|
FILM.
Großes Kino: Ein einsamer alter Mann sitzt in einem Verschlag in der mexikanischen Wüste. Ein Reiter kommt herbei und klappt ein Schild mit der Aufschrift "Blinder Mann" aus. Er erkundigt sich nach dem Weg, und der Alte erwidert nicht zu Unrecht: "Ich weiß nicht, wie ich es Dir zeigen soll!". Der Blinde sagt: "Zeig's dem Pferd." Gesagt, getan, geritten.
Zu diesem Zeitpunkt ist Ferdinando Baldis BLINDMAN noch keine acht Minuten alt, und Tony Anthony hat schon ein Haus in die Luft gejagt. Das macht er übrigens recht gerne in Ferdinando Baldis Film, in dem es auch ansonsten ordentlich kracht. Baldi, der neben diversen Italowestern (u.a. mit dem jungen Ersatz-Franco Nero Mario Girotti, der unter Baldi den Namen Terence Hill erhielt) und dem Thriller OPIUM CONNECTION auch die sahnige Sleazebombe HORROR-SEX IM NACHTEXPRESS gebastelt hat, hat mit BLINDMAN einen der originellsten Italowestern inszeniert. Ideengeber und Produzent Tony Anthony spielt mit tequilablauen Kontaktlinsen den blinden Superschützen, der von seinen Gegnern natürlich immerzu unterschätzt wird - was konsequent in kollektivem Graßbeißen resultiert. Der Blinde ist auf der Suche, und zwar nach 50 Frauen. "Ich will meine 50 Weiber!" Ja genau, die hat ihm nämlich jemand geklaut, obwohl er vertraglich dazu verpflichtet ist, die holden Damen in eine Bergarbeiterstadt überzusiedeln.
Des Blinden Gegner sind zwei Banditenbrüder, von denen einer sich unsterblich in eine Blondine verknallt hat, die sich aus den 50 Frauen rekrutiert. Die ohrfeigt und schändet er nach Herzenslust, und eben dieser Unhold wird gespielt von Ex-Beatle Ringo Starr! Penny Lane ist weit weg, wenn Ringo als Candy (!) die Sporen gibt. Als grenzdebiler Bandito zeigt Starr sich von der besten Seite und gibt dem Film zusätzlichen Antrieb, wenn er nach dem Tod des Blinden geifert. Episodisch hangelt BLINDMAN diesen Konflikt von einer abenteuerlichen Sequenz zur nächsten. Obwohl durchgängig mit komödiantischen Unterton versehen, geht der Film gelegentlich ans Eingemachte: Ringo-Candy foltert den Blinden herzlichst durch, außerdem wird viel geschossen und gehauen, Knochen gebrochen und Augen ausgebrannt, und die Sequenz, in der die Banditen die 50 weißgewandten Frauen durch die Steppe jagen, ist zwar visuell eindrucksvoll, aber in ihrer Härte (Massenhinrichtung und -schändung) zynisch und gewaltgeil. Aber so gehört sich's im brettigen Italowestern, und die Coolness und der Humor der Figur des Blinden ("Ich hab nichts gesehen") machen die Sache rund und spannend. Denn was Baldi, dem hier ständig Pralinen gelingen (komplett surreale Begräbniszeremonie, Mann-Frau-Fight mit Beinschere, Militärs in Geilheitswahn), sich vor allem auf die Fahne schreiben kann, ist Originalität. BLINDMAN rockt.
Hauptdarsteller Tony Anthony hat übrigens später eher mit Filmequipment gehandelt und sich mit der Produktion der lukrativen Mickey Rourke-Gurke WILDE ORCHIDEE eine goldene Nase verdient. Mit Baldi hat er in den 80ern auch das kurzlebige 3D-Revival eingeläutet, was in Europa allerdings auf wenig Gegenliebe stieß. BLINDMAN, so betont Baldi, beruht nicht auf japanischen Einflüssen (etwa der Figur ZATOICHI), vielmehr war zuerst die Idee der 50 Frauen da, die einem italienischen Kriegsdrama entstammt. Dann kam erst der blinde Revolverheld ins Spiel - ein echter Glücksgriff.
DVD.
Der Film sieht toll aus. Er erstrahlt in seinem Breitwandformat und weist kaum Alterserscheinungen auf, was besonders bei doch eher gering geschätzten Italowestern erstaunlich ist. Alle drei Tonspuren sind etwas dumpf, besonders die englische, und die deutsche klingt noch am sattesten. Die würde ich eh empfehlen: Eine Top-Synchro mit Rolf "Redford" Schult als Tony Anthony und Christian "De Niro" Brückner adelt das Geschehen. Die Extras sind ebenso zauberhaft: In einer eigens produzierten 40minüten Dokumentation berichtet Ferdinando Baldi von BLINDMAN und den Arbeiten am Italowestern im Allgemeinen. Dabei gibt es wunderbare Anekdoten vom durchgeknallten Ringo Starr und davon, daß sich Komparsen verschiedener gleichzeitig am selben Ort gedrehter Western in den falschen Sets einfanden. Und auf dem Friedhof mit den weißen Kreuzen sind alle schon mal erschossen worden. Alles hochinteressant und mit vielen Bildern angereichert. Zum Ende wird es dann noch rührend, wenn all die großen verstorbenen Italowestern-Regisseure betrauert werden. Ein wirklich schönes Feature, sorgsam untertitelt, bei dem ich nur einen Kritikpunkt habe: Baldi trägt erkennbar einen Anstecker. Warum kriegen wir dann lausigen Kameraton zu hören?
Dazu gibt es noch den sauknackigen deutschen und den inhaltsgleichen englischen sowie den sacklangen italienischen Trailer, sowie eine großartige selbstlaufende Bildergalerie mit verschiedenen internationalen Artworks (wer hat die aufgetrieben?) und grandiosen Aushangfotos zur Originalfilmmusik in bester Qualität. Die DVD selbst steckt in einer aufklappbaren Hülle im Schuber, komplett mit schön gestaltetem Booklet.
Koch Media, die für diese Veröffentlichung eine ungekürzte Kopie aufgetrieben haben, nähern sich mit dieser Qualität so langsam dem Status eines deutschen Anchor Bay an. Hervorragend.
|
|
|