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Eine Nebensache, die mich an THE WEST WING immer fasziniert hat, ist, wie Jed Bartlett (Martin Sheen) sich das präsidiale Sakko überstreift. Ein zweihändiger Überkopfschwung im Gehen, blitzschnell kracht der feine Zwirn um Schultern und Rücken, eine beiläufig elegante Bewegung voll determinierter Schärfe, die den simplen Bekleidungs- zum gestischen Staatsakt macht: Tacheles als Lebenspraxis. Jetzt - bear with me, folks - eine echt bescheuerte Analogie: Simon Rothöhler schreibt, wie Bartlett sich in Schale schmeißt. Was den Cargo-Mitherausgeber, Freitag-Autor und Filmwissenschaftler vor vielen anderen Grenzgängern zwischen Universität und Feuilleton auszeichnet, ist seine absolute Verweigerung diskursiver Drögheitskonventionen, die bei jedem Anflug von Esprit gleich den Ernst geistiger Arbeit in Gefahr sehen. In bester angelsächsischer Tradition sind bei Rothöhler wit und Wissenschaft nicht nervöse Bettgenossen, sondern zwingende Voraussetzung füreinander: In blumiger Sprache florieren umso luzidere Gedanken.
Doppelt ideal passt dieser Ansatz zum Beschreiben einer Serie, die selbst auf der Überzeugung fußt, "dass gute Gesetzesideen und reaktionsschnelle Aperçus letztlich verwandte Gehirnaktivitäten sind." Aaron Sorkins idealische Vision eines Weißen Hauses, dessen Stabsspitze sich nach Art einer Hochbegabtenfamilie unentwegt schwindelerregend hohe wie hemmungslos flache Bälle zuspielte, wusste im Modus des atemlosen Walk 'n' Talk über sieben Staffeln nicht nur realpolitisches Geschehen zu reflektieren, sondern auch immenses Humorkapital zu schlagen aus der Kluft zwischen inhuman abstrakter Bürokratie und pathosschwangerer Bürgernähe. Wie folgenreich diese Ersinnung einer kuscheligen, identifikationstauglichen Kehrseite zum distanzierten big government war (wer würde nicht mal gern mit Toby Ziegler eine Partie Cholerikersquash spielen?), konnte man spätestens an den frühen Werbevideos aus Obamas White House erkennen, die den Präsidenten beim Ankumpeln mit seinen Leo-, Josh-, CJ-etc.-Surrogaten zeigten.
Was Rothöhlers pointenförmige Thesen, die bei allem Hang zum lustvoll-rhetorischen Ausufern (von der WEST WING-Standardkritik als liberal porn zum Cumshot-Kalauer muss man kaum fünf Zeilen warten) dennoch sehr methodisch in geschlossene Kapitel gegliedert sind, so zwingend macht, ist seine von glühendem Fandom induzierte Beschlagenheit in puncto amerikanischer Pop- und Politkultur. Die historiografische Aufbereitung der Serie entlang der Clinton- und (zunehmend Bartlett-inkompatiblen, Jack-Bauer-freundlichen) Bush-Jahre gelingt ihm ebenso glänzend wie die medien- und fernsehgeschichtliche Einordnung in eine Gruppe von Formaten, die die "Wurstfabriken" auf der Hinterbühne des demokratischen Theaters beleuchten - eine Linie, die Rothöhler u.a. mit seinem jüngst beim Perlentaucher zweitveröffentlichten Essay zur Provinzverwaltungscomedy PARKS & RECREATION weiter verfolgt hat. So gelingt ihm auf rund 80 Seiten nicht bloß ein überdurchschnittliches booklet, wie die gleichnamige diaphanes-Reihe bescheiden für sich beansprucht, sondern ein hocheffizient gerafftes Standardwerk zu Sorkins bisherigem Opus Magnum. Nobelpreisökonom Bartlett wäre begeistert.
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