so, die Japaner. Tolle Box.








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