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In der Geschichte des deutschen Fernsehens nimmt der sonntägliche Tatort eine Sonderstellung ein. Kein Trend konnte die Erfolgsgeschichte aufhalten, kein medienwirksamer Skandal (wie z.B. in den Anfangstagen) die, nicht nur am öffentlich-rechtlich Standard gemessenen, oftmals traumhaft hohen Einschaltquoten erschüttern (eher im Gegenteil). Befördert durch die zusehends in alle Bereiche der Unterhaltungsindustrie vordringende Digitalisierung und deren Folgen ist aus dem ehemals spröden Konsumieren der mal mehr, mal weniger mitreißenden Krimimalfälle ein soziales Happening geworden. Man mag über die Qualität der jeweiligen Fernsehfilme sagen was man will, die Relevanz des Formats ist unumstritten. Besonders augenscheinlich ist dabei die gerne vorgebrachte Zuschreibung der Sendung als Zustandsbeschreibung gesellschaftlicher Entwicklungen und sozialer Problemlagen. Was im Tatort thematisiert wird, treibt die Zuschauer in irgendeiner Form um, beschäftigt sie und ist nicht selten ein Hinweis auf die unter der Oberfläche brodelnden Kontroversen innerhalb der Gesellschaft. Soweit so nachvollziehbar.
An diese Interpretationsebene knüpft dann auch SEX & CRIME: EIN STREIFZUG DURCH DIE »SITTENGESCHICHTE« DES TATORT. ERMITTLUNGEN IN SACHEN TATORT 1 an. Die Autoren Dennis Gräf und Hans Krah interessieren sich dabei vor allem für die vielfach im Tatort dargestellten Normverstöße und Tabubrüche, deren Semantiken stets im Zusammenhang mit der Entstehungszeit der jeweiligen Folgen betrachtet werden müssen. In angenehm kurz und knackig geschriebenen Kapiteln widmen sich Gräf und Krah den verschiedenen Ebenen von Normverstößen und ihrer zeitgeschichtlichen Bedeutung. Bereits die Kapiteltitel lassen diesbezüglich Rückschlüsse auf die jeweiligen Implikationen zu. Sex & Crime, Privatheit und Öffentlichkeit in den 80er und 90er Jahren, oder Schwule und Lesben, Normalität und Abweichung geben die Richtung der Texte vor. Mit Beispielen aus einzelnen Folgen und kurzen Erläuterungen werden die entsprechenden Normbrüche analysiert und in Hinblick auf ihre sozialen und medialen Chiffren geprüft.
SEX & CRIME: EIN STREIFZUG DURCH DIE »SITTENGESCHICHTE« DES TATORT. ERMITTLUNGEN IN SACHEN TATORT 1 zeigt vor allem auf wie sich das Verständnis von abweichenden Verhaltensweisen verändert hat und wie sich dies auf der inhaltlichen und bebilderten Ebene der Kriminalfälle manifestiert. Dass im Tatort teils haarsträubende Klischees im Kontext von Sexualität unreflektiert aufgegriffen wurden, machen die Autoren immer wieder deutlich (etwa im Kapitel zur Darstellung von Homosexualität). Die Folge derartiger Inszenierungen ist, dass bestimmte Gruppierungen klar von der Normalgesellschaft abgrenzt, isoliert und schlicht als "anders" dargestellt wurden und sich in den Figuren und ihren Handlungen das "Nicht-Gewollte" widerspiegelte. Im Kapitel Perversionen der verschärften Art - Das 21. Jahrhundert beschäftigen sich die Autoren schließlich mit den Normverstößen nach dem Millennium. Für Gräf und Krah ist hier eine deutliche Steigerung festzustellen. Dies betrifft insbesondere die behandelten Themen und dargestellten Verbrechen.
Wie bereits im einleitenden Kapitel angemerkt wird handelt es sich bei SEX & CRIME: EIN STREIFZUG DURCH DIE »SITTENGESCHICHTE« DES TATORT. ERMITTLUNGEN IN SACHEN TATORT 1 um eine kleine Studie. Dies ist zugleich Vor- und Nachteil, denn einerseits sind die Kapitel dadurch sehr kurzweilig und auf den Punkt geschrieben, andererseits wünscht man sich an der einen oder anderen Stelle mehr Details und Hintergrundinformationen. Nichtsdestotrotz trägt das Buch dazu bei, den Tatort vergangener Tage, wie er in regelmäßigen Abständen in Wiederholungen im TV zu sehen ist sowie gleichfalls die aktuellen Ausstrahlungen mit dem Blick auf die Inszenierung von Normkonstellationen zu betrachten. Besonders lobenswert ist es zudem, dass die Autoren angrenzende Themenfelder (das Verhältnis von Privatheit und Öffentlichkeit etc.) gleichermaßen aufschlüsseln, ohne den eigentlichen Fokus der Arbeit aus den Augen zu verlieren.
Ein wenig schade ist es, dass die zahlreichen Schwarzweißbilder eine unterschiedliche Qualität aufweisen und teils verschwommen sind. Sehr hilfreich ist dagegen der Index der erwähnten Tatort-Folgen. Für alle Interessierten findet sich darüber hinaus der Hinweis auf eine private Internetseite, die sich ausgiebig den aktuellen Folgen widmet und verschiedenartige Hintergrundinformationen bereithält. SEX & CRIME: EIN STREIFZUG DURCH DIE »SITTENGESCHICHTE« DES TATORT. ERMITTLUNGEN IN SACHEN TATORT 1 bietet trotz des schlanken Formats (128 Seiten) einen äußerst lesenswerten Einblick in die Darstellung und normative Verortung von Sex & Crime in Deutschlands populärster Sonntagabendunterhaltung. Auch für Leser, die bislang nur wenig, oder noch gar keine Berührungspunkte mit den Kriminalfällen der unterschiedlichen Dekaden haben lohnt sich die Lektüre. Für Fans des Formats sowieso.
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