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GEDRUCKTES IST TOT

THE SOPRANOS (2012, 1. Auflage)
von Björn Lahrmann

Original Titel. THE SOPRANOS
Seiten. 112

Autor. DIEDRICH DIEDERICHSEN

Review Datum. 2013-02-03
Erscheinungsdatum Deutschland. 2012-03-24
Verlag. DIAPHANES

Erscheinungsformat. BROSCHIERT
Sprache. DEUTSCH

"I've put in so many enigmas that it will keep the professors busy for centuries arguing over what I meant - that's the only way of ensuring one's immortality." So sprach einst das olle Schlitzohr James Joyce über seinen "Ulysses", und so ließe sich ohne große Übertreibung auch von den SOPRANOS sprechen. Wird das Lob der amerikanischen Fernsehserie seit Jahren primär unterm Vorzeichen ihrer Länge gesungen - der genußvollen Ausdifferenzierung also von Plot und Charakterisierung über Zeit -, beeindruckt an David Chases gänzlich unepischem Mafiaepos vielmehr die Dimension der Dichte: die Fülle an internen Querverweisen, sporadisch wiederkehrenden Bildmotiven und Dingsymbolen ohne konkreten Payoff, die fundamental änderungsresistente Hermetik des fiktiven New Jersey, seiner Codes und Kernfiguren.

Autopoietische Überdeterminierung bis ins kleinste Detail also, die Diedrich Diederichsen zufolge "spätestens seit den SIMPSONS zum Konzept eines auf mehreren Ebenen funktionierenden massenkulturellen Kunstwerks" dazugehört. Das Dechiffrieren überlässt er in seinem unbedingt lesenswerten Booklet dann aber doch den Wikis und Messageboards; weniger das Was der Serie interessiert ihn als das Wie ihrer Rezeption. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf der multiperspektivischen Zugänglichkeit der SOPRANOS für grundverschiedene Publikumstypen - ein Unding im deutschen Fernsehen mit seinem einschienigen Unterhaltungsverständis -, die Diederichsen pointiert an drei Figuren koppelt: Der Christopher-Zuschauer fiebert naiv auf blutige Mafia-Action, der Carmela-Zuschauer partizipiert an den moralisch verworrenen Familienkonflikten, und der mit allen hermeneutischen Wassern gewaschene Dr.-Melfi-Zuschauer wird aus seiner ironischen Distanz umso heftiger in eine immersive Abhängigkeit gelockt, die nur noch per DVD-Binge zu befriedigen ist.

Überzeugend entschlüsselt Diederichsen auch die konkrete Beschaffenheit dieses erzählerischen Sogs: Statt des mechanischen Auf- und Ab- und Wiederaufbaus moderner Arc-Narration akkumuliert sich das Drama der SOPRANOS wie Treibgut in einem zunehmend verstopfteren Fluss. Aus dem folgenübergreifenden Ganzen ragen kurzfilmartig geschlossene Episoden heraus (darunter Fan-Faves wie "College" und "Pine Barrens"), die der Serialität weniger im Weg als schwer im Magen liegen und sich als unabwerfbarer Stimmungsballast ans weitere Geschehen heften. Diederichsen findet dafür den ungemein treffenden Begriff der "Abschüssigkeit", des unaufhaltsamen (und doch bis zum Ende aufgehaltenen) Rutschens in die Katastrophe, womit im Laufe der sechs Staffeln eine "langsam sich steigernde Dissoziation der Zuschauer-Empathie mit den Protagonisten" einhergeht.

Was sich in der Zusammenfassung nach penibler Strukturanalyse anhört, lockert der ehemalige Spex-Starautor freilich permanent durch nonchalante Abschweifungen in die eigenen Spezialgebiete auf. Zu den meistgerittenen Steckenpferden zählen: Popsong-Bedeutungsräume, Ideologiekritik von links und die Einflüsse der New Yorker Independentszene. Alles Auskennerschaften, die zur kulturellen Verortung der SOPRANOS ein gutes Quäntchen Präzision beitragen, ohne auf simplifizierende Vergleiche (bzw. postulierte Brüche) mit der Genretradition zurückgreifen zu müssen. Überhaupt legt Diederichsen eine gesunde Abneigung gegen die Begriffe "selbstreflexiv" und "postmodern" an den Tag, die ungleich dickere Fernsehphilosophieschwarten ja bis heute ad nauseam durchdeklinieren.

Die große Stärke seines Booklets liegt gerade nicht in populärgeisteswissenschaftlicher Abstraktion, sondern in mikroskopischen close readings einzelner Szenen, die so gewitzte wie witzige Implikationen für die gesamte Serie aufdecken - etwa eine quadratmetergenaue Beschreibung von Christophers Apartment, die mit der Frage schließt: "Wo ist der Nutzen von all der Knochenbrecherei, den Hinrichtungen und Wutanfällen, wenn alles, was man sich leisten kann, diese Scheißwohnung in New Jersey ist, in einer Gegend, wo nicht mal die Mieten hoch sind?" Mit derlei Einwürfen outet sich Diederichsen nicht zuletzt als glühender Fan, der lange genug mit diesen Figuren zusammengelebt hat, um sich in ihrer Welt zurechtzufinden wie daheim bei engen, schwierigen Freunden.


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