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FILM.
Die Retrospektive der 58. Internationalen Filmfestspiele Berlin (07.-17.02.2008) wird sich bemühen, den 1983 verstorbenen spanischen Regisseur Luis Bunuel nicht nur als Regisseur vorzustellen, sondern auch in dessen Arbeit als Produzent, Autor und technischer Berater. Wenn alles gut geht entsteht hier ein rundes Portrait des grossen bekannten "Unbekannten" der spanischen Filmlandschaft anhand seines umfang-und facettenreichen Handwerks, gleichzeitig ein pralles Dokument seines politischen Umfeldes. Wer solange nicht warten mag, hat nun die Gelegenheit auf DVD 5 Filme seiner wohl insgesamt 20 Werke beinhaltenden "Mexiko-Phase" im Originalton zu sehen und zu hören. Die getroffene Auswahl ist klein und fein, wohl eher dazu gedacht, sich einen Einstieg zu Bunuels Schaffenswelt zu ermöglichen und das Interesse an seinem Wirkunsgfeld, privat wie auch politisch, zu wecken. Der 1900 in Spanien geborene Autor und Filmemacher ist aus dem Kreis der filmischen und literarischen Surrealisten in Paris 1946 nach Mexiko gegangen, zum einen um dem Franco-Regime und der damit verbundenen spanischen Zensur zu entgehen, zum anderen, da man ihm in Mexiko-Stadt seitens höchster politischer Kontakte die nötige künstlerischen und produktive Freiheit ließ. Sein grosser Erfolg als Filmemacher schloss finanzielle Probleme aber wieder einmal nicht aus, so kam ihm der Kontakt nach Mexiko im Jahre 1946 in kreativen Belangen wohl gerade recht, nachdem Bunuel die Jahre vorher damit verbracht hatte, sich seinen Lebensunterhalt in Hollywood mit dem Erstellen von spanischen Fassungen amerikanischer Produktionen zu verdienen, ebenso arbeitete er im New Yorker Museum of Modern Art als Berater für Ausstellungsprojekte zum 2. Weltkrieg. 1949 erwarb er die mexikanischen Staatsbürgerschaft und im Jahr 1950 setzt diese kleine DVD-Box denn auch zum kleinen Sprung auf seine "mexikanische" Phase an. Angeschnitten wird in dieser Sammlung Bunuels grossartige Zusammenarbeit mit dem Kameramann Gabriel Figueroa (LOS OLVIDADOS und EL), ein geradezu expressionistisches Farbenspiel in Schwarz/weiss! Bunuel blieb in der Auswahl seiner mexikanischen Projekte dennoch nicht ganz unbehelligt seinem grossen Grundthema treu: ein nicht enden wollender Angriff auf satt-bürgerliche Familienmoral und einem nicht enden wollenden Geschlechterkampf, umschlungen von katholisch-geprägten Wertvorstellungen, die ohne jede Hinterfragung akzeptiert und über Generationen weitergereicht werden. Ordentlich zubeissend etwa in SUSANA - CARNE Y DEMONIO, 1951, in dem eine aus der Besserungsanstalt entflohene Prostituierte von einer reichen Familie in einer regnerischen Nacht (!) wohlwollend aufgenommen wird und diese Familie sich schliesslich hintergangen fühlt, nachdem die junge Frau alle männlichen Bewohner des Wohnsitzes sexuell verführt hat. Die Frau ist böse, die Frau muss weg: darüber sind sich vor allem die verführten Herren einig und Susana landet wieder dort, wo sie kein "Durcheinander" stiften kann; in der Besserungsanstalt.
Zu seinen persönlichen Lieblingen erklärte Bunuel den Film EL aus dem Jahr 1952. Der Mann (Arturo de Cordova) als Jäger, und natürlich jagt er eine Frau (Delia Garcés) , besonders befriedigend ist diese Jagd, wenn man seine "Beute" vorher einem anderen Mann ausspannt und diese schliesslich zur Schlachtbank, sprich vor den Traualtar, führen kann. Aber dieser nun verbriefte "Besitztum" ist ja erst der Anfang einer nicht enden wollenden Verteidigung vor anderen Jägern; Paranoia pur bis zum Amoklauf aufgrund dem Verlust der Beute!
