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FILM.
Wirkten die bisherigen DVD-Editionen von DURCH DIE NACHT MIT... in der Auswahl der Episoden teils doch arg zusammengewürfelt, so vereint die sechste DVD der Reihe – obschon vermutlich ebenfalls nach dem Zufallsprinzip ausgewählt – zwei Folgen, die zwar beide auf den ersten Blick nicht zu den Highlights der Reihe zu gehören scheinen, aber auf höchst interessante Weise die Evolution des Formats veranschaulichen.
Zuerst trifft, in einer sehr frühen Folge (die nebenbei noch das DDN-Debüt von Kollege Baumann markiert), Franka Potente in L.A. auf John Carpenter. Wie auch ausführlich im Audiokommentar reflektiert wird, befand sich das Format zum Zeitpunkt des Drehs noch in der Entwicklungsphase, so dass die Inszenierung eher durch Glätte glänzt; darüberhinaus handelt es sich ohnehin um eine der oberflächlicheren Begegnungen der Reihe. Ein grundsympathischer, souveräner und selbstironischer Carpenter moderiert das Gespräch eher, als dass natürliche Kommunikation zustandekommt, während eine recht unangenehme Potente mal bemüht, mal affektiert wirkt und zwischendurch "Lebensweisheiten" daherplappert, die wohl am Set von LOLA RENNT übriggeblieben sind. Die Wahl der Locations beflügelt das Gespräch ebenfalls nicht unbedingt, und so bleibt unterm Strich eine der banalsten DURCH DIE NACHT-Folgen.
Ein Eindruck, der zusätzlich durch die zweite Folge auf der DVD verstärkt wird. Der katalanische Theater- und Opernprovokateur Calixto Bieito trifft auf Kultautor Michel Houellebecq. Die Vorzeichen standen gut: Bieito, ein Verehrer des "grossen Visionärs und Humanisten" Houellebecq, arbeitete gerade an einer Inszenierung dessen Romans PLATTFORM und empfing sein Idol in Barcelona. Und mit einer Mischung aus Faszination, Abscheu und Begeisterung verfolgt man ungläubig das absolut beispiellose, grandiose Scheitern einer Begegnung.
Anfangs steckt Bieito noch voller Enthusiasmus und kaum verhohlener Verehrung für Houellebecq, der eher den Eindruck eines ranzigen Junkies als eines brillanten Autoren macht - doch Bieitos Versuche, das Eis zu brechen und ein Gespräch in Gang zu bringen perlen an Houllebecq ab "wie Wasser am Gefieder einer Ente", wie Editor Martin Eberle im Audiokommentar treffend bemerkt.
Bis zur blanken Widerwärtigkeit stumpf und angeekelt wirkend lässt sich Houellebecq kettenrauchend durch die Nacht schleifen und unterhält sich zwischendurch schonmal lieber auf französisch mit seiner selbst mitgebrachten "Fotografin", als seine Aufmerksamkeit dem zunehmend verzweifelten Bieito zuzuwenden. In einigen wenigen Momenten jedoch legt er seine Verweigerungshaltung ab und blüht auf; als er ein Glas Rotwein in die Hand bekommt; von der Züchtigung seines Sohnes erzählt, die ihm eher Vergnügen als Notwendigkeit zu sein scheint; und sich schliesslich endgültig als degeneriertes, vulgäres Schwein offenbart, das die Vorzüge der kubanischen Mentalität daran festmacht, dass sich die Nutten mit 15 Dollar abspeisen lassen. Momente, in denen Bieitos Verehrung sichtlich schwindet. Zum Schluss dann Resignation – in der wunderbarsten Sequenz des Films irrt Houellebecq allein und verpeilt zu einer adäquat verpeilten Version von WHERE IS MY MIND durch eine Ausstellung, während Bieito es vorzieht, dem Kamerateam seine Sicht auf eine Installation darzulegen.
Danach hat dann selbst Sonnenschein Bieito – der sich seine tiefe Frustration zu keinem Zeitpunkt, selbst beim erst nach der Begegnung aufgezeichneten Vorabstatement, anmerken lässt – die Faxen dicke. Nach einem gemeinsamen Spaziergang auf den Ramblas, den jeder der beiden für sich absolviert, endet der Abend mit einem bizarren Abschied, bei dem Bieito den Eindruck erweckt, zwischen seiner ursprünglichen, tiefen Verehrung für Houellebecq und neugewonnener Verachtung hin- und hergerissen zu sein.
Der hervorragend gefilmte und geschnittene Film vollbringt den Kunstgriff, diese peinsame Zerreissprobe für Calixto Bieito nicht zur peinsamen Geduldsprobe für den Zuschauer werden zu lassen: In weiträumigen, wunderschönen Bildern fängt er die Distanz zwischen den Protagonisten ein, scheut sich nicht, immer wieder lange Gesprächspausen zu zeigen und transportiert die schwarze Magie dieser Begegnung in ihrer ganzen, grossen Tragik. Eine ausgesprochen mutige und wichtige Folge.
"Take care of yourself. Or not." -Bieito, beim Abschied von Houellebecq.
DVD.
Zu beiden Folgen gibt es Audiokommentare von Regisseur Baumann und den jeweiligen Cuttern; das ist im Falle Potente/Carpenter nett und unterhaltsam, aber nicht unbedingt nötig, während der Kommentar zu Bieito/Houellebecq erwartungsgemäss einiges an Anekdoten und tieferen Einsichten (u. a. "Wehrmachtsoffiziere rauchen so"; zu Houellebecqs Art, seine Zigarette zu halten) zu bieten hat - wenn die Herren Baumann & Eberle nicht gerade die ursprüngliche eigene Fassungslosigkeit angesichts des Rohmaterials rekapitulieren.
Ärgerlichster Makel mal wieder die schluderige Untertitelung, der für die DVD-Veröffentlichung eine Überarbeitung gut getan hätte; da wird aus einem simplen "There you go" schon mal ein im Kontext komplett sinnloses "Wie geht's", und als Carpenter die Funktion einer Taschenlampe mit den Worten "You just twist it" erklärt, wollen einen die Untertitel glauben machen, das wäre "verdreht" – mehr als peinlich.
Von diesen Patzern im Detail mal abgesehen eine wie immer einwandfreie Veröffentlichung im schicken Digipak mit kompletten Tracklistings sowie Kurzbiografien der ProtagonistInnen und schönen Begleittexten im Booklet.
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