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Die Filmwissenschaft ist keine eigenständige Disziplin. Versatzstücke aus Soziologie, Philosophie, Kunst- und Kulturgeschichte und Psychologie formierten sich zu fruchtbaren Interpretationen und Analyseleitfäden, um sich dem Phänomen der projizierten Bewegtbilder theoretisch zu nähern. Nicht zu vergessen ist dabei der Einfluss der Sprachwissenschaft auf die Filmtheorie, die nicht zuletzt Christian Metz mit seiner "Filmsemiotik" umfassend begründete. Inzwischen ist die Zerlegung des "Zeichensystems Film" in einzelne Sinneinheiten (Einstellungen) ein alter Hut und der akademische Diskurs in der Wechselwirkung Film- und Sprach-/Literaturwissenschaft will anderweitig vorangetrieben werden. Wie gut, dass da neben der "Postmoderne" ein hässliches, da schwammiges Schlagwort durch die interdisziplinär angehauchten Institute geistert: das der "Intermedialität".
Dabei kann der Ansatz durchaus ein fruchtbarer sein, wenn "Intermedialität" als eine im Stil begründete Bezugnahme des Films auf ein anderes Medium definiert wird und somit Einflüsse und Herkunft des Hybridmediums Film erörtert werden. Wenn sich in PROSPERO'S BOOKS von Peter Greenaway ein Buch die Unterlage stellt, die den Bildausschnitt rahmt und sich mehrere Bildebenen überlagern, sind die Installation und das Buch als intermediale Bezüge schnell zur Hand und ein offensichtlicher Ansatzpunkt zu einer Erkenntnisgewinn versprechenden Interpretation.
Wenn das Menü der Extended Version von DER HERR DER RINGE wie ein Buch gestaltet ist oder in FARINELLI seltene klassische Musik gespielt wird und dazu ein Kastrat singt, ist jedoch die wissenschaftlich hinreichende Bedingung, um von "Intermedialität" zu sprechen, nicht erfüllt. Dass "ein anderes Medium im Zentrum der Aufmerksamkeit steht und zum Leitmedium der filmischen Aufzeichnung avanciert" (S. 35) entspricht zwar einem globalen Intermedialitäts-Begriff, den die Autorin wählt, öffnet jedoch einer allzu weit gefassten Herangehensweise an das Thema Tür und Tor, durch welche auch der DA VINCI CODE mühelos als Exempel hereinspazieren darf. Warum ARMEE DER FINSTERNIS mit keinem Wort erwähnt wird - schließlich ist dort das Necronomicon auch zentrales Handlungselement - ist dann die Frage. Von den Filmen einmal abgesehen, in denen ein Buch auf dem Tisch liegt, ein bestimmtes Gemälde an der Wand hängt oder ein bestimmter Song gespielt wird, wenn später darauf wieder Bezug genommen wird - sei es in einem Dialog oder durch Handlungselemente.
Auf dieser Ebene des Inhalts, der Bedeutung für die Narration, nicht jedoch der ästhetischen Stilmittel, wie das andere Medium im Medium Film ausgedrückt werden kann, argumentiert jedoch Literaturwissenschaftlerin Annette Simonis in ihrem Buch Intermediales Spiel im Film - Ästhetische Erfahrung zwischen Schrift, Bild und Musik nur allzu oft. Bezeichnend, dass sie bei ihrer Analyse von SHAKESPEARE IN LOVE auf die Verkürzung der Aufführung von Romeo & Julia auf 20 Minuten zu sprechen kommt (S. 111), die Kamerabewegungen und -position bei anderen Theateraufführungen im Film (S. 108), was wiederum eine plausible "Imitation" der Theatersituation in Blickwinkel und Wahrnehmung der Zuschauer (starre Kamera, frontal auf das Bühnengeschehen gerichtet) und somit konkrete intermediale Bezüge hergegeben hätte, nur angedeutet bleiben. Es scheint die Berufskrankheit von deutschen Literaturwissenschaftlerin, wovon auch Annette Simonis eine ist, zwar auf eine textuell-inhaltliche Ästhetik des Films zu achten und sich dort auf die intermedialen Bezüge zu stürzen, die Materialästhetik und die technische Seite der Inszenierung, das filmische Wie? jedoch zugleich untergeordnet zu lassen.
Abgesehen von der inhaltlichen Fragwürdigkeit fallen die Quellenverweise enorm negativ auf. Da wird weitgehend unreflektiert aus den PR-Interviews von Presseheften und von Film-Homepages zitiert, werden Screenshots von dort aus pragmatischen Gründen gleich mit übernommen. Für eine kritische Auseinandersetzung und eigene Erkenntnisse zur Formulierung einer Theorie fernab des Konstatierens eines "Medienwechsels und der Medienkombination [als] integraler Bestandteil gegenwärtiger kultureller Kommunikationen und Kulturtechniken" (S. 12) ist dabei kein Platz. Spätestens wenn Simonis die Keule der "postmoderne[n] Gesellschaft um 2000" (S. 217) als Erklärungsansatz für den verstärkte Auseinandersetzung des Films mit anderen Medien heranzieht, ist es an der Zeit, sich die Frage zu stellen, ob die Filmwissenschaft die anderen Disziplinen, aus der sie hervorgegangen ist, überhaupt noch braucht. Ein wirklicher Mehrwert kann ihr durch die wissenschaftlich interdisziplinäre Auseinandersetzung anscheinend nicht mehr hinzugefügt werden.
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