Bunuels werkgetreue Literaturverfilmung in jener Zeit (Emily Brontés "Sturmhöhe") spricht wieder von der Geißel katholischer Moralvorstellung und dem Tod als Erlöser, als Weg zweier Liebenden und der angeblichen Problematik, in körperlicher Vereinigung auch die Möglichkeit von geistiger und emotionaler Zusammengehörigkeit zu sehen und nicht ewig als das Eine und das Andere!
Nach soviel Dramatik gibt es auch einiges zu Lachen, eben mit ENSAYO DE UN CRIMEN aus dem Jahr 1955, frivol und sympathisch nimmt Bunuel hier die Psychoanalyse auf den Arm: ein nicht mehr ganz junger Mann (Ernesto Alonso) im Besitz einer magischen Spieluhr träumt seit Kindertagen davon, Frauen zu ermorden. Nachdem er sich einmal zu einem Tatversuch aufrappeln kann, segnet diese Auserwählten stets auf andere Art und Weise bereits das zeitliche, ohne dass unser Freund auch nur einen Finger gekrümmt hätte, geschweige denn den betreffenden Damen auch nur ein einziges Haar! Tote pflastern seinen Weg (verflixte Spieluhr!) aber zum Mörder hat er denn es immer noch nicht gebracht. Doch die wahre Liebe wird es schon richten.
Mit LOS OLIVIADOS aus dem Jahr 1950 ( und mit dem Regie-Preis in Cannes bedacht) zeigt am Rande auch die Schwierigkeiten eines Regisseurs, sein Werk wie geplant vorzuzeigen. So viel Naturalismus war damals, und auch heute noch, nicht zu verkraften und dankenswerterweise beinhaltet die hier versammelte Fassung auch das von Bunuel gewünschte Original-Ende als Bonus von 2 Minuten! Bunuel zeigt eine Jugendbande in den Slums von Mexiko-Stadt: angeblich wahre Begebenheiten über den Versuch einer Freundschaft zwischen einem brutalen Bandenchef und einem zarten Burschen, der innerhalb der Gruppe nur nach der vermissten familiären Zuneigung sucht. Das Unaussprechliche, ein Mord, schweisst die beiden zusammen.
Wie schon gesagt: sehr hübsch das ganze aber nach 5 Filmen stellt sich doch eher der Wunsch nach "Mehr" ein (etwa nach NAZARIN 1958, oder LA MORT EN CE JARDIN 1956 und, und, und), aber man muss ja schon froh sein, eine solch kleine aber ungewohnte Mischung käuflich erwerben zu können. Die deutsche Untertitelung ist wohl in Ordnung (ich habe zwei Filme mit dieser Sprache mächtigen und vertrauenswürdigen Menschen angesehen). Und der "Rest", der kommt wahrscheinlich noch!
DVD.
Die Filme sind schwarz/weiss und von recht guter Bildqualität, keine restaurierten Fassungen. Die deutschen Untertitel entsprechen dem spanischen Original und sind keine wilden Fantastereien. Als Bonus erhält man einerseits das Alternativende von LOS OLVIDADOS, ja, wenn der Film kein finanzieller Erfolg gewesen wäre, hätte man sich also damit herumschlagen müssen. So bekommt man das vom Meister gewünschte Ende zu sehen und kann Vergleiche stellen. Auf der DVD EL bekommt man noch die Dokumentation UN BUNUEL MEXICANO zu sehen von einer Lauflänge von 56 Minuten. Hier gibt es historische Fakten, vor allem politischer Natur, zu Bunuels "mexikanischen" Jahren zu sehen, und auch das Alternativende zu LOS OLVIDADOS ist hier noch einmal anzuschauen, interessanterweise in besserer Bildqualität! Die DVD ENSAYO UN CRIMEN beinhaltet noch den Kurzfilm LAS HURDES von 27 Minuten aus dem Jahr 1932, Bunuels dritter Film über den filmhistorisch immer noch ordentlich gestritten wird: ist das nun ein Dokumentarfilm oder nicht? Und damit die Frage: was DARF ein Dokumentarfilm? Fragen, mit denen sich Bunuel hier schon auseinandersetzt und mit Hilfe einer "off-Stimme" zu einer völligen Suggestion werden lässt. Spannend auf jeden Fall. Das Booklet ist recht nett zu lesen, und soll wohl zum Kauf des genannten Buches animieren. Aber wer sich diese Box kauft hat das Buch mit Sicherheit eh schon, und dies bestimmt auch im französischen Original. Nur beruhigend, dass an der deutschen Ausgabe die wunderbare Frieda Grafe beteiligt war.
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